Zurück in die soziale Wirklichkeit
Vorbemerkung der Redaktion: Das folgende von uns (in Auszügen) übersetzte Interview mit der neuen Generalsekretärin der PD veröffentlichte die „Stampa“ in ihrer Ausgabe zum 1. Mai. Es zeigt Schleins Absicht, die PD aus dem Ghetto einer verbürgerlichten Partei herauszuführen, die den Ruf hat, den Kontakt zur sozialen Realität verloren zu haben, und deren Wählerschaft allzusehr auf ein Segment des Bürgertums geschrumpft sei, das noch „links“ gesonnen ist. aber es sich leisten kann, in den feineren verkehrsberuhigten Quartieren der urbanen Zentren zu wohnen. Während die klassische Klientel der PD, die Arbeiterschaft, entweder nicht mehr zur Wahl geht oder Opfer der sozialen Demagogie der Ultrarechten geworden ist. In das Spektrum derer, die Schlein anspricht, gehören auch die Ärmsten der Armen, die sich im Süden bisher mit dem Bürgergeld über Wasser hielten, sowie die Hunderttausenden von Jugendlichen, denen nur die Annahme einer prekären Zeitarbeit (Beispiel: „Rider“) bleibt, bis zu den digitalen Homeworkern.
Das Interview
Was ist die Substanz des Projekts, das Ihre PD für die italienischen Lohnabhängigen hat?
„Zuallererst: Schluss mit der schlecht bezahlten und prekären Arbeit. Es gibt Millionen von Lohnabhängigen, die nicht genug zum Mittag- und Abendessen haben. In Spanien wurden die Zeitarbeitsverträge durch ein Abkommen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften begrenzt, das hier richtungsweisend ist…“
Der Kampf gegen das Prekariat, zu dem auch Präsident Mattarella aufruft, scheint in einer Zeit zu scheitern, in der es immer weniger Arbeit gibt und eine Wende notwendig ist.
„Wir brauchen ein Gesetz zur Repräsentanz, das den Abschluss von Kollektivverträgen begünstigt und als ersten Feind die außertariflichen Verträge (Schlein nennt sie „Piratenverträge“. AdR) aus der Welt schafft, welche die Ausbeutung legitimieren. Außerdem fordern wir einen Mindestlohn, also eine Grenze dafür, was noch Arbeit genannt werden kann und wo die reine Ausbeutung beginnt.“
Wo liegt diese Grenze?
„Unser Vorschlag gibt allen das Recht zu repräsentativeren Kollektivverträgen, und fordert gleichzeitig, mit den Sozialpartnern eine legale Mindestgrenze einzuhalten, die bei 9,50 liegt und über die wir noch diskutieren können.“
Darüber könnte ein Einvernehmen erreicht werden, das alle Oppositionsparteien von Sinistra Italiana über die 5Sterne bis zur Azione umfasst, aber hier wird jetzt vor allem darum gestritten, wer es als erster sagte und wer den besseren Vorschlag hat. Ist hier noch ein gemeinsamer Kampf möglich?
„Unbedingt. Die Gesetzesentwürfe sind im Parlament terminiert, die Fraktionen können daran im Ausschuss arbeiten. Es bleibt ein Thema, bei dem sich die Kräfte vereinen lassen.“
Wir sind das Land mit tausend industriellen Krisen und immer weniger sozialen Rettungsringen, aber die Linke scheint nicht darauf vorbereitet zu sein… Der PD wird vorgeworfen, sich von traditionellen Arbeitsorten wie den Fabriken weit entfernt zu haben… Die schwierige Frage lautet: Wie kann man wieder einen Zugang zu den Arbeitern und Angestellten finden, die nur tausend Euro verdienen, und zu denjenigen, denen es noch schlechter geht?
„… Da wird einiges an Anstrengung nötig sein, auch nach den von der PD gemachten Fehlern wie dem Jobs Act, die zu ihrer Entfremdung von der Arbeitswelt führten. Aber noch einmal zu unserem Vorschlag: Begrenzung der befristeten Arbeitsverträge, Repräsentanzgesetz, Mindestlohn, Abschaffung der unbezahlten Praktika für Berufsanfänger. Letzteres ist ein Kampf der PD-Jugend, den die gesamte Partei unterstützt. Es gibt eine paternalistische Politik, welche die Jugendlichen nicht ernst nimmt, die es nicht schaffen, das Elternhaus zu verlassen, weil ihnen draußen nur noch prekäre und schlecht bezahlte Tätigkeiten angeboten werden. Die Regierung hat jetzt auch noch die 330 Millionen Unterstützung für die Miete gestrichen, deren Wiedereinführung wir fordern, denn das Recht auf Wohnung gehört zum gleichen Thema. Und es gibt hier auch einen Zusammenhang mit dem Geburtenrückgang, von dem die Regierung behauptet, ihn bekämpfen zu wollen.“
Wieso „behauptet“? Auch im Gesetzesdekret zum 1. Mai wird es neue Hilfen für Leute mit Kindern geben.
