Das kleine Haus am See

Die Pfähle der Windkraft sind Horrorbeispiele der Gewalt, wie der Missbrauch von Kindern“ (Vittorio Sgarbi, neuer Staatssekretär im italienischen Kulturministerium).

Das kleine Haus unter Bäumen am See/Vom Dach steigt Rauch./Fehlte er/wie trostlos dann wären/Haus, Bäume und See“ (Bertolt Brecht).

Worin besteht die Schönheit von Gebirgen? In ihrer Wildheit und Unberührtheit, meinen viele, und hängen sich den röhrenden Hirsch am Gebirgsbach an die Wand. Aber die Alpen, an die hier viele denken, sind eine Kulturlandschaft (mit einer jahrtausendealten Almwirtschaft), und Brecht schrieb dagegen das kleine Gedicht „Der Rauch“. Mein Schönheitsempfinden ist irgendwo dazwischen stecken geblieben: Ich finde die Drei Zinnen auch ohne Hütte davor atemberaubend, aber habe von Brecht gelernt, dass der Rauch, der z. B. aus der am Gebirgssee hingekauerten Hütte aufsteigt, Zusätzliches zum Klingen bringen kann, indem er ein Moment menschengemachter Geborgenheit in die Landschaft bringt. Der ästhetische Sinn, so scheint es, hat keine absoluten Maßstäbe, die unabhängig vom Kontext sind, in ihn kann auch das Wissen, die jeweilige Kultur, Gewöhnung und Menschengemachtes eingehen.

Italiens verspäteter Weg in die Energiewende

Die neue italienische Regierung hat ein Problem, das sie nicht einfach mit konservativem Beharren lösen kann: die Sicherung des künftigen Energiebedarfs. Wie alle europäischen Länder steht sie hier unter doppeltem Druck: einerseits der Klimawandel, der sich gerade auch in Italien bemerkbar macht und den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern verlangt; andererseits der Zwang, sich von den russischen Gas- und Erdöllieferungen unabhängig zu machen. Da dem Land vorerst der (französische) Ausweg in die Kernenergie versperrt ist – man kann frühere Referenden gegen sie nicht einfach ignorieren –, weisen im Moment alle Signale in Richtung „Erneuerbare“. Draghi erfand dafür das Ministerium für den „Ökologischen Übergang“, und obwohl es auf der Rechten Trumpisten gibt, die das alles für Übertreibung halten, nahm auch die Meloni-Regierung in ihr Programm das (vage) Versprechen zu einem „nachhaltigen energetischen Übergang“ auf.

Windkraft in Irpinia (Kampanien)

Leicht gesagt, schwerer getan. Es gab Zeiten, da gehörte Italien zur europäischen Spitze, was erneuerbare Energien betrifft. Es war die Wasserkraft, die vor allem im alpennahen Norditalien überreichlich zur Verfügung steht – oder stand, muss man besser sagen, weil die Gletscher, die für Nachschub sorgten, langsam verschwinden. Aber dann begann Italien in dieser Rangliste nach unten zu rutschen, auch wenn es immer noch knapp über dem europäischen Durchschnitt von gegenwärtig 15,2% liegt: 2021 betrug dort der Anteil der aus erneuerbaren Quellen gewonnenen Energie am gesamten Bedarf 18,4%. Was auch im Vergleich zu Deutschland (19,2%) gar nicht so schlecht ist, besonders wenn man berücksichtigt, dass die EU-Richtlinie für dieses Jahr bei mindestens 18% lag. Aber es ist das EU-Ziel, bis 2030 diesen Anteil auf 32% zu erhöhen, was in Italien nur zu erreichen ist, wenn sich die Geschwindigkeit, mit der dort bislang neue Windkraftanlagen installiert wurden, ab sofort vervierfacht und bei den Fotovoltaik-Anlagen sogar versiebenfacht. Am Geld sollte es nicht scheitern: Aus dem PNRR-Fond, den die EU zinsgünstig bereitstellt, soll Italien über 15,9 Mrd. € zur Weiterentwicklung seiner green economy bekommen. Gemeint sind Projekte zur Gewinnung erneuerbarer Energie, für die Wasserstoff-Technologie, für die Effizienzsteigerung digitalisierter Netze und die Infrastruktur der elektrischen Mobilität.

