Der neue Leader
Am vergangenen Sonntag kam es in einem römischen Hotel (in dem Grillo immer übernachtet, wenn er die Hauptstadt mit seiner Anwesenheit beehrt) zum „Gipfeltreffen“ Grillos mit Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte und ein paar auserwählten „Bigs“ der 5-Sterne, u.a. Di Maio (früherer „capo politico“, jetzt Außenminister), Fico (Präsident der Abgeordnetenkammer), Patuanelli (Minister für wirtschaftliche Entwicklung in Conte 2, jetzt Landwirtschaftsminister), der einflussreichen Senatorin Paola Taverna und den Vorsitzenden beider Parlamentsfraktionen. Zentrales Thema war die künftige Rolle von Conte, der laut Umfragen weiterhin hohe Zustimmungswerte hat.
Nicht dabei war Davide Casaleggio, Sohn des Mitgründers der Bewegung Gianroberto. Wie schon sein Vater hat er in der Bewegung kein offizielles Amt, betreibt aber (noch) – als Privatunternehmer – die Online-Plattform „Rousseau“, in der die Abstimmungen stattfinden und alle Daten von Funktionsträgern und Aktivisten registriert sind. Die Entfremdung zwischen Grillo und „governisti“ auf der einen und Casaleggio auf der anderen Seite schwelt schon lange, hat sich aber nach dem Eintritt der 5SB in die Regierung Draghi vertieft und jetzt, wo sich abzeichnet, dass Conte die Führung der krisengeschüttelten Bewegung übernehmen könnte, zum offenen Bruch geführt.
Obwohl Grillo alle Anwesenden zur Schweigsamkeit verpflichtete, sickerte gleich nach dem Treffen die Information durch, dass sich der ehemalige Regierungschef bereit erklärt habe, die ihm angebotene Leadership der 5-Sterne zu übernehmen und dort einen Prozess der „Neugründung“ einzuleiten.
Wohin steuert die Bewegung?
Darüber, wie diese Neugründung und deren Kurs aussehen sollen, gehen allerdings die Meinungen auseinander (wenn man von einigen Themen, z. B. von der Notwendigkeit eines ökologischen Übergangs, absieht). Während Grillo selbst – und mit ihm Fico, Patuanelli und andere – auf den Ausbau der Achse mit PD und LEU setzen („auf allen Ebenen, der lokalen, parlamentarischen und europäischen“), verkündete Di Maio noch drei Tage vor dem römischen Gipfeltreffen in einem Zeitungsinterview mit der „Repubblica“, die 5SB sei „gewachsen und reifer geworden“ und habe sich zu einer „moderaten liberalen“ politischen Kraft entwickelt. Eine Definition, die nicht unbedingt einem „linken“ politischen Profil entspricht (sie deckt sich eher mit jener von Berlusconis Forza Italia).
Und Conte selbst? Bei dem Treffen, das seiner „halb-offiziellen“ Inthronisierung diente, ergriff er als Letzter das Wort und soll laut Medienberichten u.a. Folgendes gesagt haben: „Es ist evident, dass die von uns angestrebte Achse diejenige mit Mittelinks ist, schon allein die anstehenden Themen führen uns dorthin. Doch gleichzeitig müssen wir jenen gesunden Populismus bewahren, der Motor meiner ersten Regierung war. Nicht, um Immigranten zu beschuldigen oder den Bauch der Leute anzusprechen, sondern, um uns nicht dem Einfluss jener Lobbys zu beugen, die ihn in Italien vor allem auf Mittelinks ausüben“.
Eine seltsame Aussage. Das Bündnis mit Mittelinks suchen und gleichzeitig „den gesunden Populismus, der Motor seiner ersten Regierung war“ heraufbeschwören? Was war denn „gesund“ an Salvinis rabiater Hetze gegen Migranten und Flüchtlinge und an der Sperrung der Häfen für die aus Seenot Geretteten? Und was meint er mit der dunklen Andeutung mysteriöser Lobbys, die Mittelinks beeinflussen?
Wenn diese Aussage Contes zutrifft – er hat sie bisher weder dementiert noch korrigiert -, spricht sie nicht gerade für einen klaren politischen Kurs des neuen Leaders.
Möglich, dass dahinter weniger die Sehnsucht nach einer erneuten Allianz mit den Rechtsradikalen steht, als vielmehr der Wunsch, eine Botschaft an die grillinische Basis zu richten, die nach dem „Ja“ zur Draghi-Regierung tief gespalten ist. Nur Conte habe das Profil, um die „unterschiedlichen Seelen“ der Bewegung zu vereinen, hatte Agrarminister Patuanelli in einem Interview erklärt. Sollte aber die „Vereinigung“ darin bestehen, ökologische Transformation, mehr soziale Gerechtigkeit, Europa und atlantisches Bündnis mit „gesundem Populismus“ und einer Prise Protestpartei („gegen die Eliten“) zu koppeln, wäre sie genauso zum Scheitern verurteilt wie Grillos früheres Mantra „Wir sind weder rechts noch links“. Als Ausgangspunkt für eine „Neugründung“ der Bewegung ist dies ein schlechtes Omen.
Contes „gesunder Populismus“ irritiert die PD
Die Führung der PD hat Contes Rekurs auf den „gesunden Populismus“ offiziell nicht kommentiert. Aber dass sie irritiert ist, zeigt sich an den Äußerungen verschiedener Vertreter. „Die Nützlichkeit eines ‚gesunden Populismus‘ (gibt es ihn überhaupt?) seiner ersten Regierung zu unterstellen und gleichzeitig zu fordern, sich vom europäischen Sozialismus inspirieren zu lassen, ist in sich widersprüchlich“, schrieb der PD-Senator Dario Stefano auf Twitter.