„Weil sie nichts verstanden haben, wenn sie meinen, dass dafür steuerliche Anreize ausreichen. Was wollen sie den jungen Generationen sagen, die einen Arbeitsvertrag für ein oder zwei Monate bekommen und nicht wissen, ob sie ihn noch einen Tag später haben werden?Hier fehlt noch ein weiterer Mosaikstein: Es muss neue Regeln für den Schutz der digitalen Arbeit geben.“
Ist das nicht ein Punkt, in dem auch die Gewerkschaften hinterher hinken? Die eher darauf eingestellt sind, den Arbeitsschutz des letzten Jahrhundert zu verteidigen, aber die Waffen vor einem Algorithmus strecken?
„Hier gibt es Verspätungen, aber es wurden doch wichtige Fortschritte dabei erzielt, auch Tätigkeiten gewerkschaftlich zu erfassen, die so konstruiert sind, dass sich hier die Beschäftigten nie begegnen. Es ist unakzeptabel, dass im Jahr 2023 ein Rider seine Wohnung ohne Versicherung und Krankenschutz verlässt und im Akkord ausgebeutet wird. Man muss die Algorithmen transparenter machen, denen diese Arbeitnehmer unterworfen sind… Dann gibt es das Sicherheitsproblem: Hier sind präventive Investitionen notwendig, für die die Unternehmen verantwortlich sind, und entsprechend ausgebildete Arbeitnehmer. Es gibt Hunderte von Leuten, die dafür Inspektoren werden könnten, aber immer noch auf ihre Einstellung warten.“
Wollt ihr gegen das Dekret zum 1. Mai stimmen, auch wenn es Steuersenkungen und Hilfen für die Familien enthält?
„Das angekündigte Dekret ist eine unerträgliche Provokation. Es nimmt den künftigen Generationen ihre Zukunft und verdammt sie zum Prekariat. Die Steuererleichterungen sind schlicht unzureichend, wenn wir berücksichtigen, dass im ersten Trimester dieses Jahres die Inflation die Lohnerhöhungen um 7 Punkte übertraf. Man spricht von der Ausweitung der Voucher (durch Gutscheine vergütete Gelegenheitsarbeiten, AdR) und der Liberalisierung befristeter Arbeitsverhältnisse – das genaue Gegenteil dessen, was nötig ist. Dies ermöglicht, sich durch Vereinbarungen zwischen den Partnern aus den großen Verträgen auszuklinken, aber es gibt keine Gleichheit der Kräfte zwischen dem, der Arbeit anbietet, und dem, der sie braucht. Mit diesem Dekret werden die Lohnabhängigen noch erpressbarer werden …“
Giorgia Meloni sagte: „Wir wollen an diesem Festtag die Lohnabhängigen ehren und die Antworten geben, die sie erwarten“.
„Das sind keine Antworten. Dafür müsste es eine wirkliche Senkung der Steuern auf Arbeit geben, was nur durch einen Bruch mit rechten Tabus erreichbar wäre: eine Umverteilung der gesamten Steuerlast und ein wirklicher Kampf gegen Steuerhinterziehung. Indem die Regierung die Grenze für Bargeldzahlungen erhöht und dem Steuerhinterzieher mit Amnestien Avancen macht, tut sie das Gegenteil. Sie hat Maßnahmen ergriffen, z. B. die Ausweitung der flat tax auf Selbstständige, die das Prinzip der horizontalen Gleichheit aufgeben. Bei gleichem Einkommen gibt es Lohnabhängige und Rentner, die mit 40% besteuert werden, und Selbstständige, bei denen es 15% sind.“
Aber für Lohnabhängige gelten soziale Sicherungen, für die Selbstständige zahlen müssen.
„Wir schlagen ein System universeller Schutzmaßnahmen vor, die bei den sozialen Sicherungen beginnen, welche auch für Selbstständige gelten müssen, wie es die PD bei dem einheitlichen Kinderzuschuss erreichte. Die Werktätigen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, das ist das, was die Rechte am besten kann. Die nichts gegen Finanz- und Immobilienrenditen unternimmt, die weniger besteuert werden als wer arbeitet oder ein Unternehmen betreibt.“
Hat der Generalsekretär der CISL (Vorsitzender des Christlichen Gewerkschaftsbundes, AdR) recht, dass es zu neuen Steuern für Finanzerträge kommen muss, oder ist das nicht nur für die Rechte ein Tabu?
