Mittelinks gewinnt Kommunalwahlen
Die Demokratische Partei/PD hat bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen am 3./4. Oktober einen unerwartet deutlichen Erfolg erzielt. Zur Wahl aufgerufen waren über 12 Millionen Bürgerinnen und Bürger in 1.192 Kommunen, darunter auch in sechs Regionshauptstädten: Rom, Mailand, Turin, Neapel, Bologna und Triest. Nachwahlen gab es zudem für die Regionalregierung in Kalabrien und für zwei Abgeordnetensitze, davon einer in Siena, wo der Generalsekretär der PD Enrico Letta kandidierte.
Die Wahl in den Großstädten
In dreien dieser Großstädte – Mailand, Neapel und Bologna – konnten sich die Kandidaten von Mittelinks schon beim ersten Wahlgang durchsetzen: In Mailand erhielt Amtsinhaber Giuseppe Sala 57,73% der Stimmen, sein rechter Mitbewerber Bernardo kam auf 31,98%; noch eklatanter waren die Ergebnisse in Neapel und in Bologna, wo die gemeinsamen Kandidaten von PD und 5Sternen Gaetano Manfredi und Matteo Lepore jeweils 62% erreichten.
Bei der Stichwahl, die in zwei Wochen in Rom stattfindet, tritt der frühere Finanzminister der Conte2-Regierung Roberto Gualtieri (27,03%) gegen Enrico Michetti von der postfaschistischen Partei Fratelli d’ Italia (30,15%) an. Hier scheiterte der Versuch der PD, Gualtieri als gemeinsamen Kandidaten mit der 5SB aufzustellen, an der Weigerung der amtierenden Bürgermeisterin Virginia Raggi, auf eine eigene Kandidatur zu verzichten. Raggi kam mit 19,08% nur auf Platz 4, hinter dem Zentrums-Kandidaten Calenda (19,82%), der auf Platz 3 landete. Nun ist Gualtieri, der auf einen guten Teil der Stimmen der Wähler von Calenda und Raggi hofft, Favorit für die Stichwahl. Es kann aber auch sein, dass einige dieser Wähler entweder gar nicht zur Stichwahl gehen oder gar beim rechten Kandidaten ihr Kreuzchen machen.
Eine Stichwahl wird es auch in Turin geben, wo Chiara Appendino von der 5SB nicht mehr antrat. Überraschenderweise schaffte es hier der PD-Kandidat Lo Russo, mit 43,86% den bekannten Unternehmer Damilano deutlich hinter zu sich zu lassen (38,90%). Auch hier war es PD und 5SB nicht gelungen, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen (die „Grillina“ Sganga kam auf 9%).
Von den sechs Großstädten liegt bei der anstehenden Stichwahl allein in Triest der Kandidat des Rechtsblocks mit 46,92% deutlich vor dem PD-Vertreter (31,65%).
PD-Chef Letta: „Wir können die Rechte besiegen“
Der Generalsekretär der Sozialdemokraten Enrico Letta, der im März die Nachfolge von Nicola Zingaretti antrat, wird durch das gute Wahlergebnis gestärkt. Der Erfolg seiner Partei dementiere alle Zweifler und Kritiker, erklärte er im Interview. „Heute beginnt eine neue politische Phase, ein neues ‚Uliven-Bündnis‘ (die einst von Prodi geführte Mittelinks-Allianz, MH) ist möglich. Mit einer modernen und radikalen Linken, die zeigt, dass zwischen sozialer Gerechtigkeit und Bürgerrechten keinen Widerspruch besteht: Der Mensch braucht beides und verwirklicht sich sowohl in der Arbeit als auch in der Erfüllung seiner Identität“.
