Was wird aus Europa, wenn die italienische Rechte die Wahl gewinnt?

Was Putin und seine Ratgeber angesichts der bevorstehenden italienischen Wahlen erhoffen, ist für viele Proeuropäer der Alptraum, dass ein Sieg der Rechten die EU in die Existenzkrise stürzen könnte. Aber es werden neuerdings auch ein paar Argumente dafür vorgebracht, dass die Befürchtung vielleicht übertrieben ist.

Ein Bekenntnis und ein Angebot

Das erste Argument lieferte die Rechte selbst, und zwar mit dem verbalen Bekenntnis, das sie am 11. 8. zu Beginn ihres gemeinsamen Wahlprogramms ablegte: „Italien gehört voll und ganz zu Europa, zum atlantischen Bündnis und zum Westen. Mehr Italien in Europa, mehr Europa in der Welt“. Wer so redet, sollte man meinen, kann doch gegen die EU nichts Böses im Sinn haben. Dass es innerhalb der Rechten eine Kluft gibt, die dieses Bekenntnis fast zur Wählertäuschung macht, wird dadurch allerdings nur notdürftig überdeckt. Es ist die Kluft, deren ganze Tragweite der Ukraine-Krieg ans Licht brachte und die gerade in diesen Wochen auch innerhalb der Rechten aufbricht: die zwischen „Atlantikern“, verkörpert durch Giorgia Meloni, und „Putinisten“, verkörpert durch Salvini und Berlusconi. Und angesichts derer sich mancher Proeuropäer insgeheim wünschen mag: Wenn die Rechte schon siegt, dann wenigstens so, dass das Ergebnis Melonis erheblich besser ausfällt als das ihrer beiden Verbündeten.

Das zweite Argument besteht in der Hoffnung, dass Draghi nach den Wahlen – und zwar auch nach einem rechten Wahlsieg – möglicherweise im Spiel bleiben könnte.Ausgerechnet Giorgia Meloni, die sich und ihre Abgeordneten aus der Draghi-Koalition heraushielt, soll ihn derzeit „fast täglich“ anrufen, um sich mit ihm zu beraten. Und zwar nicht, weil er immer noch der Premier ist, sondern weil er weiterhin den Schlüssel zu Europa in der Hand hält. Diese Annäherung scheint auch bei Draghi nicht auf taube Ohren zu stoßen: Auf dem Meeting in Rimini, über das wir im letzten Blog-Beitrag berichteten, hielt er eine Rede, in der er der kommenden Regierung – von „welcher Couleur“ sie auch immer sein werde – überraschend optimistisch die Überwindbarkeit aller Schwierigkeiten ankündigt. Worin Beobachter das Angebot sehen, auch der  neuen Regierung in ihrem Verhältnis zu Europa mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Allerdings unter einer nicht ganz banalen Bedingung: dass der Souveränismus nicht zur Leitlinie der italienischen Politik gegenüber Europa wird.

Europa ist solidarischer geworden

Das dritte Argument verweist auf die inzwischen eingetretene Weiterentwicklung der EU. Nachdem sie schon vor anderthalb Jahren mit dem Next Generation-Plan über ihren Schatten sprang, hat sie sich in diesem Juli eine neue Regel gegeben, welche den Mitgliedsländern im Krisenfall die Annahme finanzieller EU-Hilfen erleichtert. Die renommierte Ökonomin Lucrezia Reichlin, die unter Draghis Vorgänger drei Jahre lang Forschungsdirektorin an der EZB war, hat diese neue Regel am 24. Juli im „Corriere della Sera“ so erklärt: Es handele sich um „die Ankündigung der EZB, über ein neues monetäres Instrument zu verfügen: das Transmission Protection Instrument (Tpi). Es erlaubt Frankfurt den flexiblen Erwerb von staatlichen Titeln, um die Zinsen zu stabilisieren, wenn es zu einem exzessiven Rückzug von Investitoren aus Ländern kommt, die – wie Italien – als Länder mit höherem Risiko betrachtet werden“. Was in Europa Schritt für Schritt nach der Finanzkrise, der Pandemie und der heutigen Energiekrise entstehe, sei ein neuer Vertrag zwischen den Ländern. Schon bei der Antwort der EU auf Covid – dem Next-Generation-Plan – sei ja deutlich geworden, „dass Solidarität nicht nur möglich, sondern ein fundamentales Prinzip der EU ist.“ Den Mitgliedsstaaten werde allerdings – bei aller Souveränität – abverlangt, dass sie sich für einen Weg der Reformen engagieren, „dessen Prinzipien und Modalitäten im Dialog mit Brüssel festgelegt werden müssen, in dem die Gesichtspunkte der Kommission mit denen der nationalen Regierung auf konstruktive Weise integriert werden. Aber in dem sich die Länder, wenn die Vorgehensweise erst einmal abgesprochen ist, zur Einhaltung der gefassten Beschlüsse verpflichten.“