„Hier ist eine Umverteilung nötig. Die Irpef (Lohn- und Einkommenssteuer, AdR) hatte mal 32 Stufen. Die wurden inzwischen auf 4 reduziert, das System hat sich sehr verflacht, aber es sind immer die Ärmsten und die Mittelschichten, die jede Verflachung zu bezahlen haben. Hinter der Idee, die Steuern für alle zu verringern, steckt die Absicht, sie für die Reichen zu verringern, indem den Armen Ressourcen und Dienstleistungen entzogen werden.“
Geschieht das jetzt mit der Reform des Bürgergelds, oder war eine Reform nötig, die zwischen wirklich Arbeitsunfähigen und Vermittelbaren unterscheidet, die wegen der Unterstützung nicht mit dem nötigen Nachdruck nach einer Arbeit suchen?
„Im Land gibt es ein ungelöstes Problem, das immer größer wird. Wir hatten ein Treffen mit der Caritas und einem Netz von Organisationen, die sich um die Unterstützung der Ärmsten kümmern. Sie haben uns von der verbreiteten Angst erzählt, nun auch noch die einzige Zuwendung zu verlieren, die sich dieses Land gegeben hat. Sicherlich hätte man es noch besser gestalten können, unter dem Gesichtspunkt der aktiven Politik …, aber man kann einem Land wie Italien nicht ein Instrument nehmen, das laut Istat (Nationales Amt für Statistik, AdR) während der Pandemie eine Million Menschen davor bewahrte, in die absolute Armut abzurutschen.“
Eine absolute Armut, die noch im Wachsen ist.
„Heute ist in Italien jede zehnte Person arm zu nennen, angesichts dessen es die Regierung Meloni zur Priorität erklärt, aus dem Bürgergeld Kleinholz zu machen … Wie immer will die Rechte die Armen, aber nicht die Armut bekämpfen, da sie in ihr eine individuelle Schuld und nicht das Ergebnis tiefer sozialer Ursachen und einer Politik sieht, die auch anders aussehen könnte. Ich frage mich, in was für einem Land wir eigentlich leben. Bei einem Haushaltsplan, der Einschnitte beim Gesundheitswesen, bei der Schule und beim Welfare vorsieht. Und bei der Unfähigkeit, die Projekte des PNRR (italienische Umsetzung des EU-Plans Next Generation, AdR) umzusetzen, die dieses Land …wieder voranbringen könnten. Sie reden von Geburtenrückgang, aber stellen die Kinderkrippen in Frage, die nötig sind, um den bestehenden Ungleichheiten entgegenzutreten und zu verhindern, dass die ganze Pflege auf den Schultern der Frauen lastet.“
Zum ersten Mal führt in Italien eine Frau die größte Regierungspartei und eine andere die größte Oppositionspartei. Aber ohne den kleinsten gemeinsamen Versuch, um Italien von dem schändlichen letzten Platz wegzubringen, den wir in Europa bei der Frauenarbeit einnehmen. Könnte hier die Opposition nicht mehr tun?
„In der Fragestunde mit der Premierministerin habe ich eine paritätische Elternzeit vorgeschlagen, die es ja in Spanien bereits gibt, mit drei voll bezahlten Monaten, die auch nicht zwischen den Elternteilen übertragbar sind. Mehr als jede andere Entlastung würde eine solche Umverteilung der Pflege der weiblichen Beschäftigung dienen…“
Hat Sie das Konkurrenzverhalten der von Giuseppe Conte geführten 5SB enttäuscht, der die PD eine Partei der Macht nennt?
„Wir sind uns nach der September-Niederlage und den letzten Regionalwahlen weiterhin der Notwendigkeit bewusst, bei allen Differenzen unsere Kräfte bei den anstehenden Kämpfen zu bündeln: für das öffentliche Gesundheitswesen, gegen Calderolis Projekt einer differenzierten Autonomie, für das öffentliche Schulwesen, den Mindestlohn, die ökologische Wende. Es ist klar, wenn wir vor allem das in den Vordergrund schieben, was uns trennt, werden wir der Verantwortung gegenüber unseren Wählern nicht gerecht, um in Zukunft eine Alternative zu einer Rechten zu schaffen, die täglich die materiellen Lebensbedingungen der Menschen verschlechtert…“
Von den 5 Sternen trennt Sie die Frage des Ukraine-Kriegs.
„Seit dem Ausbruch von Putins kriminellem Angriffskrieg gegen die Ukraine haben wir immer den Standpunkt vertreten: Es ist richtig, das Recht des ukrainischen Volkes auf Selbstverteidigung zu unterstützen. Was mich in diesem Zusammenhang weniger überzeugt, ist die lineare Erhöhung der Verteidigungsausgaben in jedem europäischen Land. Ich bin eine überzeugte Anhängerin einer europäischen Föderation und meine, dass wir eine gemeinsame Verteidigung brauchen. Die wird es nur geben, wenn die Regierungen den politischen Willen haben, die Kompetenzen und Investitionen in einem Bereich zu vereinen, wo bisher die wechselseitige Eifersucht vorherrschte. Der richtige Weg ist nicht, dass jedes einzelne europäische Land seine Ausgaben für das Militär erhöht, sondern dass man spart, indem man hier gemeinsam forscht und investiert…“