Don Matteo, der Straßenpriester
„Ach ja, diese Geschichte mit dem ‚Straßenpriester‘ …Was denn sonst? Wo sollte ein Priester sonst sein, vielleicht im Empfangssalon?“. Kardinal Matteo Maria Zuppi, frisch gekürter Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz (Conferenza Episcopale Italiana/CEI), sagt es mit dem ihm eigenen, verschmitzten Lächeln.
Die Ernennung des Kardinals und Erzbischofs von Bologna zum Leiter des mächtigen Gremiums erfolgte am 24. Mai durch Papst Franziskus auf Vorschlag der Bischöfe. Sie hatten dem Papst zuvor drei Namen empfohlen, den von Zuppi an erster Stelle.
„Endlich eine wunderbare Nachricht!“
Die Reaktionen waren – nicht nur in der katholischen Kirche, sondern in einer breiten politischen und medialen Öffentlichkeit – geradezu euphorisch. Besonders im linken politischen Spektrum, von liberalen Katholiken und sozialdemokratischer PD bis hin zu den Gruppen der sogenannten radikalen Linken. Die Wahl Zuppis an die Spitze der CEI sei „endlich eine gute, eine wunderbare Nachricht“, hieß es vielfach auch in den Medien und sozialen Netzwerken. Manche sprachen sogar von einer „Revolution“.
Die Nachricht sei „mit übergroßer Freude“ gleichermaßen von Gewerkschaften wie Unternehmern, von Linksaktivisten der „centri sociali“ wie von der katholischen Nomenklatur begrüßt worden, schreibt Concita De Gregorio in der „Repubblica“. „Doch das größte und schönste Fest wurde von den Obdachlosen in Trastevere veranstaltet, die sich in ihrer Lieblingsbar versammelten und mit Bier auf das Wohl ihres einstigen Pfarrers anstießen“.
Bei einer solchen (beinah) einmütigen Begeisterung müsste man eigentlich etwas misstrauisch werden. Was ist das für ein Mann, der von allen Seiten so hochgepriesen wird? Womöglich ein Opportunist, der jedem nach dem Mund redet?
„Dialog bedeutet nicht Nachgiebigkeit“
Das Gegenteil ist der Fall. Kardinal Zuppi – hier seinem Chef Franziskus nicht unähnlich – positioniert sich, in seiner unprätentiösen und freundlichen Art, mit einer Glaubwürdigkeit und einer ruhigen inneren Überzeugung, die keine diplomatischen Rücksichten kennt. „Bereitschaft zum Verständnis und zum Dialog sind unerlässlich. Wenn man aber glaubt, Dialog sei mit Nachgiebigkeit gleichzusetzen, dann gute Nacht“ hat er einmal klargestellt.
Was er damit meint, wird deutlich zum Beispiel beim Thema Integration von Migranten und Aufnahme von Flüchtlingen, das ihm besonders am Herzen liegt. 2019, als Salvini Innenminister war und die (rechtswidrige) Linie der „gesperrten Häfen“ verfolgte, stellte sich Zuppi frontal gegen ihn. „Integration und Aufnahme von Geflüchteten sind epochale Fragen, auf die Souveränismus und Populismus Antworten geben, die nicht nur falsch, sondern gefährlich sind“ erklärte er in einem Zeitungsinterview. Diese Position bekräftigte und präzisierte er in dem von ihm und Lorenzo Fassini verfasste Buch „Du wirst deinen Nächsten hassen“ (Untertitel: „Warum wir die Brüderlichkeit vergessen haben. Reflexionen über die Ängste unserer Zeit“), das im November 2019 herauskam (da war er schon Erzbischof von Bologna und Kardinal). Eine Art „Manifest“, das die extreme Rechte in Rage brachte.
„Die Obsessionen des Nationalismus haben das vergangene Jahrhundert vergiftet und zwei Weltkriege hervorgebracht und das Frevel rassischer Überlegenheit, das behauptet, ‚meine‘ Rechte gelten mehr als ‚deine‘ Rechte, verzerrt die Wirklichkeit, postuliert Hierarchien zwischen Menschen und kreiert Sündenböcke, Feinde, internationale Verschwörungen… Heute gibt es weltweit noch viel Hunger, aber man wirft den Menschen – den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen – vor, dass sie vor ihm fliehen, als ob sie selbst für ihre Armut schuldig wären“, heißt es dort unmissverständlich.
