Weihnachten im Haushaltschaos
Im heutigen Morgengrauen hat die Abgeordnetenkammer mit 221 Ja-Stimmen, 152 Nein und 4 Enthaltungen das Haushaltsgesetz für 2023 verabschiedet. Vorausgegangen waren hektische und oft auch nächtliche Sitzungen von Kabinett und Parlamentsausschüssen, um den Gesetzesentwurf in Abgeordnetenkammer und Senat noch fristgerecht (vor Jahresende) einzubringen und so den „esercizio provvisorio“ (eine vorläufige Haushaltsführung) zu vermeiden, der die Spielräume für die Umsetzung der Maßnahmen stark eingeschränkt hätte.
Für die rechtsradikale Regierung von Giorgia Meloni war dies, zwei Monaten nach Amtsantritt, die erste große Bewährungsprobe. Trotz der Verabschiedung auf den letzten Drücker: Sie hat sie nicht bestanden.Der politische Entscheidungsprozess und das ganze technische Verfahren verliefen chaotisch. Was am Ende rauskam, ist ein Sammelsurium einzelner Maßnahmen, ohne inhaltlich-politische Substanz und voll handwerklicher Fehler.
Mit einem Hin und Her von Ankündigungen und Korrekturen, die sich fast im Tagestakt änderten, hatte die Regierung die Parlamentsausschüsse, die sich mit dem Entwurf befassten, an den Rand der Verzweiflung gebracht. Drei Tage vor der parlamentarischen Abstimmung reichte die „Ragioneria di Stato“ (oberste staatliche Buchhaltungsbehörde) noch eine „rote Liste“ mit 44 Haushaltsposten ein, die wegen technischer Fehler oder fehlender Gegenfinanzierung nicht beschlussfähig waren und daher gestrichen oder überarbeitet wurden mussten.
Bei dem entstandenen Zeitdruck kann die Regierung auf die objektiv engen Zeiträume nach dem Regierungswechsel verweisen, nicht aber bei den handwerklichen Mängeln, der inhaltlichen Unzulänglichkeit und dem politischen Zickzack-Kurs, der vor allem Differenzen innerhalb der rechten Koalition geschuldet ist, deren Parteien (Melonis Fratelli d’ Italia, Berlusconis Forza Italia und Salvinis Lega) im Wesentlichen daran interessiert waren, ihre „Steckenpferde“ im Haushalt unterzubringen und somit vor ihrer jeweiligen Klientel „una bella figura“ zu machen.
Keine zukunftsgerichtete Finanzplanung, sondern Belohnungen für eigene Klientel
Zusätzlich erschwert wurde das Ganze durch einen weiteren Faktor: dem Schwanken der Ministerpräsidentin zwischen demonstrativer Entschlossenheit („Ich bin stolz auf diesen Haushaltsplan“) und auffälliger Zaghaftigkeit, wenn es um die konkreten Einzelmaßnahmen ging. An verschiedenen Stellen machte sie Rückzieher oder ließ sich auf dubiose Kompromisse ein. Nur bei dem ihr verhassten „reddito di cittadinanza“ (Bürgergeld) zeigte sie sich unnachgiebig. Insgesamt wirkte sie, trotz des forschen Auftretens, alles andere als selbstsicher, was sich auch an ihren nervösen und ungehaltenen Reaktionen gegenüber Fragen von Medienvertretern zeigte.
Die Sorgen sind berechtigt. Denn das mühsam zusammengeschnürte Haushaltspaket ist alles andere als ein großer Wurf. Nicht nur, weil das Gesamtvolumen (35 Milliarden – Deutschland im Vergleich: 476 Milliarden) bescheiden ist und keine große Sprünge erlaubt, sondern vor allem, weil eine strukturell angelegte Finanzpolitik mit klaren Prioritäten im Entwurf nicht mal im Ansatz enthalten ist. Die Regierung beschränkt sich darauf, mit kurzfristigen Notinterventionen, deren Reichweite meist nicht über ein paar Monate hinausgeht, auf die noch virulenten Krisenherde – Pandemie, Krieg, Energieknappheit, Inflation – zu reagieren. Dafür sind zwei Drittel der Ressourcen (21,6 Milliarden) vorgesehen, was angesichts der Lage nachvollziehbar ist. Dass sich aber keinerlei Ansätze für notwendige zukünftige Veränderungen – zum Beispiel in den Bereichen erneuerbare Energien und industrielle Innovationen – im Haushaltsplan finden, zeugt von Dilettantismus und einem Mangel an politischer Strategie.
