Referendum und Kommunalwahlen: Verlierer und Gewinner
Am 12. Juni waren Millionen Italiener aufgerufen, ihre Stimme abzugeben: auf nationaler Ebene beim Referendum über Fragen, die das Justizwesen betreffen, und in fast 1000 Kommunen – darunter 26 Provinzhauptstädten – bei der Wahl des Bürgermeisters/der Bürgermeisterin und des Kommunalparlaments.
„Justiz-Referendum“ scheitert am Quorum
Die Abstimmung über das „Justizreferendum“ hat sich, wie vielfach vorausgesagt, als Flop erwiesen. Das notwendige Quorum von „50%+1“ wurde eklatant verfehlt: nur 20,9% der Wahlberechtigten beteiligten sich daran. Für die Initiatoren des Referendums – Salvinis Lega und die kleine Partei „+Europa“ von Emma Bonino – eine herbe Niederlage.
Dafür gibt es mehrfache Gründe: Die fünf Fragen, über die mit „Ja“ oder „Nein“ abzustimmen war, betrafen Bereiche, die vielen weitgehend unbekannt sind, sie waren meist „technischer“ Natur und kompliziert formuliert. Hinzu kam, dass auch etliche Mittelinks-Wähler bewusst der Wahlurne fernblieben, um das Referendum am Quorum scheitern zu lassen.
Von den fünf Fragen war eine politisch brisant: sie zielte auf die Abschaffung des „Severino-Gesetzes“ (einer ehemaligen Justizministerin), demzufolge Personen, die in erster Instanz zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt wurden, bis zu 18 Monaten von politischen und administrativen Ämtern auszuschließen sind. Der bekannteste Anwendungsfall dieses Gesetzes war Berlusconi, der 2013 nach seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs sein Senatsmandat verlor.
Erster Verlierer: Salvini
Neben dem gescheiterten Referendum musste Salvini bei den Kommunalwahlen eine zweite Niederlage kassieren. Zwar gelang es insgesamt dem Rechtsbündnis (Forza Italia, Lega, Fratelli d’ Italia) in den größeren Kommunen schon beim ersten Wahlgang 46,2% zu erlangen, vor den 44,3% von Mittelinks. Das war aber nicht der Lega zu verdanken, sondern dem guten Abschneiden von Melonis Fratelli d’Italia.
Besonders bitter ist für die Lega, dass sie auch in ihrem Stammgebiet Norditalien zugunsten von Giorgia Meloni Federn lassen musste. Und erst recht im Süden, wo Salvinis Versuch, den einstigen norditalienischen Separatismus durch eine national-souveränistische Bewegung zu ersetzen, keinen Erfolg hatte.
Bei diesem ersten Wahlgang (am 26. Juni gibt es Stichwahlen) erreichte die Lega als Partei im Durchschnitt 6,7%. Selbst in ihrer Hochburg Verona blieb sie bei 6,4%, und in Palermo, wo der von Berlusconi und Meloni gesponserte Logallo schon im ersten Wahlgang gewählt wurde, kam sie nur auf mickrige 4.8%.
Nicht hilfreich war zudem, dass Salvini kurz vor der Wahl wegen einer geplanten Reise nach Moskau, wo er sich bei Putins Leuten als „Friedenstifter“ andienen wollte, heftig unter Beschuss geriet. Die Reise hatte er weder mit Draghi noch mit seiner eigenen Partei abgestimmt. Sie wurde dann wegen der von allen Seiten hagelnden Kritik (auch von der Lega) abgeblasen. Als Krönung des Ganzen gab die russische Botschaft bekannt, Salvini bei den Einreiseformalitäten „behilflich“ gewesen zu sein und sogar die Flugtickets für ihn besorgt zu haben. Der Legachef beteuerte zwar, das vorgestreckte Geld zurückgezahlt zu haben, doch der Schaden blieb.
Zweiter Verlierer: Conte
Der zweite Verlierer der Kommunalwahlen ist der Vorsitzende der 5Sterne, Giuseppe Conte. Seine Partei landet im Durchschnitt bei 3 bis 4%. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Verankerung der „Grillini“ vor Ort schon immer schwach war und sie bei lokalen Wahlen noch nie wirklich punkten konnten, ist es ein katastrophales Ergebnis. In einigen norditalienischen Städten kamen sie nicht über 1-2% hinaus. Aber auch im Süden, wo die 5SB traditionell besser abschneidet, blieb das Ergebnis hinter den Erwartungen zurück. Besonders schlecht lief es dort für sie, wo sie nicht im Bündnis mit der PD, sondern allein antraten.
Entsprechend hoch ist in der Partei der Frust. Giuseppe Conte kam nicht umhin, die krachende Niederlage einzuräumen. Neben dem Fehlen örtlicher Parteistrukturen und der Vernachlässigung des „territorio“ nannte Conte als Grund auch die „schwierige“ Beteiligung an der Allparteienregierung unter seinem Nachfolger Draghi. „Viele unserer Wähler bedrängen uns, die Koalition zu verlassen, aber wir sind aus Verantwortungsgefühl hineingegangen und werden es gerade in der gegenwärtigen Situation nicht tun“ erklärte er dazu.
Nicht nur an der Basis stehen die Zeichen auf Sturm, auch zwischen den führenden Vertretern der Bewegung fliegen die Fetzen. Besonders Luigi Di Maio, Contes Vorgänger als „capo politico“ der Bewegung und jetziger Außenminister, spart nicht mit Kritik am neuen Leader: Man könne nicht innerhalb der Regierung sein und gleichzeitig, ähnlich wie Salvini, ständig auf sie schießen. Die 5Sterne müssten aufpassen, nicht „zu einer Partei des Hasses zu werden, die sich nach rückwärts radikalisiert“. Conti konterte daraufhin, er lasse sich von Di Maio keine Lektionen erteilen („Jemand, der seinerzeit als ‚capo politico‘ Alleinherrscher war“).