Enrico Borghi, der dem Fraktionsvorstand in der Abgeordnetenkammer angehört, kommentiert den (neuen) Wunsch der 5SB, im Europaparlament der sozialdemokratischen Fraktion beizutreten: „Die Zukunft der italienischen und europäischen Linken ist eine ernste Angelegenheit und kein Hemd, das man sich von der Stange auswählt. Man kann nicht gleichzeitig Sozialist und Populist sein.“
Um dem Anspruch einer wirklichen Erneuerung der Bewegung (oder Partei) zu genügen, müsste Conte den Versuch wagen, diese aus dem ewigen Dilemma des „weder rechts noch links“ und der opportunistischen Bündnisse mit dem einen oder anderen Lager herauszuführen. Er kann dies nicht allein tun, sondern nur, wenn es sowohl auf der Ebene der Mandatsträger als auch der Aktivisten dafür eine solide Basis gibt. Ob die 5SB dafür „reif“ ist, lässt sich in dieser turbulenten Umbruchphase noch nicht abschätzen.
Statut und Struktur müssen „angepasst“ werden
Neben den inhaltlichen und politischen Aspekten wirft die neue Führungsrolle von Conte auch Fragen auf, die mit den noch geltenden Regeln und der Struktur der Bewegung zusammenhängen. Soll der neue Leader die Funktion eines „capo politico“ ausüben, wie zuerst Di Maio und dann der glücklose „Interims-Chef“ Crimi? Dumm nur, dass die „Basis“ diese Rolle gerade per Online-Abstimmung abgeschafft und durch ein fünfköpfiges „comitato direttivo“ ersetzt hat, das demnächst gewählt werden soll.
Oder soll für Conte ad hoc das Amt eines „Präsidenten“ eingeführt werden, das bisher im Statut nicht vorgesehen ist? Was würde dann aus dem bereits beschlossenen fünfköpfigen Gremium? Eine Möglichkeit wäre, es an die Seite des neuen Leaders als eine Art „Vorstand“ zu stellen, was aber seine Leadership schwächen könnte (fürchtet vor allem Grillo).
Mit diesen Fragen beschäftigt sich derzeit der dreiköpfige „Garantie-Ausschuss“, der in der 5SB für die Wahrung des Statuts und für eventuelle Vorschläge zu dessen Änderung zuständig ist. Diese müssten anschließend den Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt werden. Aber jeder weiß, dass die Entscheidung darüber in Wirklichkeit bei Beppe Grillo und jetzt auch noch bei Conte liegt. Direkte Demokratie hin oder her.
Nicht nur der Statut, sondern auch Name und Symbol sollen geändert werden. Die Zeitung „Corriere della Sera“ gab gestern bekannt, dass eine neue Internet-Domäne unter dem Namen „Movimento2050.it“ (eine zeitlich gewagte Vorhersage) registriert wurde. Man kann sie tatsächlich aufrufen, aber dann erscheint die Aufschrift „Reserved“, ist also noch nicht zugänglich (Stand 5. 3.). Unklar ist, ob diese den bisherigen offiziellen „Blog der Sterne“ (und die noch von Casaleggio betriebene Online-Plattform „Rousseau“) ersetzen oder nur ergänzen soll.
Leadership Contes brächte Stimmenzuwachs
Die neuen Entwicklungen innerhalb der 5SB könnten sich erheblich auf die politische Landschaft Italiens und die Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien auswirken: Nach einer Umfrage des Instituts SWG, die kurz nach dem römischen Gipfeltreffen veröffentlicht wurde, käme eine 5SB unter Führung Contes auf 22%, (+ 6,2%). Das würde in erster Linie auf Kosten der PD gehen, für die in diesem Fall ein Abrutschen von 18,5% auf 14,2% (- 4,3%) prognostiziert wird. Aber auch aus dem Lager der Nicht-Wähler kämen zusätzliche Stimmen (ca. 3%).
Natürlich sind Prognosen, die auf solchen fiktiven Annahmen („Was wäre, wenn …“) basieren, mit Vorsicht zu genießen, sie können nur momentane Stimmungen widerspiegeln. Dennoch sorgen sie für Unruhe bei der PD. Denn sollten sie sich bewahrheiten, würde sich das Kräfteverhältnis zwischen beiden Parteien innerhalb des Bündnisses deutlich zum Nachteil der Sozialdemokraten verändern
Eine erste Bewährungsprobe für die neue „Conte-Ära“ stellen die Kommunalwahlen dar, die in wichtigen Städten wie Rom, Mailand, Turin, Bologna und Neapel im Oktober stattfinden werden (das ursprüngliche Datum im Frühjahr wurde pandemiebedingt verschoben). Viel Zeit bleibt dem neuen Leader nicht, um Bündnisfragen mit der PD zu klären und die Truppen geordnet aufzustellen.
Letzte Meldung: Gestern Abend (4.3.) hat der PD-Generalsekretär Zingaretti mit einem Post auf Facebook überraschend seinen Rücktritt erklärt. Als Grund nennt er parteiinterne Angriffe auf seine Leadership, „auch von denjenigen, die für alle in diesen zwei Jahren getroffenen Entscheidungen mitverantwortlich sind“ (darin sehen Kommentatoren eine Anspielung vor allem auf die Gruppe der ehemaligen „Renzianer“ innerhalb der Partei).