„Election day“ mit Überraschungen
Am 20./21. September fanden gleichzeitig das Referendum über die Reduktion der Abgeordneten und Wahlen in sieben Regionen (Ligurien, Venetien, Toskana, Marken, Kampanien, Apulien und Val d‘ Aosta) statt.
Nicht überraschend war das Ergebnis des Referendums: 69,6% bestätigten die vom Parlament bereits beschlossene Reduzierung, 30,4% stimmten mit Nein. Die Wahlbeteiligung lag bei 53,8%. „Das ist ein historisches Ergebnis!“ kommentierte der zum Überschwang neigende Di Maio (5-Sterne), „Wir werden endlich ein normales Parlament haben mit 345 Sitzen samt Privilegien weniger, und das ist allein der 5-Sternebewegung zu verdanken!“ brüstete er sich. Kein Wort zu den Regionalwahlen – aus gutem Grund, denn sie waren für die 5SB ein Desaster: Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2018 hat sie zwei Drittel ihrer Wähler verloren (von 1,9 Millionen sind ca. 658.000 geblieben).
Die Ergebnisse der Regionalwahlen
Die Überraschung war nicht der – erwartete – grillinische Absturz, sondern das Abschneiden der anderen Parteien. „Es wird 7:0 ausgehen“, prahlte Lega-Chef Salvini noch kurz vor den Wahlen. Er irrte. Es ging (ohne die Region mit Sonderstatut Val d‘ Aosta, wo es keine Direktwahl des Gouverneurs gibt und Listen für die Autonomie dominieren) 3:3 aus. Numerisch ein Patt zwischen der Rechten und Mittelinks, politisch aber ein Punktsieg für die PD und ihren Generalsekretär Zingaretti – und ein herber Rückschlag für Salvini.
Vor allem der klare Sieg der Mittelinks-Kandidaten in der Toskana und in Apulien kam – nicht nur für Salvini, sondern auch für die eigene Seite – unerwartet, zumal die Umfragen in beiden Regionen ein Kopf an Kopf-Rennen oder gar ein Vorsprung für das Rechtsbündnis prognostiziert hatten. Was ein Schockergebnis für Mittelinks gewesen wäre, gerade in der seit Menschengedenken „rot“ regierten Toskana.
Es kam anders. In der Toskana kassierte Eugenio Giani – ein älterer „Grand Seigneur“ und langjähriger Regionalpolitiker mit tiefer Verankerung „nei territori“, wie die Italiener sagen – 48,6%. Ganze 8 Prozentpunkte mehr als die von Salvini gesponsorte Lega-Kandidatin Susanna Ceccardi (40,5%), die gute Beziehungen zur faschistischen Forza Nuova pflegt, aber auf dem „roten“ toskanischen Terrain versuchte, sich bürgerlich-moderat zu geben. Vergeblich, wie man sieht.
In Apulien wurde der bisherige Gouverneur Emiliano (PD), der wegen populistischer Neigungen auch im eigenen Lager viele Kritiker hat, mit 46,8% klar im Amt bestätigt. Nicht zuletzt mithilfe vieler ehemaliger Wähler der 5SB. Sein rechter Herausforderer Fitto von Melonis Fratelli d‘ Italia kam deutlich abgeschlagen nur auf 38,9% .
Die weiteren Ergebnisse entsprachen eher den Erwartungen. In Kampanien gewann mit fast 70% der bisherige Amtsinhaber De Luca (PD), ein mit allen Wassern gewaschener und ruppig auftretender „Regionalfürst“. Auch er, wie Emiliano, im eigenen Lager umstritten, aber umso beliebter in der Bevölkerung.
Auch auf der rechten Seite gab es Bestätigungen: In Ligurien erreichte der Amtsinhaber Toti 56,1%, in Venetien gab es für Luca Zaia von der „Liga Veneta“ (Spitzname:„il Doge“) mit fast 77% sogar ein Traumergebnis – er führt seit zehn Jahren unangefochten die Region und genießt als guter Verwalter über Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen. Ein echter Erfolg gelang der Rechten in den früher links regierten Marken: dort gewann Melonis Mann Acquaroli (FdI) mit 49,3% gegen den Kandidaten von Mittelinks.