Ordentliches Ergebnis für PD – Meloni weiter im Aufwind
Sind die Verlierer der Wahlen einfach zu identifizieren, stellt sich die Sache im Hinblick auf die Gewinner komplizierter dar. Letta hat zwar gute Gründe, mit dem Ausgang des ersten Wahlgangs zufrieden zu sein. Die PD ist mit 17,2% zur stärksten Partei geworden, sie konnte einige Kommunen zurückgewinnen und hat bei den Stichwahlen am 26. Juni die Chance, diesen Kreis zu erweitern. U. a. auch in traditionell „rechten“ Städten wie Verona, wo sich das Rechtsbündnis auf keinen gemeinsamen Spitzenkandidaten einigen konnte.
Die Freude darüber wird aber getrübt durch die Schwäche der 5SB und ihre internen Querelen. Statt die Zugkraft von Mittelinks zu erhöhen, erwies sie sich eher als Hemmfaktor. Ein Problem nicht nur für sie selbst, sondern auch für Lettas PD. Denn deren stabile Zustimmungswerte bei den Umfragen auf nationaler Ebene und das zufriedenstellende Ergebnis in den Kommunen reichen allein nicht, um bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr die radikale Rechte zu stoppen. Die PD muss daher auf ein Bündnis setzen – mit den 5Sternen als Hauptpartner. Scheitert diese Strategie am Zerfallsprozess der 5Sterne, gefährdet dies die gesamte politische Entwicklung Italiens nach dem Abgang Draghis, der zurzeit noch die Fäden zusammenhält.
Auch die niedrige Wahlbeteiligung (etwas mehr als 54%) könnte darauf zurückzuführen sein, dass viele unzufriedenen „grillinischen“ Anhänger zu Hause geblieben sind. Mit Blick auf die Parlamentswahlen ein weiterer Unsicherheitsfaktor für das Mittelinks-Bündnis.
Wer sich weniger Sorgen zu machen braucht (trotz der auch im Rechtsbündnis wachsenden Konflikte), ist Giorgia Meloni. Von den regierungsinternen Auseinandersetzung bleibt sie als Leader der einzigen Oppositionspartei verschont, sie profitiert vielmehr davon – auf Kosten der Lega und auch der 5Sterne.
Besonders gut schnitt Melonis souveränistische und identitäre Partei „Fratelli d’ Italia“ in Süditalien ab, vor allem in Sizilien. Und dies, obwohl (oder weil?) sich einige ihrer Kandidaten Wahlhilfe direkt von der örtlichen Mafia holten. Einer davon, Francesco Lombardo, wurde aus diesem Grund unmittelbar vor dem Wahltermin verhaftet – und erhielt dennoch einen Haufen Direktstimmen.
Beste Kontakte zur Mafia pflegt auch der gemeinsame palermitanische Kandidat des Rechtsblocks Roberto Logallo, der schon im ersten Wahlgang gegen Mittelinks gewann und damit der Nachfolger ausgerechnet von Leololuca Orlando wird, den sein Kampf gegen die organisierte Kriminalität auch in Deutschland bekannt machte. Als „Kingmaker“ von Logallo gelten zwei Mafiagrößen, die deshalb schon beide rechtskräftig verurteilt wurden: Salvatore Cuffaro, der ehemalige Präsident der Region Sizilien, und Marcello Dell’ Utri, der enge Freund und Berater von Berlusconi. Besonders hoch war der Stimmenanteil für Logallo in Palermos Problemvierteln Zen und Brancaccio, wo die Mafia eine kapillare „Bewerbungsarbeit“ betreibt.
Wahljahr 2023 mit hohem Risikofaktor
Durch das Wahlergebnis fühlt sich Meloni gestärkt und sieht sich schon im kommenden Jahr als Ministerpräsidentin. Was Italien dann zu erwarten hat, fasste sie in einer furiosen Rede im spanischen Marbella auf einer Kundgebung zur Unterstützung der rechtsextremen spanischen Vox-Partei so zusammen:
„Es kann keine Kompromisse geben: Es heißt entweder Ja oder Nein! Ja zur natürlichen Familie, Nein zur Lgbt-Lobby! Ja zum Schutz des Lebens, Nein zur Kultur des Todes! Ja zu den universellen christlichen Werten, Nein zur islamistischen Gewalt! Ja zu sicheren Grenzen, Nein zur Massenmigration! Ja zur Arbeit für unsere Bürger, Nein zur internationalen Finanz! Ja zur Souveränität des Volkes, Nein zu den Brüsseler Bürokraten! Ja zu unserer Zivilisation, Nein zu ihren Zerstörern!“.
Eine „beängstigende Hassrede“ nannte sie PD-Generalsekretär Enrico Letta. Zu Recht. Man kann ihm nur die Daumen drücken, dass seine Strategie des „campo largo“ aufgeht. Damit es gelingt, muss er allerdings neben der wegbröckelnden 5SB weitere Partner gewinnen: die Gruppen links von der PD und – nolens volens – auch das sogenannte „liberale Zentrum“ von Renzis Italia Viva und Calendas Azione. Ein schwieriges Unterfangen, da diese beinah täglich beteuern: „Nie mit den 5Sternen!“. Aber alternativlos.