PD in der Krise

Ganz gleich, auf welche Schwierigkeiten jetzt die italienische Rechte stößt, eine handlungsfähige Regierung auf die Beine zu stellen: Die große Verliererin der gerade stattgefundenen Wahl ist die PD. Die Weichen in Richtung Niederlage wurden schon vor Wochen gestellt, als der Versuch scheiterte, gegen den sich abzeichnenden Wahlsieg der vereinigten Rechten einen „Campo largo“ von ganz links bis zum Zentrum zusammen zu bringen – eine „Einheitsfront“ hätte man vor knapp 90 Jahren gesagt, als sich Kommunisten und Sozialdemokraten angesichts des Faschismus endlich (wenn auch zu spät) dazu durchrangen, nicht mehr den Hauptgegner im jeweils Anderen zu sehen. Der Plan eines solchen „Campo largo“ war auch diesmal vernünftig, aber setzte bei den erhofften Bündnispartnern die Einsicht voraus, dass der Sieg der Rechten die gegenwärtig größte Gefahr darstellt. Sie war nicht vorhanden, weder bei Contes linkspopulistischer 5-Sterne-Bewegung (5SB) noch bei dem „Terzo Polo“, der neuen Kraft im Zentrum, für die es beide wichtiger war, sich gegenüber der PD zu behaupten. Was ihnen dann auch halbwegs gelang – der 5SB mit mehr Erfolg als der „Terzo Polo“, aber beide vor allem zu Lasten der PD, die bei 19 Prozent stagnierte. Dass dadurch die Rechte aufgrund des Wahlgesetzes einen Kantersieg landen konnte, wurde als weniger wichtig in Kauf genommen.

Krisensitzung des PD-Direktoriums

Wes Geistes Kinder die Führer dieser Konkurrenzunternehmen sind, zeigt der Kommentar von Renzi, der nach der Wahl nicht etwa den Sieg der Rechten beklagte, sondern sich sofort in Siegerpose warf: „Die PD, wie wir sie kannten, ist am Ende. Das muss uns endlich voll bewusst werden: Die PD ist die Vergangenheit dieses Landes.“ Renzi, der bei dieser Wahl mit seinem neuen Kumpel Calenda Italiens „Dritten Pol“ aus der Taufe hob, hatte damit gloriose 7,8% eingefahren. Im EU-Parlament zählt er sich – mit Calenda – zur Gruppe „Renew Europe“, die auch die europäische Heimat von Macrons „Renaissance“ (immerhin!) und Christian Lindners FDP ist. Sie sei es, verkündete er, der nun die Zukunft gehört. Renzis Ego ist groß: Wo er gerade ist, ist die Zukunft, und wenn ihn etwas angreift, ist es die Vergangenheit.

Die Bündnisgewinner

Dass die Rechte ihre absolute Mehrheit in beiden Kammern der kombinierten Wirkung von Wahlgesetz und Uneinigkeit der Linken verdankt, schrieben wir schon in unserem letzten Beitrag. Zwar werden knappe zwei Drittel der Abgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, aber ein gutes Drittel nach dem Mehrheitsprinzip: Für sie wurden größere Wahlkreise geschaffen (sog. „collegi uninominali“), in denen jeweils die Liste mit der relativen Mehrheit gewonnen hat. Wenn hier die Rechte in jedem Wahlkreis mit einer Liste antreten kann, die fast die Hälfte der Wählerstimmen auf sich zieht, Mittelinks aber mit drei Listen, die sich im Wahlkampf noch wechselseitig bekriegen, ist der rechte Sieg vorgezeichnet. Das Ergebnis war entsprechend: Von den 143 Deputierten, die „uninominal“ in die 400-köpfige Abgeordneten-Kammer zu wählen waren, gehören jetzt 121 dem Rechtsblock an, 12 dem Kleinbündnis um die PD, 10 der 5SB-Liste. Ähnlich sieht das Ergebnis für den Senat aus, wo nur halb so viele Abgeordnete zu wählen waren: Hier wurden von 200 Senatorinnen und Senatoren 74 „uninominal“ gewählt, von denen 59 dem Rechtsblock zufielen, während sich der Rest von 15 Abgeordneten auf die PD- und 5SB-Liste und ein paar Abgeordnete aus den autonomen Gebieten verteilt. Dieser Überhang rechter Abgeordneter ist es, der jetzt der Rechten in beiden Kammern die klare absolute Mehrheit verschafft („Ausgleichsmandate“ wie in Deutschland, die das Wahlergebnis Richtung Proportionalität korrigieren, gibt es hier nicht).