Für seine öffentliche Stellungsnahme, er habe nichts gegen den Bau einer Moschee in Bologna – sofern dies unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben geschehe, könne dies die Integration muslimischer Einwanderer erleichtern -, erhielt er eine Flut von Beleidigungen und Morddrohungen.
Keine „Nachgiebigkeit“ also in fundamentalen Fragen, dennoch immer Bereitschaft zum Dialog. Tatsächlich ist Zuppi bekannt als besonders aufmerksamer Zuhörer und begnadeter „Vermittler“. Und vor allem ist er jemand, der die evangelische Botschaft der Nächstenliebe in einer unmittelbaren und ungezwungenen Art zur Richtschnur seiner Handlungen macht.
An der Seite der Ausgegrenzten
Der Kardinal, der von den meisten „Don Matteo“ genannt wird, lernte 1973, als er noch Gymnasiast war, den fünf Jahre ältere Andrea Riccardi kennen, den Gründer der „Comunità Spirituale Sant’ Egidio“, eine geistliche Vereinigung, die sich intensiv und kompromisslos für die Unterstützung von Armen, Obdachlosen, Suchtkranken, Migranten und Flüchtlingen betätigt. Dort bringt sich auch Zuppi mit großer Leidenschaft ein. Ein Engagement, das er nach dem Beginn seiner priesterlichen Karriere – erst als Pfarrer der römischen Santa Maria in Trastevere, wo er 19 Jahre blieb, später als Erzbischof von Bologna – fortsetzte und ausweitete.
1990 vermittelte er, gemeinsam mit Riccardi, im 1975 begonnenen Bürgerkrieg in Mosambik zwischen den Konfliktparteien, was 1992 zum Abschluss eines Friedensvertrages führte. Seitdem sind Zuppi und Riccardi Ehrenbürger von Mosambik.
2006 verlieh Papst Benedikt XVI Zuppi den Ehrentitel „Kaplan Seiner Heiligkeit“ und ernannte ihn 2012 zum Weihbischof in Rom. Papst Franziskus ernannte ihn 2012 zum Erzbischof von Bologna und 2019 zum Kardinal.
Er sei sich selbst im Laufe seiner priesterlichen Karriere immer treu geblieben, erzählt sein geistiger Weggefährte Monsignor Paglia, der in Trastevere Zuppis Vorgänger war. Alle – Gläubige wie Nichtgläubige – seien „irgendwie fasziniert“ von diesem hemdsärmeligen Priester, der auch als Erzbischof in Bologna immer mit dem Fahrrad unterwegs ist, erklärte er.
Die Erwartungen sind hoch
Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Amtsführung des neuen Vorsitzenden der CEI, die auch für den politisch sensiblen Bereich der Beziehungen zwischen Vatikan und italienischem Staat zuständig ist. Franziskus hat in einem Interview mit dem „Corriere delle Sera“ vor der Ernennung seine eigenen Erwartungen an den künftigen Vorsitzenden so formuliert: „Ich möchte vor allem jemanden finden, der in der Lage ist, eine schöne Veränderung („un bel cambiamento“) herbeizuführen“
Vieles spricht dafür, dass Kardinal Zuppi dafür genau der richtige Mann sein könnte. Er tritt für eine Stärkung der Synodalität (was mehr Transparenz und Kollegialität bei Entscheidungsprozessen einschließt) ein, und er will die Rechte von Laien und Lgbt-Menschen innerhalb der Kirche ausbauen. Hier sei „ein Perspektivwechsel“ dringend nötig. Die Kirche müsse „zu allen sprechen und für alle offen“ sein. Eine Haltung, die beim katholischen Klerus – einschließlich der Bischöfe, die ab jetzt unter seiner Leitung stehen – alles andere als unumstritten ist.
Das gilt auch für das besonders dunkle und schwierige Kapitel sexueller Gewalt in der Kirche, wo die Widerstände gegen eine schonungslose Aufklärung und Verfolgung der Straftaten sehr groß sind. Gleich nach seiner Wahl zum Leiter der Bischofskonferenz hat Zuppi angekündigt, genau dieses Thema mit höchster Priorität angehen zu wollen.
Allein das wäre schon ein „bel cambiamento“. Zu dessen Durchsetzung bisher nicht einmal Franziskus selbst – von seinen Vorgängern ganz zu schweigen – die notwendige Härte und Konsequenz aufbrachte.
In diesem Sinne: buon lavoro a Don Matteo! Wenn ihm auch nur ein Teil der Änderungen gelingen würde, die in dem katholischen Kirchenmoloch längst überfällig sind, wäre es bereits ein beträchtlicher Erfolg.