Eine rechtsextreme Internationale?
Vorbemerkung 1: Internationalisierung als zusätzliche Qualität
In unserem letzten Beitrag berichteten wir über eine Recherche der beiden „Repubblica“-Journalisten Giuliano Foschini und Fabio Tonacci, die sich mit der Infiltration der NoVax-Bewegung durch die italienische Ultrarechte befasst. Nun berichten sie über die internationale Vernetzung, welche die europäischen NoVax-Bewegungen mit tatkräftiger Hilfe der italienischen Neofaschisten erreicht haben. Mit doppeltem Nutzen für die Neofaschisten: Sie festigt ihre Verankerung in den NoVax-Bewegungen und trägt gleichzeitig dazu bei, dass sich die NoVax-Bewegungen trotz aller Gegenevidenz in einer parallelweltlichen „Blase“ immer weiter radikalisieren: Sie können sich nun als Teil einer mächtigen Bewegung wahrnehmen, die nicht nur das eigene Land, sondern schon den gesamten Kontinent erfasst. Wenn man jede Woche hört, dass sich Mitkämpfer in Paris, Rotterdam und Berlin unter den gleichen Parolen mit den staatlichen Machtorganen prügeln, so immunisiert das gegen Selbstzweifel – trotz der flehentlichen Appelle der Wissenschaftler und der Pandemieopfer im eigenen Umfeld.
Vorbemerkung 2: Roberto Fiore
Der im folgenden Artikel erwähnte Roberto Fiore gründete 1997 die „Forza Nuova“. In den 80er Jahren lebte der heute 62-Jährige längere Zeit in London, um den italienischen Ermittlungsbehörden zu entkommen, die ihn verdächtigten, an dem blutigen Bombenattentat von 1980 in Bologna beteiligt zu sein (85 Tote, mehr als 200 Verletzte). Seine Londoner Zeit nutzte er, um sich als erfolgreicher Geschäftsmann zu betätigen – seine Ausweisung soll er durch „Kooperation“ mit dem britischen Geheimdienst vermieden haben. 2008/09 war er als Nachrücker für Alessandra Mussolini Mitglied des Europaparlaments. Er pflegt enge Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche und ist ein Bewunderer Putins (was ihm häufige Einladungen nach Moskau einbringt). Das im Text erwähnte „Netz, das in die USA und zu Steve Bannon führt“, meint vor allem den katholisch-fundamentalistischen „World Congress of families“ (gegen Abtreibung, Homosexualität ist Krankheit). Für Fiore selbst ist es „nicht herabwürdigend, Faschist genannt zu werden… Wir sind die Avantgarde des neuen Europas, das bald erwachsen wird. Ein christlich-patriotisches Europa, und Russland wird davon nicht nur ein Teil, sondern die führende Kraft sein“.
Nun die Übersetzung des Textes von Foschini und Tonacci, den die Repubblica am 27. 11. veröffentlichte:
„Die rechte Internationale reitet auf den NoVax-Bewegungen
Wie es in Italien mit der Infiltration von Forza Nuova geschah, so kam es auch in Österreich, Belgien und Holland zur Verschmelzung der Extremisten mit den NoVax-Protesten. Dahinter steht eine gemeinsame Regie, die ihre Wurzeln in Italien hat, von wo aus über Telegram in ganz Europa die Protestaktionen koordiniert werden.
Im englischen Chat schreiben sie: ‚Im kroatischen Zagreb erscheinen jetzt militärähnliche Formationen, um gegen die globalistische Tyrannei zu rebellieren‘. Oder: ‚Schaut hin. Mit Martinique geht eine weitere karibische Insel in Flammen auf, weil sich die Bevölkerung weigert, sich dem Diktat des Covid-Regimes zu unterwerfen‘. Dann gibt es Fotos von den Protestaktionen in Belgien, Holland, Österreich und den in den Pariser Straßen angebrachten Plakaten ‚non vaccinations‘, neben dem Logo der ‚Solidarietà nazionale‘, einer Forza Nuova-Stiftung, und die Geldsammlung für den neofaschistischen Leader Roberto Fiore, der im Gefängnis von Poggioreale einsitzt und als Prophet der Bewegung und ‚Hauptgegner der Draghi-Regierung und seiner Gesundheitsdiktatur‘ gilt.