Hindernisse

Es gibt zwei Hindernisse, und beide verweisen auf italienische Besonderheiten. Das erste ist die Bürokratie. Der neue Umwelt- und Energieminister hat ausgerechnet, dass in Italien Neuanlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien in Höhe von 70 Gigawatt erforderlich sind, um das von der EU gesetzte Ziel zu erreichen. An Projekten, dies umzusetzen, fehlt es nicht: Allein 2022 lagen Anträge für die Installierung von Anlagen in den Bereichen Photovoltaik und Windkraft vor, die zusammen auf 300 Gigawatt gekommen wären (dazu gehören 12 Windkraftparks vor Sizilien und Sardinien). Also mehr als genug, um schon jetzt die Vorgaben für 2030 zu erfüllen. Aber genehmigt wurden nur Anlagen, die zusammen 3 Gigawatt erzeugen können – ein Hundertstel dessen, was möglich war.

Die Langsamkeit der italienischen Bürokratie, die alles mit angezogener Handbremse zu bearbeiten scheint, ist sprichwörtlich. Demgegenüber konnte schon die Regierung Draghi vermelden, dass sich unter ihrer Ägide die Genehmigungszeiten „etwa halbiert“ hätten. Aber sie sind immer noch kompliziert genug: Erstens gibt es im nationalen Ministerium für „Umwelt und Energie“ (wie es jetzt genannt wird) zwei Kommissionen, die das jeweilige Projekt für erneuerbare Energie begutachten. Zweitens muss, falls beide Gutachten positiv ausfallen, das Ministerium für Kultur gegenzeichnen. Dann kommen anschließend drittens – und das ist die Hürde, an der bisher die meisten Projekte scheitern – die regionalen Aufsichtsbehörden ins Spiel, in deren Territorium die Anlagen errichtet werden sollen. Denn auch sie verfügen über ein Vetorecht, von dem sie gerne Gebrauch machen, wofür ihnen vor allem zwei Begründungen zur Verfügung stehen: Bei der Photovoltaik ist es der Verbrauch an Fläche, die vielleicht auch landwirtschaftlich genutzt werden könnte, und bei der Windkraft sind es die Schäden für die Landschaft („i danni al paesaggio“), die ihr – real oder vorgeblich – durch die Anlagen zugefügt werden könnten.

Das Argument Landschaft

Damit beginnt eine Auseinandersetzung, welche die Debatte polarisiert, und deren Schwierigkeit auch darin besteht, dass sie auf ästhetischen Urteilen beruht. Wer die entsprechende Diskussion in Deutschland verfolgte, wird sich erinnern, wie hier die „Verspargelung der Landschaft“ die Gemüter erhitzte – in Italien, so scheint es, beginnt sie jetzt, und wird dort noch erbitterter geführt. Zumal es dort ein zweites Motiv gibt, das an dieser Stelle, natürlich mit geflissentlicher Betonung seiner Zweitrangigkeit, vorgetragen wird, obwohl es oft entscheidend sein dürfte: dass sich die Beschädigung der Landschaft auch negativ auf den Tourismus auswirken könnte, von dem das Wohlergehen Italiens ja besonders abhängig ist. Ein Vorbehalt, der gerade den im lokalen Kontext verankerten Aufsichtsbehörden den bekannten NIMBY-Gedanken nahelegt: einverstanden mit der Windenergie, aber not in my backyard.