Was bleibt, ist eine Aufreihung einzelner Maßnahmen, von denen viele auch noch in die falsche Richtung gehen. Die Bestimmungen zur Ausweitung einer flachen Besteuerung (die sog. flat tax), zur Schuldentilgung für Steuerhinterzieher und zur Begünstigung von Bargeldzahlungen gehören dazu. Sie bedienen die Partikularinteressen von Gruppen und Grüppchen, denen sich die Rechte schon immer besonders verpflichtet fühlte: Selbstständige, Händler, Handwerker und besonders „geschützte“ Lobbys, wie Taxifahrer oder Strandbetreiber.
Und wenn es an mehreren Stellen Rückzieher gab, geschah dies nicht aus eigener Einsicht, sondern aufgrund von Druck von außen. So im Fall der gestrichenen Möglichkeit für Händler, bis zu einem Betrag von 60 Euro elektronische Zahlungen zu verweigern und Bargeldzahlung zu verlangen, die von der EU-Kommission gestoppt wurde. Sie verstoße eklatant gegen die Vorgaben des Recovery Plans, hieße es aus Brüssel, die aus Gründen der Transparenz eine Erleichterung elektronischer Zahlungsmittel vorsehen. Also genau das Gegenteil von dem, was Meloni vorhatte.
Verschwunden ist auch der Passus, mit dem Steuerhinterziehern, die keine bzw. eine falsche Steuererklärung abgegeben haben oder Zahlungen nicht nachkamen, Straferlass gewährt wurde. Hier hatte die Opposition (PD, 5Sterne, Terzo Polo, Sinistra Italiana/Verdi) gedroht, mit massivem „ostruzionismo“ (parlamentarische Verschleppungstaktik durch „non stop“-Redebeiträge) die Verabschiedung des Gesetzes zu blockieren. Geblieben ist die Tilgung aller Steuerschulden bis zu 1.000 Euro für den Zeitraum 2005 – 2015, was schlimm genug ist.
Harte Hand gegen sozial Benachteiligte
Unnachgiebig zeigt sich Meloni gegenüber Menschen, die in Armut leben oder in prekären und unterbezahlten Jobs arbeiten. Die von Mittelinks geforderte Einführung eines Mindestlohns lehnte sie strikt ab, und das Bürgergeld (reddito di cittadinanza) wird stark eingeschränkt: Künftig werden nur Behinderte und Personen, die unter der Armutsgrenze und mit minderjährigen Kindern leben, anspruchsberechtigt sein.
Alle anderen (insgesamt ca. 660.000 ), die keine Beschäftigung und kein Einkommen haben, werden als „occupabili“ („beschäftigungsfähig“) klassifiziert, die dem Arbeitsmarkt zuzuführen sind. Dass die entsprechenden Arbeitsplätze und Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung weitgehend fehlen, interessiert die Regierungschefin nicht. Sie ist sowieso der Ansicht, dass die meisten Bezieher des Bürgergeldes arbeitsunwillige Faulpelze sind, die keine staatliche Unterstützung verdienen. Für sie ist lediglich im Jahr 2023 eine Übergangsregelung vorgesehen, bei der sie die Unterstützung noch sieben Monate weiter erhalten. Ab 2024 wird das Bürgergeld komplett abgeschafft und durch ein neues Unterstützungssystem ersetzt, von dem aber noch nichts bekannt ist.
