Haushalt: zusammengewürfelt und auf Pump
Eins vorweg: Sollten einige unserer Leserinnen und Leser aus aktuellem Anlass erwarten, dass sie über Gründe, Hinter- und Abgründe des Beziehungsbruchs zwischen Giorgia Meloni und ihrem bisherigen Lebensgefährten Andrea Giambruno aufgeklärt werden, so werde ich sie enttäuschen. Es handelt sich um eine private Angelegenheit, die nur die Betroffenen etws angeht. Oder zumindest angehen sollte. Eigentlich. Denn Meloni selbst hat es anders gewollt: Indem sie ihre Ankündigung über die Trennung auf Instagram und weiteren Internet-Kanälen verbreitete, hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass sie zu einer öffentlichen Angelegenheit wurde.
Einen Kommentar wert ist allerdings die enorme Flut von Reaktionen im Netz. Hunderttausende äußerten sich innerhalb weniger Stunden dazu, bewerteten, spekulierten und verbreiteten die Nachricht massenhaft weiter. Meloni dürfte zufrieden sein, denn sie kommt gut weg dabei, sogar linke Feministinnen würdigen ihre Entscheidung. Im Gegensatz zum Fernsehmoderator Giambruno, der Kolleginnen am Rande seiner Sendung mit unsäglichen Machoallüren und massiven sexuellen Belästigungen bedrängte – und dabei gefilmt wurde. Die Reaktionsflut enthüllt unbarmherzig, auf welches Niveau die öffentlichen Debatte in Italien – in Teilen – gesunken sind. Mitten in Kriegen, Terrorattacken und Massensterben haben etliche Italienerinnen und Italiener nichts Besseres zu tun, als sich über Melonis Familiendrama zu ereifern. Freilich: Wie sie es mit so einem Typ zehn Jahre lange aushalten konnte, bleibt ihr Geheimnis, ist aber auch ihre Sache. Soviel zu „Dio, Patria e Famiglia“. Nun zu Fragen, die für die Öffentlichkeit wichtiger sind.
Die Armut steigt, die Schulden auch
Nach einer aktuellen Untersuchung von Eurostat (statistisches Amt der EU) über die familiären Lebensbedingungen in Europa geben über 63% der italienischen Familien an, nur mit Schwierigkeiten ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Zum Vergleich: in Schweden, Deutschland, Niederlanden, Finnland und Luxemburg liegt der Prozentwert bei ca. 25%; am schlechtesten schneiden Bulgarien (80,3%) und Griechenland (89,6%) ab. Italien rangiert im unteren Bereich nach Frankreich, Spanien, Polen und Portugal. Auch die Anzahl derer, die unter der Armutsgrenze leben, liegt in Italien mit 24,2% über dem EU-Mittelwert (21,6%).
Dem müsste die Regierung mit strukturellen wirtschaftlichen und sozialpolitischen Maßnahmen begegnen, das heißt 1) mit gezielten Programmen, um Investitionen und Innovationen anzukurbeln; 2) mit einer vom Staat getragenen Grundsicherung für diejenigen, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; 3) mit einem gesetzlich geregelten Mindestlohn, der arbeitenden Menschen würdige Lebensbedingungen garantiert; 4) mit einem auf Progression orientierten Steuersystem, das Geringverdiener entlastet, Bessergestellte angemessen belastet und Steuerhinterzieher konsequent verfolgt.
Das Gegenteil geschieht. Ein Plan zur Förderung der industriellen Entwicklung ist nicht in Sicht, das Bürgergeld wurde weitgehend abgeschafft, die Einführung eines Mindestlohns lehnt die Regierung ab, dafür belohnt sie Steuerhinterzieher mit immer wiederkehrenden Amnestien.
Sammelsurium von zeitlich befristeten Maßnahmen
Vor knapp zwei Wochen hat das Kabinett den Entwurf des Haushaltsplans für 2024 beschlossen, der in Kürze in das parlamentarische Verfahren geht. Die finanziellen Spielräume sind extrem eng, was sich sowohl am bescheidenen Gesamtvolumen von 24 Milliarden zeigt (zum Vergleich der Entwurf der deutschen Regierung: 445,7 Milliarden), als auch daran, dass zwei Drittel – 16 Milliarden – schuldenfinanziert sind. Und das bei italienischen Staatsschulden, die mit 140% (Schuldenstand im Verhältnis zum BSP) schon jetzt exorbitant hoch sind (Deutschland im Vergleich: 66,4%).
Seit ihrem Regierungsantritt hatte Meloni immer wieder versichert, ihre Regierung werde einen „vorsichtigen und verantwortungsvollen“ finanzpolitischen Kurs verfolgen. Die jetzt geplante Neuverschuldung steht dazu im krassen Widerspruch. Finanzminister Giorgetti (Lega), der eigentlich als der Sachkundigste und Umsichtigste in einer – freundlich ausgedrückt – mittelmäßigen Regierungsmannschaft gilt, rechtfertigt sie mit einer unrealistischen Wachstumsprognose von 1,2% für das kommende Jahr (die Schätzung des Internationalen Währungsfonds liegt bei 0,7%). Das beunruhigt bereits die Finanzmärkte, was sich in in dem erhöhten Zinssatz für italienische Staatspapiere widerspiegelt, und nicht zuletzt auch die EU-Kommission.