Wählerwanderungen bei den rechten Gewinnern

Die auf den ersten Blick spektakulärste Veränderung ist hier der kometenhafte Aufstieg von Giorgia Melonis „Fratelli d’Italia“, die bei der letzten Parlamentswahl noch bei 4,3 % lagen und jetzt bei 26,3 % angekommen sind. Die Wahlanalysen zeigen, dass ihr heutiges Ergebnis sich überwiegend aus dem Zulauf aus dem rechten Lager selbst speist (die Hälfte ihrer heutigen Wähler hatte 2018 noch Lega bzw. Berlusconi gewählt), während ein Drittel ihrer heutigen Stimmen sich zu gleichen Teilen aus früheren 5-Sterne-Wählern und Nicht-Wählern rekrutiert. Meloni verdankt also ihren Erfolg zum größeren Teil einer Wanderungsbewegung innerhalb der rechten Wählerschaft selbst – die Stimmenanteile sowohl von Salvinis Lega als auch von Berlusconis Forza Italia haben sich beide fast halbiert (ganz zu schweigen von dem Absturz, den Salvini seit den Europawahlen von 2019 erreicht hat, als er auf 30 % der Stimmen kam). Zum kleineren Teil beruht Melonis Erfolg auf dem Zulauf von Leuten, die 2018 noch die 5SB („weder links noch rechts“) gewählt hatten, sich dann aber wieder enttäuscht von ihr abwandten (für sie war also die 5SB ein „Durchlauferhitzer“ für die Wanderung nach ganz rechts). Die Wählerschaft, die noch 2018 Mittelinks gewählt hatte, scheint sich gegenüber den rechten Sirenenklängen als relativ immun erwiesen zu haben – was allerdings nicht ausschließt, dass sie sich voller Hingabe der eigenen Spaltung widmete.

Wählerwanderung bei den Verlierern von Mittelinks

Man muss es sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn es eine reine Verhältniswahl gegeben hätte, wäre die Rechte auf 43,8% gekommen, die Nicht-Rechte, zu der jetzt auch die 5SB zu zählen wäre, jedoch auf 45,9%, wobei die Kleinparteien +Europa (Emma Bonino) und Impegno Civico (Di Maio), die beide an der 3%-Barriere scheiterten, aber zusammen noch einmal auf 3,4% kamen und zum PD-Wahlbündnis gehörten, nicht mitgerechnet sind. Aber das ist hätte hätte…

Als sich im Wahlkampf abzeichnete, dass Lettas Ziel der Bildung eines „Campo largo“ nicht zustande kommen würde, gab es in der PD eine Art Trotzreaktion: Dann wollen wir wenigstens versuchen, stärkste Partei zu werden, was für die Verteilung der institutionellen Ämter, z. B. die beiden Kammerpräsidenten, nicht ganz unwichtig gewesen wäre. Zumindest die Marke von 18,7%, die vor vier Jahren erreicht worden war, sollte deutlich übertroffen werden, ein Minimalziel, von dessen Erreichen Letta seinen Verbleib als Generalsekretär abhängig machte. Das jetzt erreichte Ergebnis von 19% bedeutet das Scheitern dieser Hoffnung. Und damit die Stagnation der PD und Lettas Rücktritt.

Allerdings verdeckt der Begriff „Stagnation“ hier zwei sich gegenseitig aufhebende Bewegungen. Denn der PD ist es diesmal durchaus gelungen, einen Teil derer, die 2018 die 5SB wählten, wieder zu sich herüberzuziehen – die Wahlanalysten sprechen von immerhin 15%. Auf der anderen Seite hat die PD 12% ihrer Wählerschaft an Calendas und Renzis gemeinsame Gründung „Dritter Pol“ verloren, was bedeutet, dass 37% der heutigen Wählerschaft des „Dritten Pols“ noch vor vier Jahren PD wählte. Sie tragen dazu bei, dass sich das politische Profil der neuen Partei als überwiegend mittelinks charakterisieren lässt: Ihre Wähler definieren sich zu 40% als „mittelinks“, zu 35% dem „Zentrum“ zugehörig und zu 12% als „mitterechts“.

