Meloni bringt sich in Stellung
„Wir sind bereit! Wir haben die richtigen Ideen und die richtige Mannschaft. Unsere Zeit ist gekommen!“. Auf der Convention der rechtsextremen Partei Fratelli d’ Italia, die im Mailänder Kongresszentrum vom 29. April bis zum 1. Mai stattfand, brachte sich deren Vorsitzende Giorgia Meloni in Stellung, um nach den Wahlen im nächsten Jahr Regierungschefin zu werden.
Die Wahl des Ortes dürfte kein Zufall gewesen sein: die lombardische Metropole gilt als „Revier“ des Lega-Chefs Salvini und ist gleichzeitig Zentrum des wirtschaftlichen Lebens Italiens. Mit ihrer dortigen Präsenz fordert Meloni ihren Konkurrenten um die Führung der italienischen Rechte heraus und sendet an die „produktiven Schichten“ des Landes die Botschaft: „Eure Belange sind auch bei mir gut aufgehoben“.
Während der dreitägigen Veranstaltung, die vor bombastischer Kulisse im Stil US-republikanischer Versammlungen inszeniert wurde – mit blauen Lichtspielen, Rauchschwaden wie bei einem Pop-Konzert und einem Meer italienischer „Tricolori“ – bemühte sich die Parteichefin, programmatische Reife zu demonstrieren und für die personelle Qualität ihrer Mannschaft zu werben. Stets darauf bedacht, sich jenseits aller Elogen für die anwesenden inner- und außerparteilichen „Experten“ auch selbst in Szene zu setzen.
Sie kann sich selbstbewusstes Auftreten leisten, denn ihre Partei führt in den Umfragen, wenn auch fast gleichauf mit der PD, und ihre Beliebtheit rangiert unter den Parteichefs mit 37% auf Platz 1. Gefolgt von Conte (5Sterne) und Letta (PD), während es Salvini mit 24% nur auf Platz 6 schafft.
Wer ist Giorgia Meloni?
In Deutschland schenkte man der FdI-Vorsitzenden, im Vergleich zu den anderen Vertretern der Rechten Salvini und Berlusconi, bisher eher wenig Beachtung. Eine offensichtliche Unterschätzung angesichts ihres anhaltenden Aufstiegs, der sie bald – als erste Ministerpräsidentin Italiens – an die Regierungsspitze führen könnte.
Wer also ist Giorgia Meloni? Wo liegen ihre politische Wurzeln und wie sieht ihr politischer Werdegang aus? Hier ein paar Streiflichter:
Meloni sammelte ihre ersten politischen Erfahrungen in der „Fronte della Gioventù“, der Jugendorganisation des neofaschistischen „Movimento Sociale Italiano/MSI“, als dieser noch von Giorgio Almirante geführt wurde, einem glühenden Anhänger Mussolinis. 1938 gehörte Almirante zu den zehn Unterzeichnern des „Manifests rassistischer Wissenschaftler“, und nach dem ersten Sturz Mussolinis 1943 wirkte er in der sog. „Republik von Salò“ mit, einem faschistischen Reststaat in Norditalien unter der militärischen Kontrolle des Nazis-Besatzer.
Nach Auflösung des MSI (1995) trat Meloni in dessen Nachfolgeorganisation „Alleanza Nazionale“ ein und wurde 2006 als Abgeordnete ins Parlament gewählt. Von 2008 bis 2011 war sie Jugendministerin in der vierten Berlusconi-Regierung, an der auch AN beteiligt war, die sich später auflöste und ganz in Berlusconis „Popolo della Libertà“ aufging.
2012 verließ Meloni die PdL und gründete gemeinsam mit anderen früheren Vertretern von MSI/AN die neue rechtsextreme Partei „Fratelli d’ Italia“ mit christlich-konservativem und souveränistischem Profil. Auf ihrem Logo behielt sie das einstige Symbol der faschistischen Vorgängerpartei MSI, die grün-weiß-rote Flamme, die politische Kontinuität repräsentiert.
Ausflüchte gegenüber dem Faschismus
Meloni weiß allerdings, dass eine rein neofaschistische Nostalgie für den Weg an die Macht untauglich ist. Weshalb sie immer wieder betont, dass sie mit ihrer Partei für eine zukunftsgerichtete Politik stehe. Das Vergangene müsse „im historischen Kontext“ gesehen werden, aus dem sich keine Antworten für die heutigen Herausforderungen ableiten ließen.
In Wahrheit setzt ein zukunftsgerichtetes politisches Handeln historisches Bewusstsein und keine (angebliche) „Geschichtsvergessenheit“ voraus. Und in Wahrheit sind Melonis Ausflüchte, wenn es um ihr Verhältnis zum Faschismus geht, taktisch bedingt, um den militanten Kern ihrer Partei und Wählerschaft bei der Stange zu halten. Mit dem Gerede vom „historischen Kontext“ verharmlost sie die rechtsextremen, rassistischen Wurzeln ihrer Partei, von denen sie sich – anders als Gianfranco Fini, der frühere Leader von Alleanza Nazionale, der sich öffentlich und klar vom Faschismus abwandte – nie wirklich distanziert hat.
Im Gegenteil: Auf den Veranstaltungen von Fratelli d’ Italia – wie zuletzt in Mailand zu Ehren der kürzlich gestorbenen Ehefrau von Almirante – strecken die Anhänger ungeniert den Arm zum faschistischen Gruß („saluto romano“) aus, gern begleitet von dumpfen Duce-Rufen.