Die Ressourcen, die durch die Restriktionen beim Bürgergeld frei werden (ca. 950 Millionen), werden dafür verwendet, die Mindestrente von zurzeit ca. 560 auf 600 Euro zu erhöhen – allerdings nur für über 75jährige und nur für das Jahr 2023. Frauen dürfen nur dann schon mit 60 in Rente gehen, wenn sie Angehörige pflegen oder invalide bzw. von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Wenn sie Kinder haben, wird die Altersgrenze – je nach Anzahl der Kinder – zusätzlich reduziert. Eine rückwärtsgewandte Regelung, die Frauen nur dann „prämiert“, wenn sie sich um kranke oder alte Angehörige kümmern und möglichst viele Kinder großziehen.
Beschäftigten mit einem Jahreseinkommen bis 35.000 Euro wird eine Steuerbefreiung von 2% gewährt, bis 25.000 Euro sind es 3%. Bei so niedrigen Einkommen eine viel zu geringe Entlastung. Gleichzeitig weitet die Regierung die flat tax von 15% auf alle Selbstständigen, Händler und Handwerker (die sogenannten „partite Iva“) aus, die ein Einkommen von unter 85.000 Euro vorweisen können. Eine flache – statt einer progressiven – Besteuerung, die auf Kosten von Geringverdienern und abhängig Beschäftigten geht.
Das größere Problem: was im Haushalt fehlt
Nach Meinung des Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli liegt das Hauptproblem dieses Haushalts bei den „versteckten“ Kürzungen in zentralen Bereichen wie Gesundheit und Bildung/Forschung, die dadurch entstehen, dass sie gegenüber dem Vorjahr unverändert bleiben. Angesichts einer Inflation von 17-18% (in Italien) bedeute dies für die Posten, die nicht entsprechend angepasst werden, erhebliche reale Kürzungen. „Daher aufgepasst: Wichtiger noch als das, was in diesem Haushaltsgesetz steht, ist das, was dort fehlt“, warnt der Experte.
Für das öffentliche Gesundheitswesen sind 2023 und 2024 lediglich jeweils 2 Milliarden vorgesehen. Davon dienen 2023 1,5 dem Ausgleich von Energiepreissteigerungen im Gesundheitsbereich und der Deckung von Pandemiekosten (Impfstoffe und Covid-Medikamente). Die Pläne des früheren Gesundheitsministers Roberto Speranza, das Netz für eine gesundheitliche Basisversorgung in der Fläche auszubauen, werden damit ad acta gelegt.
Im Bildungswesen soll 2023 die Zahl der Schulen durch Zusammenführungen von 8.136 auf 6.885 reduziert werden, die Schülerzahlen pro Schule werden von 600 auf mindestens 900 und maximal 1000 hinaufgesetzt. Begründet werden diese Maßnahmen mit dem prognostizierten Rückgang der Schülerzahlen. Die dafür frei werdenden Ressourcen hätten aber auch zur Qualitätsverbesserung und für die individuelle Lernförderung genutzt werden können.
Meloni ist „sehr zufrieden“
Die Opposition kritisiert das Verfahren zur Einbringung ins Parlament als eine „nie dagewesene Schande“. Gewerkschafts- und Arbeitergeberverbände, die Nationalbank, sogar die eigene Buchhaltungsbehörde sowie die meisten Medien zerreißen den Haushaltsentwurf. „Das ganze Verfahren beim Haushaltsgesetz ist objektiv ein Desaster und ein Beleg für Dilettantismus und Improvisation, die ihresgleichen suchen“, so Stefano Cappellini in der „Repubblica“.
Die Ministerpräsidentin reagiert mit Trotz: „Ich bin sehr zufrieden, denn mit diesem Haushaltsgesetz beschränkt sich die Regierung nicht auf buchhalterische Arbeit, sondern trifft bedacht politische Entscheidungen und entwirft in einem Zeitraum von nur einem Monat eine politische Vision“. So kann man die Fakten auf den Kopf stellen. Welche die im Haushalt enthaltene „politische Vision“ wäre, bleibt ihr Geheimnis.