PD atmet auf
PD-Chef Zingaretti war der erste, der vor die Presse trat, um das Wahlergebnis zu kommentieren. Er hob die Siege in der Toskana und in Apulien besonders hervor und auch, dass die PD fast überall als stärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen ist. Obwohl er betonte, dass er das Ergebnis erwartet habe, konnte man ihm die Erleichterung ansehen. Zumal es bei den Wahlen – indirekt – auch um seine Person als PD-Generalsekretär ging (nicht zufällig kursierte am Wahlabend im Netz ein von ihm gepostetes Video mit dem Lied eines bekannten italienischen Sängers im Hintergrund: „Ich bin noch da, ja ja!“).
Doch natürlich betraf das Aufatmen Zingarettis vor allem den politischen Ausgang der Wahlen: das Aufhalten von Salvini und das gewachsene Gewicht der PD innerhalb der Koalition. Die Regierung (sprich die PD) gehe gestärkt aus der Wahl hervor, erklärte er. Nun müssten endlich drängende Aufgaben angepackt werden: ein konkreter Plan für die Nutzung der Ressourcen aus dem Recovery Fund und aus dem Europäischen Stabilitätspakt (ESM), die Reform des Wahlgesetzes und die Änderung von Salvinis „Sicherheitsdekreten“. Wobei ihm bewusst ist, dass zur Realisierung von mindestens zwei dieser Vorhaben – ESM und Sicherheitsdekrete – die PD ihr gewachsenes Gewicht einsetzen muss, um die bisherige Blockade der 5SB zu brechen. Was angesichts des Chaos, das dort nach dem schlechten Wahlergebnis herrscht, nicht einfacher sein wird.
Einem weiteren Aspekt des Ergebnisses sollte die PD Beachtung schenken: Es hat ihr offenbar nicht geschadet, dass sie – wegen der Verweigerung der Grillini von Wahlallianzen – fast überall allein antrat. Sie ist auf formale Bündnisse mit der 5SB nicht angewiesen, um Wählerstimmen auch aus deren Lager zu gewinnen und kann auch allein die Rechte aufhalten.
Showdown bei den 5-Sternen
Trotz Di Maios Geprahle mir dem „historischen Sieg“ beim Referendum verbreitet sich unter den Grillini Weltuntergangsstimmung, der Showdown zwischen der Fraktion der „governisti“ um die Maio und der Gegner der Allianz mit der PD um Di Battista bricht offen aus. Es geht dabei sowohl um die politische Positionierung (an die Legende des „weder rechts noch links“ glaubt niemand mehr) als auch um die Führung der Bewegung (der gegenwärtige „Regent“ Crimi ist lediglich ein Lückenfüller). Der Ruf nach einer kollektiven Führung, d. h. eines Leitungsgremium anstelle des „capo politico“, wird lauter, und der Druck der um ihre Mandate fürchtenden Abgeordneten wächst, sogenannte „Stati Generali“ (eine Art Parteikongress) baldmöglichst einzuberufen.
Die 5-Sterne sind – Referendum hin oder her – die wirklichen Verlierer dieser Wahl. Sie müssen einerseits Neuwahlen fürchten, da diese für sie voraussichtlich den Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit brächten. Andererseits müssen sie vermeiden, dass die gestärkte PD innerhalb der Regierung allzu selbstbewusst den Kurs bestimmt, was den Identitätsverlust der 5SB beschleunigen und die Gefahr einer Spaltung verschärfen würde. Eine Lage, welche die Handlungsfähigkeit der Regierung nicht gerade erleichtert.
Das ist auch die Sorge von Ministerpräsident Conte und der Grund, warum er intern auf die PD einredet, die gestressten Grillini mit den „kritischen“ Themen ESM und Sicherheitsdekrete nicht zu stark unter Druck zu setzen. Was zwar für die 5SB (und Conte) nahe liegt, nicht aber für eine Koalition, die sich von der rechtspopulistischen Vorgängerregierung abgrenzen will, aber diesen Anspruch, vor allem in der Migrationsfrage, immer noch nicht eingelöst hat. Ein Dilemma, dessen Lösung der Regierungschef gerne an die PD „delegieren“ möchte, ohne sich selbst zu exponieren.
