Die PD auf Selbstsuche
Was hat die PD falsch gemacht? Dass sie ihre große Einheitsfront gegen die Rechte nicht zustande brachte, weil sich die beiden von ihr ins Auge gefassten Bündnispartner dafür als zu beschränkt erwiesen, kann nicht die ganze Antwort sein. Denn erstens ist es in der Politik kein abendfüllendes Programm, der Missverstandene und Betrogene zu sein – das undankbare Publikum langweilt sich schnell. Und zweitens hat bei dieser Wahl auch die PD selbst zu viele Federn gelassen, als dass sie jetzt die Schuld nur bei anderen suchen könnte.
Das Heer derer, die diesmal gar nicht erst zur Wahl gingen, war noch nie so groß (40%), und bestand zu einem erheblichen Teil aus enttäuschten PD-Wählern, obwohl ihre Führung vorher alles versucht hatte, um den Menschen einzuhämmern, dass es sich um eine „Schicksalswahl“ handele. Die neuesten Umfragen zeigen, dass das Wahlergebnis noch nicht ihren Tiefpunkt markiert, sondern sich ihr Abstieg seitdem weiter fortsetzt, so dass sie sich nicht mehr damit trösten kann, wenigstens die „zweite Partei“ Italiens zu sein: Die 19%, die noch am 25. September für sie stimmten, sind schon Makulatur, die 5-Sterne-Bewegung holt immer weiter auf, und es gibt Umfrage-Institute, die sie jetzt in diesem Duell schon vorne sehen. Das Chaos, das vor wenigen Monaten noch die 5SB heimsuchte, so dass sie kurz vor ihrer Auflösung zu stehen schien, hat nun die PD erfasst: Ihr Generalsekretär, Enrico Letta, hat seinen Rücktritt angekündigt, obwohl er erst seit anderthalb Jahren im Amt ist. Nun ist sogar von der „Auflösung der PD“ die Rede, oder zumindest von der Notwendigkeit ihrer „Neugründung“. Dazu passt der Rundbrief, mit dem Letta seinen Rücktritt begründet: Es ist ein Dokument der Ratlosigkeit, die nur noch durch prozedurale Geschäftigkeit überdeckt wird: Auf diese Niederlage antworten wir mit einem Kongress, der durch Diskussionen in allen Grundeinheiten vorbereitet wird und letztlich in der Wahl einer neuen Führungsspitze endet.
Fast immer Regierung
Eine zur Zeit häufig zu hörende Erklärung lautet: „Sie hat zu lange regiert“. Darin steckt ein Kern von Wahrheit: Die PD hat Italien seit elf Jahren zumindest mitregiert, ausgenommen die 15 Monate, in denen die 5-Sterne-Bewegung gemeinsam mit Salvinis Lega am Ruder war. Und sie hat es auch dann noch getan, als sie eigentlich längst abgewählt war: So 2019, als sie sich nach der katastrophalen Niederlage von 2018 (sie bekam 19%, die 5SB 33%) Conte als Juniorpartner-Ersatz für eine Neuauflage seiner Regierung anbieten konnte. Was dann in Draghis „Notregierung der nationalen Einheit“ fortgesetzt wurde.
Die PD hatte dafür immer eine noble Begründung, unter Berufung auf eine politische Kultur, die schon ihr mythischer Vorfahre, die KPI, herausgebildet hatte: keine spezifische soziale Interessengruppe zu vertreten, sondern jederzeit darauf vorbereitet zu sein, „Verantwortung für das Ganze“ zu übernehmen. Die PD war die politische Kraft, die am rückhaltlosesten die Regierung Draghi unterstützte, wohl in der Hoffnung, dass damit ein Teil seiner Popularität auch ihr zufallen würde. Was sie anschließend teuer bezahlen musste: Seit Draghi einer Palastintrige zum Opfer fiel, bei der sich Salvini, Berlusconi und Conte wechselseitig die Bälle zuwarfen, steht die PD politisch mit leeren Händen da – für das Verdienst, dem parteilosen Draghi am längsten die Treue gehalten zu haben, konnte sie sich plötzlich nichts mehr kaufen und ist auch ihr inhaltliches Profil eigentümlich diffus geworden. Ein Mangel, den sie bei der Wahl auch nicht mehr dadurch kompensieren konnte, wenigstens den Sieg der Rechten verhindern zu wollen – den Bündnispartnern, die sie dafür gewinnen musste, waren andere Ziele wichtiger. Das Ansehen der PD in der öffentlichen Meinung hat sich dadurch nicht gerade erhöht: Die PD sei die Partei der „Poltrone“ geworden, also der Sessel, an denen Parteifunktionäre kleben, die dies damit begründen, die politische „Elite“ Italiens zu sein.
Ihr sind die Arbeiter abhanden gekommen
Sie versteht sich als sozialdemokratische Partei, der aber das Gleiche geschah wie vielen anderen europäischen Sozialdemokratien auch: Ihr sind die Arbeiter abhanden gekommen. Die Analysen der Wählerschaft und ihrer Wanderungen sind hier überdeutlich: Nur noch ein Fünftel derer, welche die Soziologen der „Arbeiterschaft“ zurechnen, wählt PD. Die Hälfte wählt rechts und der verbleibende Rest eher die 5-Sterne als die PD. Die Menschen, die sie noch wählen, wohnen überwiegend in den urbanen Zentren, es sind vor allem Besserverdienende in den intellektuellen Berufen, die sich noch die dortigen Wohnkosten leisten können. Der PD brachten sie den höhnischen Ruf einer „Ztl-Partei“ ein, das heißt einer Partei der linken Angestelltenaristokratie, die in den teuren verkehrsberuhigten Quartieren („Zone di Traffico limitato“) der historischen Zentren lebt.