In der neuen Regierung gibt es Stimmen, die sogar das noch zum ästhetischen Schwerverbrechen erklären. Der in der politischen Rechten angesehene Kunstkritiker Vittorio Sgarbi forderte Anfang November, überhaupt keine neuen Windkraftanlagen mehr zu genehmigen, da die „äolischen Pfähle Horrorbeispiele der Gewalt sind, wie der Missbrauch von Kindern“. Seine Egomanie wäre sein persönliches Problem, wenn er nicht gerade Staatssekretär im italienischen Kultusministerium geworden wäre – von ihm könnte auch politisch abhängen, welche Zukunft die erneuerbaren Energien in Italien haben. Eine rationale Abwägung, ob nicht die Klimakatastrophe das größere Übel sein könnte, ist von ihm nicht zu erwarten.

Das Gegenvotum der Umweltverbände

Es gibt Gegenstimmen. Anfang Dezember schlossen die drei italienischen Umweltverbände Fai, Legambiente und Wwf ein Abkommen, in dem sie feierlich erklären, dass es möglich sei – und möglich sein müsse –, die Sonnenkollektoren der Photovoltaik und die Windkraftanlagen mit der italienischen Landschaft zu vereinbaren. Um zu zeigen, dass dies nicht bedeutet, die Landschaft einfach dem Klima zu opfern, beginnen sie diese Erklärung fast philosophisch: Dass sich das Umsteuern in Richtung erneuerbare Energien auf die Landschaft auswirken werde, stehe außer Frage; die eigentliche Herausforderung bestehe jedoch darin, die „stattfindende Revolution“ nicht passiv über sich ergehen zu lassen, sondern sie unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Kompetenzen zu steuern. Die Landschaft dürfe nicht als „statische Gegebenheit“ begriffen werden, sondern als „Projekt für ein erneuerbares Gemeingut, zu dessen Natur es gehört, von den menschlichen Aktivitäten und den Phänomenen der Natur mit modelliert zu werden, das heute auch durch die Klimakrise verletzt wird“. Damit diese Erneuerung, die aus kultureller, sozialer, ökologischer und somit auch ethischer Sicht erforderlich sei, nachhaltig ist, müsse es allerdings anerkannte Regeln, Kompetenz und wirksame Verfahren und Instrumente geben. Dafür werden Bedingungen genannt, unter anderem

  • Bürgerbeteiligung „von unten“,
  • das Erstellen regionaler und nationaler Landschaftspläne,
  • das Einbeziehen nicht nur ländlicher, sondern auch urbaner Bereiche („historische Zentren“) in die Photovoltaik,
  • die Windkraftanlagen auf dem Festland sollten „harmonisch“ in den territorialen Kontext eingepasst werden, mit dem Schwerpunkt Repowering schon bestehender Anlagen,
  • off shore sollten neue Anlagen in genügendem Abstand von der Küste und voneinander (möglichst in „Fächerform“ gebündelt) installiert werden.

Macht und Schönheit

Die Auseinandersetzung zwischen Staatssekretär Sgarbi und den Umweltverbänden ist dadurch noch längst nicht entschieden. Denn auf der Seite Sgarbis steht die politische Macht, und auch die Gegenfront, zu der sich die drei Verbände FAI, Legambiente und Wwf Italia zusammengetan haben (mit jeweils etwa 100.000 Mitgliedern), ist nicht geschlossen: Es fehlt „Italia Nostra“, der älteste und konservativste Verband, der sich hier bereits offen auf die Seite der Regierung und auch Sgarbis gestellt hat. Und die lokalen Aufsichtsbehörden, die sich bisher schon als der große Hemmschuh für die Erneuerbaren erwiesen haben, dürften sich durch die Auslassungen Sgarbis ermutigt fühlen, an ihrem Kurs festzuhalten.

Dabei hat die Auseinandersetzung auch ihre ironische Seite. Denn der angeblich wertkonservative Einsatz der politischen Rechten für den Erhalt der Landschaft endet abrupt in der Wirklichkeit. Es ist ja gerade auch das wilde Bauen, das die Zersiedelung des gesamten Landes vorantreibt und das bisher vor allem von den wiederholten Amnestien rechter Regierungen unterstützt wurde. Und das, wie zuletzt Ischia zeigte, nicht nur zur ästhetischen, sondern auch zur ganz materiellen Zerstörung der Landschaft beiträgt.