5Sterne: doch eine Doppelherrschaft

Noch vor wenigen Wochen verkündete Conte: „Eine Doppelherrschaft (‚diarchia‘) wird es niemals geben“ (siehe „Padre Padrone“ vom 1. Juli). Grillo setzte bei seiner Antwort noch einen drauf: Conte sei in jeder Hinsicht „unfähig“, sowohl „organisatorisch“ als auch „bei Neuerungen“, und „Visionen“ habe er auch keine – was für Grillo offenbar ein ultimatives Verdammungsurteil ist (während andere beim Auftreten von Visionen für den Abtransport in die Klinik plädieren). Dabei hatte Grillo bei der Gründung der 5 Sterne selbst Probleme, die Bewegung mit Visionen zu versorgen, weshalb er sich eine von dem inzwischen verstorbenen Senior der Casaleggio-Dynastie auslieh, der von einer postatomaren Weltdemokratie träumte, die ihre Angelegenheiten per Mausklick regelt (man kann sie sich heute noch bei You Tube unter „the future of politics“ runterladen, von Sphärenklängen untermalt). Ganz wichtig natürlich: ohne Parteien, Parlamente und das ganze sonstige Gedöns einer repräsentativen Demokratie, das sowieso auf den Müllhaufen der Geschichte gehört.

Der Machtkampf

Noch vor wenigen Wochen schienen Conte und Grillo wie zwei ungebremste D-Züge aufeinander zuzurasen, der eine mit Vision, der andere ohne, aber beide mit Machtansprüchen, die sich gegenseitig ausschlossen, und jeder mit etwas im Rücken, was die 5-Sterne-Bewegung zum Überleben braucht: auf der einen Seite Grillo, der Gründer und Übervater, vor dessen zürnenden Bannstrahl jeder Aktivist zum furchtsamen Kind wird; auf der anderen Seite Conte, dem dieser Mythos in der Bewegung fehlt, aber ein Pfund in die Waagschale werfen kann, über das wiederum Grillo nicht verfügt: eine Popularität, die auch in der weiteren Wählerschaft Stimmen bringt. Wenn beides nicht zusammen geht, aber getrennt auch nicht, schien die 5SB einen Moment lang zur Implosion verurteilt zu sein.

Da war es reiner Selbsterhaltungstrieb, dass sich unter den Aktivisten die Stimmung durchsetzte: jetzt bloß keine Parteinahme für den einen oder anderen, sondern „Sie müssen sich einigen“. Wofür beide Federn lassen mussten: Grillo traf auf ein Meer von Protesten gegen sein Urteil über Conte, in dem er nun plötzlich wieder eine „außerordentliche Persönlichkeit“ entdeckte. Auch Grillos Forderung nach alleiniger Zuständigkeit für die „Außenpolitik“ – als Antwort darauf, dass ihn Conte bei seinem Besuch der chinesischen Botschaft allein gelassen hatte – gab er wieder auf. Aber auch Conte musste hinnehmen, dass seine monatelange Arbeit an einem Statut, das aus einer Bewegung eine Partei mit rationalen Entscheidungsstrukturen machen sollte, nun vom Imperativ „einigt euch“ überlagert wurde.

Das Ergebnis der Vermittlung

Nun kam die Stunde der „Vermittler“, von Di Maio bis Fico, die nach ein paar Tagen Arbeit den (in Wahrheit naheliegenden) Stein der Weisen fanden: Conte wird mit allen Vollmachten der politische „Präsident“, der „einzige Bevollmächtigte und Verantwortliche für die Bestimmung und Umsetzung der politischen Ziele der 5-Sterne-Bewegung“ (also auch für die Außenpolitik!). Grillo bleibt der „Garant“, der „Wächter über die Prinzipien und Werte der politischen Aktion“, der mit zwei Komitees, deren Besetzung er vorschlägt, das letzte Wort bei den Regeln für die Kandidatenauswahl und bei Disziplinarmaßnahmen behält. Conte hat das Recht zur Wahl von zwei Vizepräsidenten, die ihn bei der Führung unterstützen, und bei der Besetzung seines Sekretariats, und kann die Kandidaten für einen Nationalrat benennen, die dann von den Mitgliedern zu bestätigen sind. Bei der Wahl des Schatzmeisters der 5SB wurde die Verantwortlichkeit geteilt: Grillo kann ihn vorschlagen, Conte kann ihn abberufen.