Der Wahlsieg stärke sowohl Italiens Bindung an Europa als auch die Perspektive eines Bündnisses der fortschrittlichen Kräfte im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2023, erklärte der PD-Chef weiter. Als mögliche Bündnispartner nannte er an erster Stelle die 5Sterne unter Contes Führung, sendete aber auch Signale an Vertreter des Zentrums wie Calenda und Renzis Italia Viva aus. Ausdrücklich zog Letta bei seiner Bewertung des Wahlergebnisses eine Parallele zu dem Erfolg von Olaf Scholz und der SPD bei der deutschen Bundestagswahl.
Salvini ist der Hauptverlierer, Meloni nur eine halbe Gewinnerin
In der Gesamtbilanz hat die Rechte bei diesen Kommunalwahlen eine Niederlage erlitten. Hauptverantwortlich dafür ist das schlechte Abschneiden der Lega, nicht nur im Süden, sondern auch vielerorts in Nord- und Mittelitalien. Exemplarisch ist Salvinis Heimatstadt Mailand, wo die PD mit über 30% stärkste Partei wurde, während die Lega bei 10,8% blieb (- 0,2 gegenüber 2016 und ganze 17 Prozentpunkte weniger als bei der Europawahl)
Hier verbesserte sich zwar Salvinis rechte Konkurrenz Fratelli d’ Italia deutlich und klettert von 2,4% im Jahr 2016 auf 9,9% (fast gleichauf mit der Lega), kann aber angesichts der Gewinne von Mittelinks und der Verluste der Rechten insgesamt (Berlusconis Forza Italia verlor mit 7,2% im Vergleich zu 2016 satte 13 Punkte) nicht gerade jubeln.
Das schlechte Ergebnis seiner Partei hat Salvinis Nerven, die schon durch den kurz vor der Wahl geplatzten Drogen-Skandal um seinen Medien-Oberstratege Morisi arg strapaziert waren, endgültig blank gelegt. Er hat zunehmend Schwierigkeiten, die Fäden wieder in die Hand zu nehmen, und als Begründung für die Niederlage fällt ihm nur ein, man habe „die falschen Kandidaten ausgewählt und das auch noch zu spät“. Will sagen: Andere sind Schuld, nicht ich. Was die Wogen innerhalb der Lega nicht gerade glättet. Die Kritiker werden lauter, der Kreis der Getreuen kleiner. Dass er zwei Tage nach der Wahl die Lega-Minister anwies, einer Kabinettssitzung fernzubleiben, weil Draghi kurzfristig das in der Koalition umstrittene Thema Steuerreform auf die Tagesordnung gesetzt hatte, zeigt eher Hilfslosigkeit. Kommentar Draghis: „Die Regierung richtet sich nicht nach der Agenda von Wahlkämpfen“. Punkt.
Den einzig wirklichen Erfolg, den das Rechtsbündnis einfahren konnte, war der Sieg bei den kalabrischen Regionalwahlen, wo Roberto Occhiuto von Forza Italia zum Gouverneur gewählt wurde (was ihr alter Leader Berlusconi genüsslich unterstrich). Occhiuto hatte seinen Wahlkampf auf das Thema des wirtschaftlichen Aufschwungs durch den Nationalen Recovery Plan und die von der EU bereitgestellten Mittel fokussiert, was in einer Region gut ankam, die auch für süditalienische Verhältnisse besonders von Rückständigkeit und mafioser Kriminalität geprägt ist.
5Sterne verfehlen Bewährungsprobe
Für die 5-Sternebewegung war diese Wahl die erste Bewährungsprobe nach den heftigen inneren Turbulenzen, die dem Ende der Conte2-Regierung folgten: die Auseinandersetzung um die Beteiligung an Draghis Allparteienregierung, die Trennung von Casaleggio und seiner Rousseau-Plattform, der Rückzug von Grillo und die Entscheidung, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Conte die Leitung der Bewegung anzuvertrauen.
