Zerrissenes Italien

Italien bietet zur Zeit ein seltsames Bild von gegensätzlichen Parallelwelten: Während die rechte Regierungskoalition in der Außen- und Europolitik an die Grenzen ihres Unvermögens und ihrer eigenen Widersprüche stößt – was der Linken eigentlich Aufwind geben müsste -, bleibt sie in der Wählergunst vorne – und wie es scheint, vorerst uneinholbar.

Rechter Durchmarsch bei den Regionalwahlen

Am letzten Sonntag und Montag fanden in der Lombardei und in Latium Regionalwahlen statt, die als erster Test dafür galten, wie das italienische Wahlvolk inzwischen den rechten Kantersieg bei den nationalen Wahlen im vergangenen September verdaut hat. Das Ergebnis ist eindeutig: In beiden Regionen siegten die Kandidaten der Rechten mit deutlich über 50%. Konnte sich die Linke in der Lombardei noch trösten, dass dort ja nur jemand wiedergewählt wurde, der schon vorher regiert hatte, war es in Latium bitterer: Hier wurde die Linkskoalition abgewählt (von denen es in den Regionen nicht mehr viele gibt). In beiden Regionen wurden Melonis FdI zur meistgewählten Partei, in Latium sogar mit 34%.

Mittelinks trat wieder gespalten an: In der Lombardei war die PD ein Bündnis mit Contes 5SB, in Latium mit dem „Dritten Pol“ eingegangen, wobei die jeweiligen Kandidaten deutlich abgeschlagen endeten: In der Lombardei waren es 33,7%, in Latium 37,2%. Der PD blieb nur noch eine kleine Genugtuung: Als Einzelpartei kam sie in beiden Regionen auf gut 20%, während die 5SB auf 4% in der Lombardei und 9% in Latium zurückfiel. Entgegen den Umfragen, die der 5SB bescheinigten, die PD bereits überholt zu haben, gibt es nun den Lichtblick, im Parteienspektrum immer noch die „Nummer 2“ und die „führende Kraft“ der Opposition zu sein. Aber auch dies gilt nur mit zwei Einschränkungen: Bei Regionalwahlen war die 5SB schon immer schwach. Und die PD hielt sich nur in den Städten, während sie vor allem in der „Provinz“ hoffnungslos abgeschlagen ist.

Aber das Wichtigste fehlt noch: Die Wahlbeteiligung war noch nie so niedrig, sie hat sich seit den letzten Regionalwahlen noch einmal fast halbiert: In der Lombardei gingen nur noch 41,7% wählen, in Latium 37,2%. Und in einer Metropole wie Rom 33%. Den Politologen fiel dazu nicht viel ein: Diesmal habe beim Wahlkampf die „Leidenschaft“ gefehlt, sagt der eine. Nur noch „ideologisierte“ Wähler seien zur Wahl gegangen, sagt der andere. Der dritte setzt hinzu, dass sich dieser Trend ja eigentlich schon lange abgezeichnet habe.

Melonis Empörungen

Dabei musste Giorgia Meloni in den vergangenen Wochen durchaus Federn lassen. Erst trafen sich am 7. 2. der deutsche Wirtschaftsminister Habeck und sein französischer Amtskollege Le Maire mit Vertretern der US-Regierung, um die EU-Wirtschaft gegen den Protektionismus zu verteidigen, der sich mit den den Plänen der US-Administration zur Inflationsbekämpfung verbindet. Was Meloni vor allem verärgerte: Weder war sie vorher über dieses Treffen informiert worden, noch wurde dazu auch ein Mitglied der italienischen Regierung eingeladen. Dabei hatte Meloni seit ihrem Amtsantritt immer wieder behauptet, über einen ausgezeichneten Draht zu den USA zu verfügen (und dies auch gern all denen unter die Nase gerieben, die ihr vorwarfen, sich in der EU zu isolieren).

