Rechte und Heckenschützen stoppen Gesetz gegen Homophobie
Stehend und mit tosendem Applaus feierte die Rechte vor einigen Tagen im Senat, dass es ihr gelungen war, die Entscheidung über das sogenannte Zan-Gesetz (so heißt der PD-Abgeordnete, der den Entwurf eingebracht hat) gegen Homo- und Transphobie zu verhindern.
Bereits Anfang November 2020 hatte die Abgeordnetenkammer mit 265 Ja und 193 Nein das Gesetz in erster Lesung verabschiedet, danach schmorte er monatelang in der zuständigen Senatskommission, wo nicht nur die rechten Parteien – allen voran Lega und Fratelli d’ Italia -, sondern auch die Senatoren von Renzis Italia Viva die Debatte mit immer neuen Änderungsanträgen verzögerten.
Als endlich am 27. Oktober die zweite Lesung im Senat begann, beantragte die Rechte, die Behandlung auf unbestimmte Zeit auszusetzen (ein Verfahren, das „tagliola“ – „Guillotine“ – genannt wird). Die Abstimmung sollte geheim sein. Das wurde zwar von mehreren Senatoren als unzulässig beanstandet,weil es dabei um eine prozedurale und nicht inhaltliche Frage ging, aber von der konservativen Senatspräsidentin Casellati zugelassen. Resultat: 154 Senatoren stimmten für den Antrag auf Aussetzung, 131 dagegen, 2 enthielten sich. Damit fehlten den Befürwortern des Gesetzes ca. 20 Stimmen. Da ein paar Senatoren an der Abstimmung nicht teilnahmen, müssen mindestens 16 – wahrscheinlich mehr – „Heckenschützen“ dem Antrag der Rechten zur Mehrheit verholfen haben. Die „Guillotine“ funktionierte, das Zan-Gesetz gilt als vorläufig begraben.
Kernpunkte des „Zan-Gesetzes“
Durch das Gesetz sollten die strafrechtlichen Bestimmungen gegen die Verletzung der Gleichstellung, die bisher auf rassistisch, ethnisch, nationalistisch oder religiös motivierte Verstöße begrenzt sind, um die Tatbestände „Diskriminierung und Gewalt, die sich auf Geschlecht, Genus, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Behinderung beziehen“ erweitert werden. Für den gefährdeten Personenkreis sieht der Entwurf besondere Schutzmaßnahmen vor, neben Schwulen und Lesben auch für nicht-binäre und transsexuelle Menschen. Im Rahmen der Prävention sollte ein landesweiter jährlicher „Tag gegen Homo-, Lesbo-, Bi- und Transphobie“ eingeführt werden, mit Aktivitäten an Schulen, um Schülerinnen und Schüler für das Thema zu sensibilisieren.
Die rechtsradikalen Lega und Fratelli d’ Italia sehen in dem Entwurf eine „Einschränkung der freien Meinungsäußerung“, obwohl es dort um die Verbreitung von Hetze und um Gewalttaten und nicht um das Verbot von Meinungsäußerungen geht. „Hass und Gewalt sind keine Meinungen!“ stand zu Recht auf den Spruchbändern vieler Menschen, die für die Verabschiedung des Gesetzes eintraten.
Mit ähnlicher Begründung kritisiert auch das Vatikan – kaum überraschend – die geplante Neuregelung, er sah dadurch sogar das Konkordat zwischen dem italienischen Staat und dem Heiligen Stuhl verletzt (wegen angeblicher Einschränkung der freien Kultausübung und Bekundung eigener Überzeugungen). Weshalb sich neben Renzis Italia Viva auch einzelne katholische Politiker aus dem Lager von Zentrum und Mittelinks mit dem Zan-Entwurf schwer tun.
Besonders die Aufklärung an den Schulen und der Begriff „Geschlechtsidentität“ sind den Gesetzesgegnern ein Dorn im Auge. Bei den Schulen lautet der Vorwurf „ideologische Indoktrinierung von Minderjährigen“. Wo doch die Erziehung der Kinder und Jugendlichen im Sinne des Grundgesetzes, wozu Gleichbehandlung und Ächtung von Diskriminierung gehören, ein staatlicher Auftrag für alle Bildungseinrichtungen ist.
Die Frage der „geschlechtlichen Identität“ ist allerdings komplizierter und kann hier nur kurz angerissen werden. In der Front der Kritiker stehen hier Schulter an Schulter mit Salvini, Meloni und dem Vatikan, für die in der göttlichen Ordnung allein Männlein und Weiblein vorgesehen sind, auch einige feministische Gruppen, die es ablehnen, die Geschlechtsidentität nur als „soziales Konstrukt“ zu sehen, weil sie darin eine Infragestellung bzw. „Entwertung“ der (biologischen) weiblichen Identität sehen. Und weil sie es für falsch halten, Frauen bzw. weibliche Personen als „Minderheit“ zu betrachten, auf gleicher Ebene mit Homosexuellen, Trans und Nicht-Binären.
Die Befürworter des Gesetzes – d. h. der Großteil der feministischen Bewegung und der Organisationen, die Schwulen, Lesben, Trans und Nicht-Binäre vertreten, sowie die Parteien im linken Spektrum und die Mehrheit der 5Sterne – halten dagegen, dass abweichende Geschlechtsidentitäten eine Realität sind und der Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung uneingeschränkt für alle gelten müsse. Was zurzeit oft nicht der Fall ist, wie die Berichte vieler, meist junger Menschen über traumatische Diskriminierungs- und auch Gewalterfahrungen im Alltag belegen.