Damit sei man „weit weg sind von der griechischen Krise, als die Anleihen mit der Pistole am Kopf den Ländern gewährt wurden, an die sie ausgezahlt werden sollten, unter Anknüpfung an die verhängnisvolle – und heute revidierte – Tradition der bedingten Finanzierungen durch den Internationalen Währungsfonds für Entwicklungsländer.“ Hinter sich gelassen habe man damit auch das 2012 von Draghi geschaffene Notinstrument Outright Monetary Transaction (Omt), das dazu dienen sollte, gezielt öffentliche Schuldverschreibungen einzelner Länder zu erwerben. Das Instrument sei jedoch niemals eingesetzt worden – zum einen, weil damals allein schon seine Ankündigung die Märkte beruhigte, zum anderen aber auch deshalb, weil das Land, das sie beantragt hätte, sich auf ein von den europäischen Behörden auferlegtes und überwachtes Programm einlassen musste, was eine Teilaufgabe der eigenen Souveränität bedeuten würde. Um das neue Tpi zu aktivieren, würden jedoch „keine besonderen Bedingungen gestellt, um das Land wieder auf die richtige Bahn zu bringen, sondern nur die Konformität mit der Gesamtheit der Regeln gefordert, die die EU-Länder verbinden.“ Was Reichlin mit dem Hinweis verbindet, dass dieses Prinzip heute auch von Ländern „wie Deutschland“ akzeptiert werde, „die bisher Anhänger eines eher strafenden Systems waren“.

Die Hoffnung auf Domestizierung

So wie Draghis Angebot, jeder neuen Regierung, welcher „Couleur“ auch immer, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, an die Bedingung geknüpft war, dass sie nicht der Versuchung des „Souveränismus“ erliegt, lebt Reichlins Optimismus von der Hoffnung, dass es ein verbesertes EU-Angebot auch der Rechten erleichtern müsse, sich im gemeinsamen Haus der EU wohnlich einzurichten. Aber auch Reichlin ist bewusst, dass dies kein Automatismus ist.  So kann auch sie nicht auf die Mahnung verzichten, dass mit den neuen Regeln die Anforderungen an die Mitgliedsländer wüchsen, in „europäischem Geist“ zu handeln, d. h. die Bereitschaft zu Solidarität, gegenseitiger Rücksichtsnahme und Verlässlichkeit zu erhöhen. Um in der EU gehört zu werden, werde künftig die „Glaubwürdigkeit einer Regierung“ noch wichtiger sein.

Dass diese Anforderung Putinisten wie Salvini und Berlusconi überfordert, liegt auf der Hand. Ob dies auch bei Meloni der Fall ist, wird sich noch zeigen müssen.

Die Vergangenheit spricht nicht unbedingt dafür. So haben bisher Melonis Abgeordnete im Europa-Parlament stets mit Nein gestimmt, wenn es in den Abstimmungen um das Next Generation-Projekt ging. Und auch ein genauerer Blick auf  das gemeinsame Wahlprogramm der vereinigten Rechten, das angeblich vor allem Melonis Handschrift trägt, kann die Zweifel nur verstärken. Denn nach der wohltönenden Präambel und der angekündigten Einführung eines Präsidialsystems kommt „das Kleingedruckte“, und da werden gefordert:

  • eine Änderung von Art. 117 der italienischen Verfassung, die es der gesetzgebenden Gewalt nicht mehr (wie bisher) auferlegt, ihr Handeln auch an den „internationalen Verpflichtungen“ des Landes auszurichten;
  • eine „Revision“ des Next Generation EU-Programms, die mit Melonis früherer Kritik am Euro zusammengesehn werden kann, der „die Italiener arm gemacht“ habe;
  • erweiterte Möglichkeiten für den italienischen Staat, den Erwerb „strategischer Unternehmen“ durch Nicht-Italiener zu verhindern.

Was Meloni außerdem fordert, aber nicht in das gemeinsame Programm aufgenommen wurde, ist eine gegen die Migration gerichtete „Seeblockade“, die nicht nur einen eklatanten Verstoß gegen das internationale Recht, sondern auch gegen das EU-Recht bedeuten würde.

In der „Repubblica“ schrieb kürzlich eine Journalistin, dass die „autoritäre Wende nicht immer wie ein Tsunami…, sondern oft auch in Samtpantoffeln kommt, wobei das Bestehende Baustein für Baustein verändert wird“. Auch Viktor Orban, Melonis bisheriges Vorbild, ging so vor. Und ist es wirklich nur nostalgische Sentimentalität, wenn sich Meloni bis heute weigert, die Flamme, die in Mussolinis Mausoleum brennt, aus ihrem Partei-Logo zu entfernen?    

Mario Draghi ist da vielleicht optimistischer, und es gibt ja auch Beispiele dafür, dass die Verantwortung eines Amts den Menschen zum Positiven verändern kann. Bei seinem Außenminister Di Maio ist es so gewesen. Hoffentlich behält er damit auch Recht, wenn Giorgia Meloni neue Ministerpräsidentin wird.