Die Beleidigte

Dann kam am 9. 2. der nächste Schlag, diesmal aus der EU. Selenskyj, der an der Sitzung der EU-Ministerpräsidenten teilnehmen sollte, legte auf dem Weg nach Brüssel einen Zwischenstopp in Paris ein, wo ihn Macron und Scholz zum Gespräch erwarteten. Auch dazu war Meloni nicht eingeladen! Obwohl sie doch eigentlich anstrebt, wie Draghi zur (informellen) Führungsgruppe der EU zu gehören, sich aber nun wieder in die zweite Reihe versetzt sieht. Nun verlor Meloni die diplomatische Contenance: Sie berief eine Presskonferenz ein, nur um zu schimpfen, dass es „ein schwerer Fehler war, uns nicht einzuladen“. Was zwei Tage später schon anders klang, denn nun machte sie sich auch gleich zur Sprecherin aller nicht eingeladenen Regierungschefs: „In Paris waren sie zu zweit, die anderen 25 waren nicht dabei. Wenn sie mich eingeladen hätten, hätte ich von diesem Treffen abgeraten“. Um dann ganz grundsätzlich zu werden: „Wer an eine EU erster und zweiter Klasse denkt, in der es die einen gibt, die mehr zählen, und andere, die weniger zählen, der irrt … Man sollte sich an die Titanic erinnern. Wenn das Schiff untergeht, zählt nicht mehr, wie viel Geld du für das Ticket bezahlt hast“. Für eine nationale Souveränistin sind das ungewöhnliche Töne, die aber erst einmal das Tischtuch zwischen Rom und Paris zerschnitten.

Querschläger Berlusconi

Für die Nichteinladung Melonis nach Paris dürfte es noch einen zweiten Grund gegeben haben, den aber nur die italienischen Medien ansprachen: Die gegenwärtige italienische Regierung gilt im Hinblick auf die Ukraine als „unzuverlässig“, da zu ihr zwei Parteien gehören, die sich allzu oft auf Putins Seite schlagen. Die Erregung Melonis über ihre Nicht-Einladung zu dem Pariser Treffen hatte möglicherweise ein weiteres Motiv: ihren Ärger über den Zweifel, in diesem Punkt Salvini und Berlusconi wirklich unter Kontrolle halten zu können.

Am 12. Februar, also mitten in den Regionalwahlen, kam Berlusconis Querschläger (ob er sich davon mehr Wählerstimmen versprach?). Diesmal legte er sich direkt mit Meloni an: „Wenn ich Regierungschef wäre, hätte ich nie versucht, Selenskyj zu treffen. Der hätte doch niemals den Donbass angreifen dürfen … Mein Urteil über diesen Herren (immer wenn Berlusconi von „questo signore“ oder „questa signora“ spricht, drückt es abgrundtiefe Verachtung aus) ist sehr, sehr negativ, denn jetzt werden wir Zeugen der Verwüstung seines Landes und der Hinmetzelung seiner Soldaten und seiner Bevölkerung. Damit es nicht dazu kam, hätte es genügt, die beiden autonomen Republiken des Donbass nicht anzugreifen“. Dann sein Friedensplan: „Der amerikanische Präsident Biden sollte sich Selenskyj vornehmen und ihm sagen: Für dich steht nach dem Ende des Krieges ein Marshall-Plan in Höhe von sechs, sieben, acht Milliarden Dollar bereit, um die Ukraine wieder aufzubauen. Unter einer Bedingung: dass du morgen das Ende der Kampfhandlungen anordnest, weil du von uns danach keine Dollars und keine Waffen mehr bekommst… Nur das kann Selenkyj dazu bringen, den Kampf zu beenden“. Das ist Putin pur: Selenskyj ist der Angreifer, Putin und seine Landsleute im Donbass sind die Angegriffenen. Noch Mitte Oktober hatte er sich bei einem Treffen mit seinen Abgeordneten gerühmt, seine „guten Beziehungen zu Putin wiederhergestellt“ zu haben: Der habe ihm zu seinem Geburtstag 20 Flaschen Wodka und einen „supersüßen Brief“ („lettera dolcissima“) geschrieben, den er ebenso „supersüß“ beantwortet habe. Diesen Mann hatte die Rechte noch im Januar 22 zum Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten nominiert.

Was soll jetzt die Meloni-Regierung mit Berlusconi tun? Zunächst wurde versucht, ihn unter eine Art Quarantäne zu stellen, bei der seinem Parteifreund Tajani, dem Außenminister, die Aufgabe zufiel, ihn nicht mehr nach jeder Eskapade zu dementieren, sondern jeweils das Gegenteil zu verlautbaren. Jetzt aber ist Berlusconi zum internationalen „Fall“ geworden, spätestens seitdem ein Selenskyj-Berater kommentierte, dass „der wahre Wunsch Berlusconis offenbar der Genozid an den Ukrainern“ sei. Er ist auch Meloni in den Rücken gefallen, die jetzt kaum noch Grund hat, sich über ihre Nichteinladung zu dem Pariser Treffen zu empören, und die demnächst nach Kiew reisen will. Nun hat sich auch die EVP, die jahrzehntelang Berlusconis Forza Italia als Mitglied führte, von ihm distanziert und deswegen sogar eine im Juni geplante EVP-Tagung in Neapel abgesagt. Aber solange seine Abgeordneten, mit Tajani an der Spitze, sich nicht von ihm distanzieren, sitzt auch Meloni in der Falle. Sie werden für die parlamentarische Mehrheit gebraucht.

