Europas Ultrarechte versammelt sich in Florenz
Die Europawahl naht und Matteo Salvini ist im aggressiven Wahlkampfmodus. Ziele seiner Angriffe sind die Linke und die von „Freimaurern, Bankiers und Soros-Freunden“ beherrschte Europäische Union, welche „die Identität unseres Kontinents zerstören wollen“. Dabei hat er auch seine rechten Koalitionspartner (und Konkurrenten) Fratelli d’Italia und Forza Italia im Visier, denen er auf europäischer Ebene Klüngeleien mit Sozialisten und Liberalen vorwirft.
Bei seinem Anti-Europa-Kurs setzt der Legachef auf den Zusammenschluss mit anderen rechtsextremistischen Kräften, die in Europa derzeit Aufwind spüren: die AfD, Le Pens Rassemblement Nationale, die österreichische FPÖ, die PVV von Wilders und andere, die im EU-Parlament mit der Lega in der Fraktion „Identität und Demokratie“ sitzen. Sie alle hatte Salvini am vergangenen Sonntag zum Auftakt seines Europawahlkampfs nach Florenz eingeladen. Die Wahl des Tagungsortes wurde mit provokatorischem Bedacht getroffen, denn die toskanischen Regionshauptstadt steht für Weltoffenheit, Toleranz und demokratische Traditionen. Jene Werte, denen Salvini und seine Kameraden den Kampf angesagt haben.
Viele Bürgerinnen und Bürger protestierten, mit verschiedenen Initiativen, gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten in ihrer Stadt. Es gab Demonstrationszüge, Bürgertreffen an „symbolischen“ Orten, die an den antifaschistischen Widerstand oder an Opfern rassistischer Angriffe erinnern, viele Plätze und Balkone schmückten blaue Europa-Fahnen und Spruchbänder.
Rechtsradikaler und europafeindlicher Überbietungswettbewerb
Der schwarz-braune Konvent fand in der Fortezza da Basso statt, einer symbolträchtig ausgewählten düsteren Festungsanlage im Herzen der Stadt. Enttäuschend war für den Gastgeber, dass medienwirksame „Promis“ wie Le Pen und Wilders wegen „anderer wichtigen Termine“ ihre Teilnahme absagten und sich nur per Video mit ihren Botschaften an die „amici italiani“ richteten.
Zu Beginn des Treffens erklärte Salvini, Europas Rechte – das heißt Europäische Volkspartei/EVP (zu der u. a. CDU/CSU und Forza Italia gehören), die Fraktion „Identität und Demokratie“ (Lega, Le Pen, AfD, PVV) und die „Konservativen und Reformisten“ (deren Vorsitzende Meloni ist) – müsse, wie in Italien, auch in Europa ein Bündnis eingehen. Ihr Ziel müsse sein, bei der nächsten Europa-Wahl eine erneute „Ursula-Mehrheit“ unter Beteiligung von Sozialisten und Liberalen zu verhindern und selbst den Vorsitz der EU-Kommission zu stellen. Die Redebeiträge, die dann folgten, stellten sogar Salvinis Radikalität und Europafeindlichkeit in den Schatten.
Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der AfD, bezeichnete Kommissionspräsidentin Von der Leyen als „die gefährlichste Person in ganz Europa“. Sein Bild „eines neuen Europa“ zeichnete er als „ein Haus mit vielen Wohnungen, mit einem Spielplatz für die Kinder“ – sofern weiß und blauäugig, kann man vermuten – „aber auch mit einer Mauer, um uns vor den Unerwünschten zu schützen, die draußen bleiben müssen“. Er bekräftigte zudem die Ablehnung jeglicher Hilfe an die Ukraine und forderte eine Beendigung der Sanktionen gegen Putins Russland, die den europäischen Ländern nur schaden würden. Die Ukraine könne sowieso nicht gewinnen, ergo müsse sie (nicht etwa der Aggressor Putin) den Krieg beenden – sprich sich ergeben.
In ihrer Videoansprache appellierte Marine Le Pen an die in Florenz vertretenen „patriotischen Widerstandsbewegungen“, die gegenwärtige EU-Führung zu bekämpfen, „die unsere Geschichte entwürdigt, unsere Kulturen gleichschaltet und unsere Völker und deren Freiheit unterminiert“. Ihr Instrument sei die Migration, die zur Vernichtung der völkischen Identitäten und zum ethnischen Austausch führe. Für den Vorsitzenden der „Allianz zur Union der Rumänen“, Simion, ist die EU „die Hölle. Die Hölle wegen der Deindustrialisierung; die Hölle, weil die nationalen Identitäten zerstört werden; die Hölle wegen des Zerfalls des Christentums. Uns wird verboten, Begriffe wie Mutter, Vater und Weihnachten zu gebrauchen!“ Wer dieses schändliche Verbot wo ausgesprochen haben soll, führte er leider nicht aus. Der Anführer der österreichischen FPÖ Villimsky brachte sein Verständnis von Europa so auf den Punkt: „Italien muss Italien bleiben, Deutschland muss Deutschland und Österreich muss Österreich bleiben“.