Der zweite Verlierer
Neben der 5SB ist Salvini der zweite Verlierer dieser Regionalwahlen. Seine eigene Kandidatin in der wichtigsten Region – der Toskana – hat mit Abstand verloren. Der Gewinner in den Marken kommt nicht aus der Lega, er ist ein Mann Melonis; der bestätigte Gouverneur von Ligurien Toti kommt aus Forza Italia (und ist inzwischen Chef einer eigenen Gruppierung). Und Zaia, der in Venetien triumphiert, kommt zwar aus der Lega – genauer aus der Lega Veneta – ist aber alles andere als ein Mann Salvinis. Eher ist er sein Konkurrent „in spe“, wie das Wahlergebnis zeigt. Auch wenn man berücksichtigt, dass bei der Direktwahl der Gouverneure neben den Parteilisten oft auch „persönliche“ Listen mit dem Namen des Kandidaten antreten: Dass Zaias eigene Liste mit 44,6% mehr als das Doppelte als die „Lega per Salvini“ (16,9%) bekam, ist ein politisches Signal – gegen Salvinis Umwandlung der einst separatistischen Lega in eine nationale Partei, die auch nach Süden blickt. Wobei der Süden, den einst Salvini als Land stinkender „Terroni“ beschimpfte, Salvinis Lega zunehmend misstraut und sich die rechten Wähler eher Meloni zuwenden.
So trat nach den Wahlen ein gedämpfter Salvini vor die Presse. Man könne nicht immer alles erreichen, was man anstrebt, dennoch könne sich das Ergebnis sehen lassen, erklärte er mit ungewohnter Bescheidenheit. Und fing an, einzeln aufzuzählen, wie viele neue Mandate die Lega am Ort X oder Y erreicht habe. Was eher hilflos wirkte. Und ziemlich weit entfernt ist von dem Ruf nach „voller Ermächtigung“, den er im vorigen Jahr am Papeete-Strand erhob.
Dennoch: Auch wenn das Patt von 3 : 3 für die PD günstiger ist als erwartet und Salvini einen Dämpfer erfuhr – das souveränistisch dominierte Rechtsbündnis hat immer noch eine Mehrheit im Land. Wenn man sich die Entwicklung in allen Regionen im Laufe von 6 Jahren anschaut, sieht man, wie sich das politische Kräfteverhältnis umgekehrt hat: 2014 regierte Mittelinks 16 Regionen, die Rechte 4. Jetzt steht es 15 zu 5 für die Rechte.
Was die Wahlen auch zeigten bzw. bestätigten, ist, dass zumindest bei Kommunal- und Regionalwahlen die Person der Kandidaten immer entscheidender wird. Das politische Gewicht der „Partei der Bürgermeister und Gouverneure“ wächst stetig, manchmal quer zu den Parteien bzw. unabhängig von ihnen.
Das Regierungsbündnis sollte diesen Prozess erkennen und darauf setzen, seine Akteure in die Realisierung seiner politischen Agenda klug und produktiv einzubinden: bei der nachhaltigen Nutzung der von der EU bereitgestellten Ressourcen, für die Bildung, Sicherheit und Integration sowie den Gesundheits- und Umweltschutz. Die Verantwortung dafür liegt in erster Linie bei der PD, die 5SB ist dazu schlicht nicht in der Lage.
Stimme dem Guten und differenzierten Kommentar zudem Regionalwahlen zu. Die PD-Einschätzung scheint mir jedoch etwas zu rosig zu sein. In Ferrara ist sie derzeit nicht mehr existent zu sein. In der Stadt besitzt die Lega auf absehbare Zeit eine deutliche Mehrheit und im Hinterland kippt sie jetzt ein Paese nach dem anderen, ohne dass die ruinierte PD der rechtsprovinziellen Welle Irgendeinen erkennbaren Damm entgegensetzen kann. Ein einziges Trauerspiel. Zum Trost sieht es in der Region Emilia-Romagna etwas besser aus.
Sono d’accordo col commento di Marcella Heine