In Europa geschieht gerade etwas: Die Erschütterung, die vor nunmehr zwei Monaten von Italien ausging, als dort am 9. Oktober die extreme Rechten mit den NoVax verschmolz, registrierte der halbe Kontinent. Die Geheimdienste dreier europäischer Länder – Österreich, Belgien, Holland – berichten, dass bei ihnen ebenso wie in Italien die Anti-Impfbewegungen von Neofaschisten infiltriert wurden. Hinweise dieser Art kommen auch aus Frankreich, Deutschland, den osteuropäischen und balkanischen Ländern. Vor allem wurden Kontakte zwischen den Bewegungen der verschiedenen Länder dokumentiert; der Beweis waren die gewalttätigen Protestaktionen vom 20. November, als die NoVax in Ländern, die Tausende von Kilometern auseinander liegen, mit den gleichen Slogans auf die Straße gingen. Und mit der gleichen Gewalt. ‚Wir haben es mit einer Art rechte Internationale zu tun – so eine qualifizierte Quelle des Brüsseler Geheimdienstes –, die auf die NoVax-Bewegungen zielt, in der Hoffnung, die Straße aufzuhetzen und Unordnung zu schaffen. Es ist das bekannte Setzen auf Umsturz, aber mit einer wichtigen Neuerung: eine gemeinsame Regie, eine direkte Verbindung durch ein dutzend Telegram-Kanäle‘.
Italien spielt hier eine zentrale Rolle. Denn zentral ist die Rolle der neofaschistischen Rädelsführer, die als erste auf die Straße und auf NoVax zielten, um die eigenen Reihen aufzufüllen. Wie Giuliano Castellino und vor allem wie Roberto Fiore, der Ideologe, dessen Stärke auch auf seiner früheren unternehmerischen Tätigkeit in London und auf seinen Kontakten zu dem internationalen Netz beruht (das vor allem in die USA und zu Steve Bannon führt), und der in ganz Europa seine Fäden ziehen kann. Um das Geschehen zu verstehen, verfolgen unsere Rechercheure einen englischsprachigen Telegram-Kanal, der offiziell katholisch inspiriert ist, aber offensichtlich zur rechten NoVax-Szene gehört. Sein Symbol ist Monsignore Viganò, der als Erzbischof die Werbetrommel für die Delirien der NoVax und der Verschwörungstheoretiker rührt (und als Erzfeind von Papst Franziskus gilt, HH). Dort finden sich auch Botschaften, die Fiore betreffen, der als Märtyrer der italienischen Justiz und ‚Gesundheitsdiktatur‘ dargestellt wird, für den Geld gesammelt werden müsse, um ihn während seiner Haft zu unterstützen. Dieser Kanal diktiert der europäischen NoVax-Rechten die Vorgehensweise. Auf ihn beziehen sich Flugblätter mit Dokumenten und Fotos von Forza Nuova und antiwissenschaftliche Materialien (dass beispielsweise das Impfen vor allem dem Erzeugen von Herzmuskelentzündungen = Myokarditis diene), mit täglichen Berichten über die Proteste und vor allem die Notwendigkeit, weitere zu organisieren.
Österreich. Hier wird zum Beispiel Herbert Kikl viel Raum gegeben, dem Leader der rechten FPÖ, der nach bekanntem Drehbuch die Auflagen für nicht Geimpfte als „Diktatur“ denunziert. In mehreren Kanälen werden die österreichischen NoVax aufgefordert, mit ihm zusammen auf die Straße zu gehen, wobei immer wieder die Videos der 40.000-köpfigen Protestaktion gezeigt werden, die letzte Woche stattfand und bei der es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.
Holland. Zu größeren mehr als 72-stündigen Zusammenstößen kam es auch in Holland, mit Guerilla-Kämpfen, zu denen es in Den Haag, Rotterdam, Urk und in der südlichen Provinz von Limburg kam. Es gab mehr als 50 Verhaftungen. Von mehr als 20 war schon bekannt, dass sie Organisationen der extremen Rechten angehören.
Belgien. Ein ähnliches Szenario auch in Belgien, wo letzte Woche in Brüssel 35.000 NoVax auf die Straße gingen und es in der Nähe des Palais Berlaymont (Sitz der Europäischen Kommission, HH) zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Flämische Nationalisten waren dabeil. Und Neonazis, mit Hakenkreuz-Tattoos auf der Brust.“