Sanremo

Dann kam vom 7. bis 11. Februar Sanremo. Fünf Tage lang brach über Italien eine Gegenwelt herein: das Festival, das dort jährlich im Hotel Ariston stattfindet und für die Italiener „zu einem Teil ihrer DNA“ geworden ist. In dieser Gegenwelt wurde aus vielem, was insbesondere der Rechten heilig ist, Kleinholz Es wurden nicht nur Blumengebinde zertrümmert und öffentlich schwule und lesbische Zungenküsse zelebriert, sondern auch die klassische Trennung von Unterhaltung und Politik aufgehoben – Amadeus, der Moderator und künstlerische Leiter, hatte das Festival unter das „Leitmotiv Freiheit“ gestellt. Zum Eröffnungsabend lud er Roberto Benigni ein, den Regisseur und Hauptdarsteller von „La vita è bella“, der sofort die antifaschistische Stoßrichtung der Verfassung hervorhob, indem er Teile des Artikels 21 vorlas, der im Widerspruch zur faschistischen Tradition Meinungsfreiheit garantiert. Und vor dem dabei der freundlich lächelnde Staatspräsident saß, der würdige Herr mit den weißen Haaren, der als Überraschungsgast des Abends mit einer nicht endenden Ovation begrüßt worden war. Und der dann auch noch die von Gianni Morandi angestimmte Nationalhymne mitsang (Amadeus hatte ihn als Komoderator gewonnen). An einem Abend trat die farbige Volleyballspielerin Paola Egonu auf, um dem Publikum zu erklären, dass Italien noch lange nicht den Rassismus überwunden habe, an einem anderen Abend zerriss der Rapper Fedez ein Foto von Melonis stellvertretendem Verkehrsministers Bignami, auf dem dieser in Nazi-Uniform posiert hatte. Eigentlich sollte zum Programm auch noch eine Videobotschaft Selenskyjs gehören, wogegen aber Pazifisten 80.000 Unterschriften gesammelt hatten – so dass Amadeus am letzten Abend nur einen Brief von ihm vorlas.

Damit war die Rechte herausgefordert, nun auch ihrerseits ein Teil des Spektakels zu werden. Was ihr dabei Kopfschmerzen bereiten musste, waren die Präsenz Mattarellas am ersten Abend, die dem Festival seinen Segen gab, und Einschaltquoten von 65%, welche die RAI an diesem und an den folgenden Abenden erzielte. So gab es von dieser Seite wenig offene Kritik, aber nur schlecht unterdrückte Wut: Salvini kommentierte, Mattarella habe sicherlich das Recht, sich auch mal zu „zerstreuen“, aber „die Verfassung verteidigt man nicht von der Bühne des Ariston aus“ (als guter Deutscher hätte er hinzugefügt: Bier ist Bier, und Schnaps ist Schnaps, und das hat auch für die Verfassung zu gelten). Wenigstens konnte er es sich einen kleinen Freundschaftsdienst für seinen Gönner Putin nicht verkneifen: Dass Selenskyj bei dem Festival keinen persönlichen Auftritt hatte, tue ihm „nicht leid“, denn „der Krieg gehört nicht nach Sanremo“. Der rechte Kunstkritiker und Staatssekretär Vittorio Sgarbi, der sonst unerschrocken gegen Windräder kämpft, meinte diesmal, dass es sich bei Sanremo um eine PD-Veranstaltung gehandelt habe, bei der die Veranstalter vergaßen, den „Wählerwillen zur Kenntnis zu nehmen“. Ansonsten hört man aus Kreisen der FdI, dass demnächst in der RAI ein paar Köpfe rollen werden. Das zerrissene Nazi-Foto von Bignami braucht eine Antwort.

Das Bild, das Italien gegenwärtig bietet, ist düster. Obwohl sich die Rechte immer tiefer in ihre eigenen Widersprüche verwickelt, hält sie sich an der Macht. Angesichts der Gespaltenheit der Linken wird sich daran in absehbarer Zeit wenig ändern. Die große Unbekannte in dieser Rechnung ist die „Gegenwelt“ von Sanremo, Aber die befindet sich noch im stand by-Modus.

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