Dass der PD die Arbeiter weglaufen, ist keine neue Entdeckung. Ebenso wie der Verdacht, dass sie daran auch selbst mitschuldig sein könnte, was schon vor Jahren zu dem Vorhaben führte, neue Sitze der PD in den „quartieri popolari“ eröffnen, um endlich wieder in Kontakt mit der dortigen „Realität“ zu kommen. Aber da es hier nicht nur die räumliche Nähe war, die fehlte, brachte diese Maßnahme keinen Durchbruch. Linda Laura Sabbadini, die Leiterin des italienischen Statistikamts ISTAT, hat kürzlich in der „Repubblica“ versucht, den Kern des inhaltlichen Versagens der PD zu fassen: „Um die Niederlage der PD zu verstehen, ist Ungleichheit das Schlüsselwort… Was der PD fehlt, ist die Fähigkeit, den Kampf für die Erweiterung der sozialen und bürgerlichen Rechte und die persönlichen Freiheiten zu einem mitreißenden Thema zu machen, bei dem es um das persönliche Leben der Jüngeren, der Frauen und aller geht“. Die Statistikerin rechnete vor: In Italien hat sich in den letzten 10 Jahren der Anteil derer, die in absoluter Armut leben, verdoppelt, bei den Kindern und Jüngeren sogar verdreifacht. Hinzu kommen 15 Millionen, die am Rande dieser Verarmung leben: ein Vierteil der Gesamtbevölkerung, 40% der Menschen im Süden.
Auch die PD kämpfe für „die Rechte der Arbeitenden“, so ihre Selbstvergewisserung. Aber ihre Kritiker werfen ihr vor, dabei wohl vor allem (relativ) abgesicherte Arbeiter mit unbefristeten Verträgen und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst im Auge zu haben, „statt die Millionen von Verlassenen, die täglich auf dem Drahtseil der Gelegenheitsarbeit und der ständigen Unsicherheit balancieren“, so der bekannte Autor und Theaterregisseur Stefano Massini. Massini empfiehlt stattdessen „den wiederholten Besuch von Call-Centern und Rider-Parkplätzen, von den Lagern des e-commerce und den Galaxien der Heimarbeit. Nur so, nach einem auf intensiven und langen Eintauchen in diese Realität darf man wieder das Substantiv Arbeit in den Mund nehmen, ohne dass dies nur eine rhetorische Finte wäre“.
Die Krise der europäischen Sozialdemokratien
Was in der italienischen Linken bisher weitgehend fehlt, ist die Rezeption der Analysen, welche die Krise der sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa zum Gegenstand der Untersuchung machen. Denn dass sich diese Krise nicht nur auf dieses oder jenes einzelne Land beschränkt, ist ja offenkundig, und deshalb auch weniger auf das spezifische Versagen dieser oder jener Parteiführung zurückzuführen, sondern eher auf den Zerfall der Mittelschicht, zu der hier auch die klassische Klientel der PD, die Arbeiterschaft gehört, in die (kleinere) Gruppe der Globalisierungsgewinner und die (größere) Gruppe der Globalisierungsverlierer. Eine solche Analyse liefert zwar noch kein Rezept dafür, wie eine kluge sozialdemokratische Politik den Spagat beider Interessenlagen gleichermaßen bedienen kann, aber arbeitet zumindest schärfer die Aufgabe heraus, wie auch in einer solchen Situation noch der gesellschaftliche Zusammenhalt gewährleistet werden kann. Eine Aufgabe, die allerdings auch gerade das Problem ist.
Die 5-Sterne-Bewegung, die früher „populistisch“ („weder rechts noch links“) genannt wurde und mittlerweile als „linkspopulistisch“ gilt, lehrt die PD inzwischen das Fürchten. Dass sie die Regierung Draghi ein halbes Jahr vor ihrem natürlichen Ableben zu Fall brachte und dabei den Versuch der Bildung einer linken Einheitsfront gegen die Rechtsregierung torpedierte, hat der Rechten eine Machtchance mit möglicherweise katastrophalen Konsequenzen (nicht nur für Italien) eingeräumt. Aber die Insistenz, um nicht zu sagen Penetranz, mit der sie auf der Unantastbarkeit des „Reddito di Cittadinanza“ trotz seiner Schwächen beharrte, hat sie bei den Menschen einen Nerv getroffen. Vor allem für viele Menschen im Süden ist bisher nichts Besseres in Sicht. Dass sie dabei ist, mit dieser Politik die PD links zu überholen, kann für die Zukunft der italienischen Linken auch eine Chance sein. Die Gefahr ist, dass sie ungenutzt bleibt, wenn sie sich weiterhin vor allem nur als Konkurrenten sehen. Dies ist der Schatten, über den sowohl Conte als auch die neue Führung der PD springen müssen.
PS: Die bisherigen Überlegungen lassen sich als ein vorsichtiges Plädoyer für eine sozialpolitische Annäherung zwischen der PD und der 5-Sterne-Bewegung lesen. Außer Betracht geblieben ist dabei allerdings ein Problembereich, der eine solche Annäherung auf massive Weise zu behindern droht: die „außenpolitische“ Frage, ob man den Abwehrkampf der Ukraine gegen Putins Aggression auch weiterhin mit Waffenlieferungen unterstützen soll. Die 5SB verneint es. Auch dies ist eine Frage, die an die „progressive“ Substanz geht: Kann es sich heute eine Linke leisten, auf die Verteidigung von Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen zu verzichten, auch wenn sie jenseits der eigenen Grenzen leben?