Ein auf Widersprüchen gebautes Bündnis
Vorbemerkung der Redaktion: Am heutigen Sonntagnachmittag ist in Italien eine Entscheidung gefallen, die weitreichende Konsequenzen für den Ausgang der bevorstehenden italienischen Wahlen haben kann. Der Führer des wichtigsten potenziellen Bündnispartners der PD, Carlo Calenda, den man politisch auch als „Liberaldemokraten“ verorten kann, hat seine Unterschrift unter einen Pakt wieder zurückgezogen, den er erst am Dienstag, also vor 5 Tagen, mit Letta geschlossen hat. Nach den gegenwärtigen Umfragen hätte Calendas „Azione“ ca. 6 % der italienischen Wählerschaft in das Bündnis einbringen können. Der unmittelbare Anlass für Calendas Gesinnungswandel scheint die Tatsache zu sein, dass Letta in seinem Bestreben, ein möglichst breites Bündnis gegen die Rechte zustande zu bringen, gestern auch ein Wahlbündnis mit zwei kleineren Parteien schloss, die man in Italien normalerweise als links von der PD stehend betrachtet: „Sinistra Italiana“ von Nicola Fratoianni und „Europa Verde“ von Angelo Bonelli. Dies scheint für Calenda die Grenze der Zumutbarkeit überschritten zu haben, obwohl Letta längst klargemacht hat, dass er mit den beiden Bündnissen zwei unterschiedliche poliitische Absichten verfolgt: Das Bündnis mit Calenda hat das Ziel, mit ihm eine gemeinsame Regierung zu bilden, und enthält deshalb auch schon Grundzüge eines gemeinsamen Programms. Während seine Bündnisse mit den kleineren Parteien, die er auch schon bei denVerhandlungen mit Calenda ankündigte, ausdrücklich keine gemeinsamen Regierung anstreben, sondern nur etwas verhindern sollen: dass die Rechte aufgrund des bestehenden Wahlgesetzes in Wahlkreisen, in denen ein Drittel aller Abgeordneten nach dem reinen Mehrheitswahlrecht gewählt wird, einen Durchmarsch veranstalten kann. Und zwar einen Durchmarsch, der ihr insgesamt eine absolute verfassungsändernde Mehrheit bescheren kann (ganz zu schweigen von den Konsequenzen, die eine rechte Machtübernahme in Italien auch für Europa haben könnte). Die Chancen dafür sind nun leider wieder gestiegen – aus einer schon lange bekannten schlechten Gewohnheit, die auch Mittelinks befallen hat: sich wechselseitig durch Vetos lahmzulegen.
Der folgende Artikel von Stefano Folli, der in der heutigen Sonntagsausgabe der „Repubblica“ unter dem obigen Titel erschien, also gestern noch in Unkenntnis von Calendas neuester Entscheidung geschrieben wurde, erklärt mit einer gewissen Hellsichtigkeit das Dilemma, in das Letta mit dem Versuch seiner zweigleisigen Bündnispolitik geraten ist.
„In dem Handschlag zwischen Letta und dem Duo des Augenblicks, Fratoianni und Bonelli, kann nur dann ein Erfolg gesehen werden, wenn das Ziel die arithmetische Summe der verschiedenen Parteien gegen die Rechte ist. Es ist der PD-Sekretär selbst, der es als ein Abkommen zur ‚Verteidigung der Verfassung‘ oder als ‚Stopp für die Rechte‘ definiert: also nicht um zu regieren, angesichts dessen, dass man sich im Gespräch – so wörtlich – ‚jenseits der Grenzen des Handlungsfeldes der Regierung Draghi‘ bewegt habe. Woraus folgt, dass durch das Wahlabkommen auch eine Position legitimiert wird, welche die sogenannte ‚Agenda Draghi‘ negiert, das heißt die mit dem PNRR verbundenen Verpflichtungen, die Gasanlagen, die auch militärische Unterstützung der Ukraine im Rahmen der Nato: also die Themen, zu denen die Achse Fratoianni-Bonelli die entgegengesetzte Haltung von Letta einnimmt. Insbesondere ist es fast das Gegenteil dessen, was durch den kürzlich abgeschlossenen Pakt Letta-Calenda verabschiedet wurde.