Patriotistisch überhöht, sozial rückwärtsgewandt
„Io sono Giorgia! Sono una donna! Sono una madre! Sono italiana! Sono cristiana!“. Diese Eigenschaften, von Meloni auf einer Kundgebung mit dramatischen Pathos in die Menge gerufen, erlangten durch die virale Verbreitung im Netz Berühmtheit und waren Gegenstand unzähliger Satiren. Sie fassen allerdings ziemlich exakt die politische Botschaft von Meloni und ihrer Partei zusammen: Zelebrierung einer vermeintlichen völkischen italienischen Identität und Verteidigung von „Gott, Vaterland und Familie“ (O-Ton Meloni).
Das sind nicht „nur“ effekthaschende Phrasen. Dahinter steht die These des „Austausches des (in diesem Fall italienischen) Volkes“ durch fremde Einwanderer. Meloni ist eine Anhängerin des Glaubens an die sogenannten „Kalengi-Verschwörung“, der vom Holocaustleugner Gerd Honsik verbreitet wurde. Demnach habe der japanisch-österreichische Schriftsteller, Philosoph und Gründer der „Paneuropa-Union“ Kalergi vor Jahrzehnten den Plan entworfen, in Europa durch massenhafte Einwanderung aus Afrika eine „Bevölkerung ohne Identität“ zu etablieren.
Die Verhinderung von Einwanderung aus nichteuropäischen Staaten ist bei den Fratelli d’ Italia – wie bei der Lega – ein zentraler Programmpunkt: Sperrung italienischer Häfen, wie seinerzeit von Salvini als Innenminister praktiziert, Errichtung von Grenzmauern, massenhafte Rückführungen, Ablehnung gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt als „zerstörerisch“ für die nationale Identität.
Weitere Programmpunkte: Verteidigung der „traditionellen Familie gegen die Gender-Ideologie“, Ablehnung der Gleichstellung von Homosexuellen bei Eheschließung und Adoption; Ablehnung einer Sexualerziehung an den Schulen, die gegen die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung sensibilisieren soll; Streichung des Straftatbestands Folter aus dem Strafgesetzbuch („hindert die Polizeibeamten an der Erfüllung ihrer Aufgaben“); Streichung des sog. „Mancini-Gesetzes“, das Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Rassismus und Faschismus vorsieht; Abschaffung des Bürgereinkommens, stattdessen Zuwendungen für Mütter und Kinder.
Außenpolitische Positionen und Ukraine-Krieg
Ähnlich wie Le Pen in Frankreich, die für ein „Europa als Allianz der Nationen“ plädiert, beteuert auch die FdI-Vorsitzende, dass sie keineswegs antieuropäisch, sondern für den Aufbau „eines alternativen Europas“ ist, das „ Subsidiarität und nationale Souveränitäten“ respektiert. Das gegenwärtige Europa habe die „Identitäten der Völker nivelliert“ und sich einer politischen Agenda verpflichtet, die globalistisch, ultra- ökologisch und „arcobaleno“ (sprich schwulenfreundlich) sei. Im EU-Parlament gehört FdI gemeinsam mit der polnischen Partei „Recht und Gerechtigkeit/PIS“ zur Fraktion der „Europäischer Konservativer und Reformer/EKR“, deren Vorsitzende Meloni ist.
Anders als ihr Rivale Salvini mit seinen engen Bindungen zum Putin-Regime hält Meloni Distanz zum russischen Diktator. Sie bekennt sich deutlich zum Atlantismus, warnt aber vor einer Abhängigkeit europäischer Länder von der USA. Europa dürfe sich nicht den amerikanischen Interessen „unterwerfen“, die nicht immer mit denen Europas identisch seien.
Obwohl sie in Italien die (einzige) Oppositionspartei ist, hat FdI vom Beginn des russischen Angriffskriegs an erklärt, „ohne Wenn und Aber“ den Kurs der Regierung mitzutragen, die Ukraine durch Sanktionen gegen Russland und auch durch Waffenlieferungen zu unterstützen. Auch hier unterscheiden sich die Positionen von Melonis Partei von denen der Lega, die sich zwar als Mehrheitspartei letztlich den Entscheidungen Draghis beugt, diese aber immer wieder mit vielen kritischen Vorbehalten öffentlich in Frage stellt.
Melonis Parteinahme für die Ukraine steht unter dem Leitmotiv des Patriotismus und des Kampfes gegen „den Kommunismus“. „Es überrascht nicht, dass die Ukraine gegen das kommunistische Joch kämpft. Wer sein Vaterland liebt, wird auch für seine Verteidigung kämpfen“, erklärte sie in Mailand. Dass Putin und sein Regime mit dem „Kommunismus“ nichts am Hut haben, spielt in Melonis Narrativ keine Rolle.
Die fehlende Distanzierung vom Faschismus und die Verbindung rechtsextremer, reaktionärer Positionen mit dem Anstrich einer „modernen Rechten“ auf der Höhe der Zeit sind charakteristisch für Meloni und ihre Partei. Auch hier gibt es Parallelen zu Marine Le Pen in Frankreich, die mit dieser Strategie bei der Präsidentenwahl – knapp – gescheitert ist (und nun versucht, bei den Parlamentswahlen aufzuholen). Bei Meloni in Italien könnte die Rechnung im nächsten Jahr aufgehen, wenn es ihr vorher gelingt, das zerstrittene Rechtsbündnis unter ihrer Führung zu vereinigen. In Frankreich war es Macron, der Le Pen stoppen konnte. Gegen Meloni in Italien könnte es Draghi sein – wenn er denn antreten würde.