Die große Versöhnung hat schon stattgefunden …

Die Mitglieder werden dem Gesamtpaket noch zustimmen müssen, aber am Ausgang der Abstimmung gibt es kaum Zweifel, da das Ergebnis von der Erleichterung getragen sein wird, dass „sie sich geeinigt haben“, was zehn Tage lang ernsthaft gefährdet schien. Auch Conte zeigt sich jetzt zufrieden, aber gemessen an seiner Absicht, die Bewegung in eine „moderne“ Partei umzuformen, ist es doch nur ein halber Sieg. Die Verantwortung des neuen Präsidenten für die gesamte Politik scheint zwar meilenweit von der Einspruchsmöglichkeit entfernt, die dem „Garanten“ geblieben ist, aber wer Grillo kennt, weiß, wie expansiv er das Wächteramt über „die Prinzipien und Werte der politischen Aktion“ ausüben kann, wenn er glaubt, wieder einmal eingreifen zu müssen. Contes anfängliche Forderung, dass es in der Bewegung eine Person geben müsse, die das Sagen hat, und keine „Diarchie“, hat er in Wahrheit nicht durchgesetzt – eine Doppelherrschaft ist es geblieben. Geblieben ist aber auch der irrationale Widerspruch zwischen superdemokratischer Tünche und autoritärer Substanz, der schon die bisherige 5SB charakterisierte und ihre Aktivisten im Zustand der Kindlichkeit hält.

Rückkehr zu den heiligen Prinzipien

Es gibt ein weiteres böses Omen für die zukünftige Rolle der 5SB in Italien. Der Grund, dass die jetzt anstehende Justizreform zum Stolperstein für die Regierung Draghi werden könnte, ist die Aversion der 5SB gegen die Verjährung, die sie in jakobinischem Furor einst ganz abschaffen wollte, um ja keinen Delinquenten (Berlusconi!) entwischen zu lassen. Das ist schon unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdig, aber die EU hat auch einen pragmatischen Grund, den sie für das Institut der Verjährung ins Feld führt: Sie drängt auf eine drastische Verkürzung der gerade in Italien ausufernden Dauer juristischer Verfahren, die (auch im zivilrechtlichen Bereich) zum Standortnachteil für potenzielle Investoren geworden ist. Da Draghi weiß, dass es hier um eine wesentliche Bedingung für die Einbeziehung Italiens in das EU-Recovery-Programm geht, drängte er hier auf einen schnellen Kompromiss. Wie es zunächst schien, mit Erfolg, da er dafür den Ministern der 5SB im Kabinett ein Ja abrang, nachdem er dafür das telefonische Okay von Grillo bekommen hatte.

Inzwischen weiß Grillo, dass er mit dieser Intervention einen Fehler beging, weil er damit Conte, der in dem sich anbahnenden Machtkampf sein Gegenspieler wurde, die Chance gab, in der Mitgliedschaft weitere Unterstützer zu mobilisieren. Denn gegen den Kompromiss rührte sich in den Fraktionen Widerstand, auch wenn er sich zunächst nur hinter vorgehaltener Hand artikulierte. Bis sich Conte, der bis dahin überwiegend mit dem Entwurf eines neuen Statuts beschäftigt hatte, zu Wort meldete und zum Sprecher der Unzufriedenen wurde. Wobei er so klug war, nicht Grillo, sondern Draghi anzugreifen: „Auch der Ministerpräsident muss verstehen, dass wir nicht zulassen können, dass die Reformen, die wir unseren Wählern versprachen, für die wir arbeiteten und die 2018 unseren Erfolg begründeten, eine nach der anderen zurückgenommen werden“, womit er zuallererst die Justizreform meinte. Hier fand ein Rollentausch statt: Während Grillo zum Pragmatiker wurde, der die hehren Grundsätze der 5SB auch notfalls zur Disposition stellen kann, war es Conte, der sie verteidigte. Was jedoch Grillo in der Frage, wer künftig überhaupt in der 5SB das Sagen haben soll, in die Defensive drängte, weshalb er halb resigniert, halb beleidigt das Feld räumte: Von nun an sei es Conte, der in Sachen Justizreform den Kurs der Bewegung vorgebe.

Ein Problem mehr für Draghi

Conte hat es damit geschafft, in der „Doppelherrschaft“ mit Grillo vorerst die Führung zu übernehmen und vielleicht – das wird die Zukunft zeigen – die Auflösung der 5SB aufzuhalten. Für die PD, die nach Bündnispartnern gegen die Rechte sucht und die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hat, einen solchen Partner in der 5SB zu finden, ist dies zunächst eine gute Nachricht (Bündnispartner sollten sich nicht auflösen). Aber diese Stabilisierung war nur für den Preis zu haben, dass sich in der 5SB diejenigen durchsetzen, welche die „Grundwerte“ der Bewegung verteidigen, so destruktiv, illusorisch und überholt diese auch sein mögen. Das Hin und Her gegenüber dem Kompromissangebot der Regierung bei der Justizreform war dafür das Beispiel: Während Grillos erstes Ja zum Kompromiss ein Moment rationaler Abwägungsbereitschaft erkennen ließ, bedeutet Contes Nein die Rückkehr zur Politik der identitären Selbstbestätigung. Womit er die Gewinnerkarte zog.

Bisher schien es das Hauptproblem Draghis zu sein, dass zu seinem Bündnis auch Kräfte wie Salvinis Lega stießen, die sich nur den Anschein geben, seinen proeuropäischen Kurs zu unterstützen. Wenn jetzt die 5SB, die in beiden Kammern immer noch die stärksten Fraktionen stellt, zu der Politik der neurotischen Suche nach Selbstbestätigung zurückkehrt, hat Draghi ein weiteres Problem.