Und schließlich die 5-Sterne-Bewegung. Sie hat nur noch ein Drittel ihrer Wähler von 2018 wiedergewählt. Ein weiteres gutes Drittel ist in die Wahlenthaltung gegangen, und von dem Rest haben zwei Drittel die ultrarechte FdI und ein Drittel die PD gewählt. In der geschrumpften Wählerschaft hat die alte Ideologie, „weder links noch rechts“ zu sein (sondern vorne), an Boden verloren: Während sich 2018 nur 29% der Bewegung für „links“ erklärte, sind es heute 44%. So ist die Partei auch in ihrem Selbstverständnis „linker“ geworden, was aber vorerst keine Annäherung an die PD brachte, sondern eher das Gegenteil: Nun wird in der PD vor allem die Konkurrenz gesehen, der auch gleich das Etikett „rechts“ angeheftet wird, wofür Lettas gescheiterter Versuch, auch den „Terzo Polo“ mit dem liberalen Calenda in sein Bündnis124 einzubeziehen, zum ultimativen Beweis avanciert. Ein Widerhall aus dem Kellergewölbe der Geschichte: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“

Das Problem der PD mit der Arbeiterschaft – und mit sich selbst

Die PD nennt sich „sozialdemokratisch“ und bestätigt es dadurch, dass sie vor ähnlichen Problemen wie die anderen europäischen Sozialdemokratien steht. Die soziale Analyse des Wahlergebnisses zeigt es: Die Mittelschicht ist umkämpftes Gebiet: Hier kassierte Meloni 28%, und die PD und die 5SB folgen fast gleichauf mit 17 bzw. 16%. Die Arbeiterschaft ist vorerst verloren: Von ihr haben 45% rechts gewählt (21% FdI, 13% Lega, 11% FI), und nur 18% PD, aber dafür 21% die 5SB. Noch eindeutiger sind die Verhältnisse in der Kategorie „Arbeitslose und Prekäre“: Hier hat die knappe Hälfte (46%) überhaupt nicht gewählt. Von dem Rest, der überhaupt zur Wahl ging, wählten die meisten (29%) die FdI, schon weniger (23%) die 5SB, und 14% die PD.

Nun herrscht in der PD Chaos. Das erste Selbstopfer ist der Generalsekretär: Letta hat sofort seinen Rücktritt erklärt, er will nur noch den Kongress abwarten, der im März enden und mit der Neuwahl seines Nachfolgers eine Art Neugründung der Partei verbinden soll. Einen Vorgeschmack lieferten Donnerstag die 80 Wortmeldungen auf der Sitzung des (124-köpfigen) Direktoriums, bei denen es um die Gründe der Wahlniederlage und erste Folgerungen ging: Die gefundenen Ursachen reichten vom Bündnisversuch mit Calenda, dem Zerfall der Partei in Seilschaften bis zum Machismus, die Folgerungen von einem radikalen Kurswechsel bis zu einem erneuten Anlauf zur Bildung einer Einheitsfront („aber ohne Selbstauflösung!“). Also viele Bekenntnisse, aber wenig Analyse. Am inhaltlichsten war vielleicht noch der Hinweis, dass die PD in einem Jahrzehnt fast ständiger Regierungsbeteiligung allzu viel eigenes Profil verloren habe – so auch in der Regierung Draghi, in der sie sich vor allem dadurch hervortat, noch vorbehaltsloser als die anderen Parteien jede seiner Maßnahmen zu unterstützen.

Was aber vielleicht am meisten über den aktuellen Zustand der Partei aussagt, ist das Verhalten des Mannes, dem die größten Chancen eingeräumt werden, Lettas Nachfolger zu werden: von Stefano Bonaccini, dem Gouverneur der Emilia-Romagna. Von ihm erwartete man, dass er in dieser Sitzung (die im Streaming vor laufender Kamera stattfand) mit einem Frontalangriff gegen Letta seinen Hut in den Ring werfen würde. Stattdessen verließ er schon mittags gruß- und wortlos die Sitzung. Viel mehr Verachtung kann man nicht zeigen.

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