Mit dem Ergebnis können die 5Sterne kaum zufrieden sein. Von den 23 Bürgermeistern, die sie 2016 stellten – u. a. in den wichtigen Städten Rom und Turin – ist nach den jetzigen Wahlen kein einziger übriggeblieben: Fünf sind nicht wieder angetreten, dreien sprach sogar die eigene Fraktion das Misstrauen aus, zwei wurden aus der Partei ausgeschlossen, sechs hoffen noch auf einen (eher unwahrscheinlichen) Sieg bei den Stichwahlen und der Rest fiel schon im ersten Wahlgang bei den Wählern durch. Besonders schmerzhaft sind die Niederlagen der einstigen grillinischen „shooting stars“: Raggi in Rom und Appendino in Turin.
Conte ahnte bereits, dass es so kommen könnte, und betonte von vornherein, „keine großen Erwartungen“ in diese Wahl zu setzen. Für Partei und Wähler gewiss kein Motivationsschub. Tatsächlich sind – besonders in den städtischen Peripherien – viele ehemalige 5SB-Wähler zu Hause geblieben und haben kräftig zum Sinken der gesamten Wahlbeteiligung beigetragen (von 61,2% 2016 auf 54,7% heute).
Nach der Wahl betonten Conte und weitere 5SB-Führer wie Di Maio und Fico, dass es „nie wieder“ ein Zusammengehen der 5Sterne mit der Rechten geben werde. „Unser Platz ist auf der Seite der fortschrittlichen Kräfte“ bekannte nun Conte, der noch vor drei Jahren eine Koalition der 5Sterne mit der Lega anführte. Eine Positionierung, die angesichts der Lage für die 5Sterne alternativlos ist: Sie konnten sich nur dort halten, wo sie gemeinsam mit PD und LEU antraten. Die Brücken zur Rechten – mit Salvini an der Spitze – sind (zumindest vorläufig) zerstört.
Neben unzufriedenen oder verunsicherten 5SB-Wählern waren es nach den Analysen auch Lega-Anhänger, die den Wahlurnen fernblieben. Ob aufgrund grundsätzlicher Skepsis gegenüber der Beteiligung ihrer Partei an der Regierung oder wegen des Schlingerkurses und angeschlagenen Images ihres Leaders, lässt sich schwer feststellen.
Wahlergebnis stärkt Draghi
Eine Reihe von Kommentatoren (darunter auch namhafte wie der ehemalige Chefredakteur der „Repubblica“ Ezio Mauro) werten das Ergebnis der Kommunalwahlen als Beginn einer neuen Phase, die vom Niedergang der Populisten und Souveränisten und vom Aufstieg der progressiven Kräfte gekennzeichnet wird. Eine Einschätzung, die mir aus drei Gründen noch voreilig scheint:
Erstens, weil die Wahlschlappe Salvini mit dem weiteren Aufstieg der postfaschistischen und souveränistischen Partei Fratelli d’ Italia und ihrer Chefin Meloni einhergeht, die in den Umfragen inzwischen auf nationaler Ebene dicht hinter der PD rangiert. Zweitens aufgrund der erwähnten niedrigen Wahlbeteiligung, die den Sieg von Mittelinks relativiert. Und drittens, weil das schlechte Abschneiden der 5SB für den Aufbau des von Letta beschworenen „nuovo Ulivo“ kein günstiges Omen ist.
Aber dennoch: Die progressiven demokratischen Kräfte – allen voran die PD – können nach diesem Wahlergebnis mit mehr Zuversicht auf die nächste Parlamentswahl blicken, die spätestens im Jahr 2023 stattfinden wird. Was auch Ministerpräsident Draghi stärkt, dessen zuverlässigster Koalitionär jene PD ist. Genau das missfällt Oppositionsführerin Giorgia Meloni, die gern Draghi Anfang 2022 in das freiwerdende Amt des Staatspräsidenten „hochloben“ möchte, um schon dann den Weg für vorzeitige Neuwahlen freizumachen. Verbunden mit der Hoffnung, dann Italiens neue Regierungschefin zu werden.