In diesem Fall handelt es sich, wenn man den Pakt ernst nahm, tatsächlich um ein Abkommen mit einer präzisen Regierungsperspektive. Natürlich kann einem diese Auflistung konkreter Punkte im Kielwasser der Draghi-Regierung gefallen oder missfallen. In ihr kann – wie schon gesagt und geschrieben wurde – eine Übernahme rechter Positionen gesehen werden, oder – was wohl eher der Wahrheit entspricht – der Versuch zur Definition eines sicherlich noch zu überprüfenden Reformprogramms, mit dem sich Mittelinks ein Profil zulegt, das es bis zum 25. September erkennbar macht. Ein Pakt, der aber leider durch den zweiten mit Fratoianni geschlossenen Pakt dementiert wird.
Der Versuch, das Abkommen von gestern Abend zu einem rein technischen Ereignis kleinzureden, und gleichzeitig zu verstehen zu geben, dass der erste Pakt (der mit Calenda) der eigentlich politische sei, verrät die eigentliche Schwäche der Operation, die offenbar nicht überzeugend ist.
Denn in Wahrheit hat auch der zweite Pakt eine politische Dimension, deren Zeugen notwendigerweise die Kontrahenten sind. Nur dass es sich dabei um eine Dimension handelt, die der anderen so sehr widerspricht, dass daraus nur eine gefährliche Konfusion entstehen kann. Auch wenn in der Politik bekanntlich alles – oder fast alles – möglich ist, wenn es zum Beispiel um Vorteile wie Parlamentssitze geht.
Also könnte Calenda es mit seiner Gruppe auch hinnehmen, mit Sinistra Italiana und Verdi zusammenzugehen – und sich gleichzeitig erzählen, dass die wirkliche Vereinbarung mit der PD die seine ist, und nicht die von Fratoianni. Aber auch das würde nicht aus der Welt schaffen, dass die Realität nicht so strahlend ist, wie es der Leader von ‚Azione‘ ein paar Tage lang glauben machen wollte. Daher bleibt die Botschaft an die Öffentlichkeit widersprüchlich, wo doch eigentlich Klarheit notwendig wäre.
Auch das von Romano Prodi angeführte Bündnis (das ‚Ulivenbündnis‘, Anm. Red.) trat 2006 mit einer wenig kohärenten Koalition an. Es waren allerdings andere, in mancher Hinsicht einfachere Zeiten. Es gab damals nicht, wie heute, einen Krieg vor den Toren Europas, der alles komplizierter und dramatischer macht. Wie auch immer: Vor sechzehn Jahren genügte der Wahlpakt, um Berlusconi zu besiegen, aber nicht, um zu regieren. Denn das Bündnis zerbrach nach weniger als zwei Jahren. Jetzt entwickelt sich alles schneller. Und es scheint klar zu sein, dass die Alternative aus zwei Wegen bestand bzw. vielleicht noch besteht.
Der erste: Letta entscheidet sich für ein Reformprogramms liberaldemokratischer Prägung und versucht, auf dieser Basis die Rechte zumindest zu bremsen. In dem Bewusstsein, dass dies in jedem Fall zu einer fühlbaren Erneuerung von Mittelinks führen muss.
Der zweite Weg: Letta fügt alle Puzzleteile einer vordergründigen Einigung gegen die Rechte zusammen. Eine solche Operation wäre allerdings nicht in der Lage, eine realistische Regierungsoption zu generieren, und würde die PD von der Draghi-Ära entfernen. Aber es käme zur Bildung einer Front und würde für die Partei eine Garantie ihrer Position im Rahmen der traditionellen Gleichgewichte der Linken bedeuten.
Im zweiten Fall wäre es plausibel, dass Calenda – nicht aber +Europa (der Name einer kleinen proeuropäischen Partei. die von Emma Bonino geführt wird und mit der sich Calenda zusammengetan hat, Anm. Red.) – zur alten Strategie des ‚dritten Pols‘ zurückkehrt. Es wäre aber auch nicht verwunderlich, wenn er stattdessen dem Ruf folgt, Verantwortung zu zeigen und das Bündnis nicht zu spalten. Im Hintergrund wartet Renzi, der – er tut es tatsächlich! – seine eigene Liste vorbereitet.“