Eine zentrale Schwäche des Entwurfs besteht daran, dass die meisten der dort aufgeführten Maßnahmen nicht strukturell bzw. auf Dauer angelegt, sondern zeitlich begrenzt sind oder Leistungen „una tantum“ vorsehen, wie zum Beispiel einmalige Zuwendungen, Gutscheine u. ä. Grund dafür sind sicherlich die knappen Ressourcen, aber auch das Ergebnis einer Politik, die nicht auf Nachhaltigkeit angelegt ist und sich in erster Linie auf die Partikularinteressen einzelner Gruppen orientiert, statt gesamtgesellschaftliche Prioritäten zu setzen.
Steuerliche Entlastungen und Hilfen zur Steigerung der Geburtenrate
Die Besteuerung für Einkommen von 15.000 bis 28.000 Euro soll von 25% auf 23% herabgesenkt und damit mit der für Einkommen bis 15.000 Euro gleichgestellt werden. Dadurch erhalten die Betroffenen monatlich ca. 20 Euro mehr. Zusätzlich wird für Mittel- und Niedrigverdiener die bereits 2023 eingeführte steuerliche Entlastung von 7% für Einkommen bis 25.000 Euro und von 6% für Einkommen bis 35.000 Euro verlängert – bis Ende 2024. Die Besteuerung von Produktivitätsprämien und sogenannten „fringe benefits“ (freiwillige betriebliche Zusatzleistungen in Form von Sachleistungen, die ein Unternehmen seinen Arbeitnehmern zur Verfügung stellt) wird um 5% reduziert. Insgesamt schätzen die Wirtschaftsexperten, dass angesichts der hohen Inflation die Entlastungen für diese Steuerklassen zu niedrig sind.
Ebenfalls auf 2024 begrenzt ist die Regelung, nach der Unternehmer, die zusätzliche unbefristete Einstellungen tätigen, von ihrem Betriebseinkommen 20% ihrer entstandenen Arbeitskosten abziehen können (30%, wenn sie Menschen mit Behinderungen, Arbeitslose, Frauen mit Kindern einstellen).
Als Anreiz zum Kinderkriegen erhalten alle arbeitenden Mütter, ohne Einkommensbegrenzung, Entlastungen bis zu 3.000 Euro jährlich, deren Dauer je nach Anzahl der Kinder variiert. Meloni hatte bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs zudem ankündigt, es werde einen kostenlosen Kindergarten für zweitgeborene Kinder geben. Das zuständige Ministerium korrigierte die Regierungschefin: Es handele sich „nur um eine Erhöhung des Gutscheins für Zweitgeborene nach dem 1. Januar 2024, wenn das erste Kind weniger als zehn Jahre alt ist“.
Restriktionen bei Renten und im Gesundheitswesen
Im Wahlkampf und nach dem Regierungsantritt hatte vor allem Legachef Salvini versprochen, das geltende Rentengesetz „Fornero“, das noch den Namen der ehemaligen Sozialministerin der Regierung Monti trägt, abzuschaffen und die Möglichkeit zu erweitern, früher in Rente zu gehen. Von der Abschaffung der „Legge Fornero“ ist nicht mehr die Rede (viel zu teuer), und ab 2024 sollen die Voraussetzungen für einen Rentenbeginn vor Erreichen der Altersgrenze nicht erleichtert, sondern verschärft werden: mindestens 63 Jahre, statt bisher 62, plus 41 Jahre Beiträge. Bei vorgezogenem Rentenantritt soll die Rente reduziert werden (gestaffelt je nach Alter). Eine Regelung, die auch in Deutschland in ähnlicher Form besteht und natürlich richtig ist. Salvini ist da aber anderer Meinung und droht bereits bei der parlamentarischen Beratung mit Widerstand gegen die eigene Regierung. Obwohl Meloni ihrer Regierungsmehrheit in Sachen Haushalt bereits absolute Disziplin abgefordert hat.
Mit Verweis auf den engen finanziellen Rahmens wird die Mindestrente (die zurzeit zwischen 560 und 600 Euro liegt) laut Entwurf nicht angehoben. Eine unsoziale Entscheidung, da neben Kindern, Jugendlichen und Frauen zunehmend auch ältere Menschen in Armut leben oder einem hohem Armutsrisiko ausgesetzt sind, wie aktuelle Untersuchungen belegen.
Auch für das stark unterfinanzierte öffentliche Gesundheitswesen bringt der neue Haushalt keine guten Nachrichten. Im Entwurf sind dafür zwar 3 zusätzliche Milliarden (der Gesundheitsminister hatte 4 beantragt) vorgesehen, aber 2,3 davon fließen in vertraglich vereinbarten Gehaltserhöhungen des ärztlichen Personals; sie können von den Regionen nicht abgerufen werden, um die dringend nötige Erweiterung der dezentralen Gesundheitsversorgung in Angriff zu nehmen. Die verbleibende Milliarde soll nach Willen der Regierung vor allem genutzt werden, um die abnorm langen Wartezeiten für Behandlungen und Untersuchungen zu verkürzen, allerdings fließt ein Teil der Ressourcen nicht in öffentliche, sondern in private, vom Staat subventionierte Einrichtungen.
Die bekannten Wirtschaftsexperten Tito Boeri und Roberto Perotti bemängeln am Regierungsentwurf vor allem die zeitliche Begrenzung vieler Maßnahmen, die bei Bürgern und Unternehmern Planungsunsicherheit erzeugen würde, und das Fehlen klarer Prioritäten. Ihr Fazit: „Der Haushaltsentwurf lässt den Eindruck eines Regierungsstils entstehen, der auf Vorläufigkeit basiert. Nicht gerade ein schmeichelndes Urteil für eine Ministerpräsidentin und eine Regierung, derem Motto im Wahlkampf lautete „Wir sind bereit!“, und die ständig beteuern „Wir werden mindestens fünf Jahre bleiben“.