Suche nach den Heckenschützen
Gleich nach dem Eklat im Senat ging die Auseinandersetzung los, wer die heimlichen Saboteure waren. Keiner will es gewesen sein, jeder beschuldigt den anderen.
Klar ist, dass die rechten Parteien – einschließlich der „Liberalen“ in Berlusconis Forza Italia – kompakt für die „Guillotine“ stimmten. Also müssen die zusätzlichen Stimmen von woanders kommen. Der Hauptverdacht von Mittelinks und 5Sternen richtet sich gegen Renzi und seine zwölf Senatoren, da sich die Vertreter von Italia Viva schon im Senatsausschuss oft Salvinis und Melonis Verzögerungstaktik angeschlossen hatten. Schon lange verkünden Renzi und seine Gefolgsleute. das Gesetz sei in der vorliegenden Form nicht mehrheitsfähig, man müsse es von seinem „ideologischen Ballast“ befreien und mit dem Rechtslager einen Kompromiss eingehen.
Es liegt also nah, dass die Heckenschützen – obwohl sie das Gegenteil beteuern – vor allem aus deren Reihen kommen, möglicherweise unter Beihilfe einiger PD-Senatoren, die Renzi noch nahe stehen (seine sogenannte „fünfte Kolonne“ innerhalb der PD), und von ein paar Abtrünnigen der 5SB, die Conte und seinen „governisti“ einen Denkzettel verpassen wollten.
Renzis Rechtswende
Renzi selbst blieb der Abstimmung im Senat fern. Er weilte zu der Zeit auf einem Kongress im saudiarabischem Riad bei seinem Freund Prinz Mohammed bin Salman. Der Debatte daheim über die Rechte von Homo- und Transsexuellen zog er – ausgerechnet – den Besuch in dem Land vor, in dem solchen Menschen öffentliche Bestrafungen, Gefängnis oder Schlimmeres drohen.
Auf den Vorwurf, seine Leute hätten insgeheim mit der Rechten abgestimmt, reagierte Renzi mit heftigen Gegenangriffen: Schuld am Scheitern des Zan-Gesetzes seien allein die PD und die 5Sterne gewesen. Sie hätten jeglichen Kompromiss abgelehnt (was nicht stimmt, da sie den Kritikern bereits in verschiedenen Punkten entgegengekommen waren) und damit billigend in Kauf genommen, dass keine Mehrheit für das Gesetz zustande kam. PD und 5SB seien „unfähig“ und hätten „keine Ahnung, wie man Politik macht“ (im Gegensatz zu ihm, dem „Meister machiavellistischer Manöver“).
Die Wahrheit ist, dass Renzi, dessen Partei in Umfragen schon lange unter 2% dümpelt, bei der nächsten Wahl befürchten muss, dass seine Truppen im Parlament dezimiert werden, wenn nicht gar ganz aus ihm verschwinden. Er sucht also Anschluss. Allerdings nicht nach links, sondern nach rechts. Dass er mit Salvini in regelmäßigem Kontakt steht, ist kein Geheimnis. Im Regionalparlament Siziliens kündigten Renzis Italia Viva und Berlusconis Forza Italia gerade die Bildung einer gemeinsamen Gruppe an („Forza Italia Viva“), sie werden zur nächsten Wahl mit gemeinsamen Listen antreten. „Ein sizilianisches Laboratorium“ nennt dies der Präsident der Regionalversammlung, der Miccichè heißt und zu Forza Italia gehört.
„Generalprobe“ für die Wahl des Staatspräsidenten?
Viele Parteipolitiker und Kommentatoren meinen, dass die Vorgänge bei der Abstimmung im Senat nicht nur das Ziel verfolgten, das Gesetz gegen Homo- und Transphobie zu verhindern. Vielleicht noch wichtiger sei die Absicht, wenige Monate vor der anstehenden Neuwahl des Staatspräsidenten Machtbündnisse zu erproben, die auch über die Nachfolge Mattarellas entscheiden könnten.
Pierluigi Bersani, der während seiner Zeit als PD-Generalsekretär auf diesem Gebiet einige Erfahrungen sammelt konnte (Stichwort: die 101 Heckenschützen, die 2013 Prodis Kandidatur für den Quirinal zu Fall brachten und damit Bersanis Rücktritt bewirkten), fand deutliche Worte: „Ich fürchte, dass mit dem Zan-Gesetz eine Generalprobe für den vierten Gang zur Wahl des Staatspräsidenten (bei dem eine einfache Mehrheit ausreicht, MH) stattfand“.
Der Coup ist leider gelungen, und der Jubel der Senatoren im Rechtsblock galt auch dem Erfolg dieser „Generalprobe“. Legas Chef Salvini und Renzis Vertraute Maria Elena Boschi gaben nach dem Eklat im Senat ein fast wortgleiches Statement ab: Die Arroganz der PD und der 5Sterne sei durch eine herbe Niederlage bei der Abstimmung bestraft worden.
Die „Quirinal-Vorspiele“ im Senat sind also für PD-Chef Letta und den neuen 5SB-Vorsitzenden Conte ein Anlass zur Sorge, zumal sie den Spekulationen über eine mögliche Kandidatur Berlusconis Auftrieb geben. Was bisher politisch unvorstellbar zu sein schien, könnte numerisch zu einer realen Bedrohung werden: wenn Renzi dem alten, skrupellosen „Vater aller Populisten“ bei der geheimen Wahl in Februar seine Truppen zur Verfügung stellt. Ein Alptraum, den nur zwei Personen verscheuchen könnten: Draghi oder Mattarella – wenn einer von ihnen sich doch zur eigenen Kandidatur überzeugen ließe.