Sieger beim Wettbewerb der Anti-Europäer wurde Roman Fritz, Vizevorsitzender der „Konföderation der Polnischen Krone“. Er begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der liturgischen Formel „Laudetur Jesus Christus!“ und beschrieb den „richtigen Weg für Europa“ so: „Er besteht aus Gott, Ehre, Vaterland, Familie, Glauben, Wahrheit, Justiz und Freiheit – und das kann in einem einzigen Wort synthetisiert werden: Die katholische Tradition, welche die Essenz der lateinischen Zivilisation ist“. Homosexualität, Transgender, politische Korrektheit und die „Pseudoreligion des Umweltschutzes“ seien hingegen des Teufels.
Salvinis Vorstoß spaltet Regierungsbündnis
Innenpolitisch war die erste Auswirkung der Versammlung in Florenz genau das Gegenteil von der von Salvini beschworenen Einheit der Rechten. Sowohl Melonis Partei Fratelli d’Italia als auch die einst von Berlusconi geführte Forza Italia reagierten irritiert auf seine Initiative, und dies aus verschiedenen Gründen.
Einmal ist klar, dass der Legachef alles versucht, um sich auf Kosten der Bündnispartner in Szene zu setzen und sich, als die radikalere Kraft, rechts von ihnen zu positionieren. Das ist soweit nichts Neues und ist in gewissen Grenzen von Meloni und Außenminister Tajani, der nach dem Tod Berlusconis die Führung von FI übernommen hat, bereits einkalkuliert.
Gravierender bzw. riskanter für die ohnehin prekären Gleichgewichte innerhalb der Rechtskoalition sind Salvinis Tiraden gegen die EU und ihre Führung, vor allem gegen die Kommissionsvorsitzende Von der Leyen und die Präsidentin des EU-Parlaments Metsola (EVP). Besonders ihr Fraktionsfreund Tajani reagierte mit schizophrenen Verrenkungen: „Forza Italia ist integraler Teil und Gründungsmitglied der EVP, wir sind Europäisten und Atlantisten, daher teilen wir in keinster Weise die Positionen derjenigen, die Europa und das Euro ablehnen und europafeindliche Ziele verfolgen, so wie die in Florenz vertretenen anti-europäischen Parteien“, erklärte er vor der Presse. „Ok. Und was ist mit Salvini? Sie sind doch mit ihm in der Regierung“ lautete eine naheliegende Journalisten-Frage. Darauf Tajani glasklares Statement: „Wir sind überzeugt, dass die Lega die Grenze zwischen Wahlkampftönen und der Notwendigkeit kennt, die Glaubwürdigkeit und die Interessen Italiens nicht zu kompromittieren …Wir werden nie ein Bündnis mit der AfD und mit der Signora Le Pen eingehen, das hat aber nichts mit Italien und seiner Regierung zu tun. Mit Salvini gibt es keinen Konflikt, er wird tun, was er für richtig hält, und da wir in Italien Verbündete sind, können wir es auch in Europa gerne sein“. Alles klar?
Meloni versucht, den Legachef zu bremsen
Die Ministerpräsidentin und Vorsitzende von Fratelli d’Italia Giorgia Meloni ist, wie Tajani, über das Vorgehen des Legachefs verärgert. Auch sie will partout einen offenen Konflikt mit der EU und ihrer Führung vermeiden, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, wo auf europäischer Ebene gerade komplizierte Verhandlungen über den Stabilitätspakt, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und den Nationalen Recoveryplan PNRR stattfinden, die auf Italiens Regierung erheblichen Druck ausüben.
Daher versucht auch sie, die Sache mit Salvinis Konvent in Florenz herunterzuspielen. Doch sie tut es geschickter als Tajani: Zwei Tage danach empfängt sie in Rom, betont herzlich, die Präsidentin des EU-Parlaments Roberta Metsola. Beide Politikerinnen loben sich gegenseitig und preisen ihre gute und konstruktive Zusammenarbeit. Nichts da mit EU als Hölle und Untergang des christlichen Abendlandes. Und: Unmittelbar vor Metsolas Besuch lädt sie ihren krawalligen Koalitionspartner von der Lega zu einem Vier-Augen-Gespräch in ihren Amtssitz Palazzo.
Den genauen Inhalt des Gesprächs kennt man natürlich nicht, doch ist davon auszugehen, dass Meloni Salvini zur Mäßigung aufforderte, um die Position Italiens (und ihre eigene) in der EU nicht zusätzlich zu kompromittieren. Mit Blick auf die Europawahl in Juni dürfte sie ihm klar gemacht haben, dass sie Vorentscheidungen, die zu diesem Zeitpunkt zu starken Spannungen innerhalb der Rechtskoalition führen würden, nicht will. Kommentatoren wollen erfahren haben, dass sie bei Salvini die Aufgabe seiner Forderung erreicht habe, schon jetzt in der italienischen Rechtskoalition (FdI, Lega und FI) zu vereinbaren, dass man bei der Wahl des/der nächsten Kommissionspräsident/in auf keinen Fall mit den Sozialdemokraten und Liberalen zusammengehen werde. Meloni möchte sich da (noch) die Hände frei halten und zunächst die Europawahl abwarten, um zu schauen, ob die Stimmen für einen Alleingang der Rechte reichen würden, oder ob sie sich doch einer „Ursula-Mehrheit“ mit den Sozialdemokraten anschließt (oder, dritte Option, ihre Fraktion sich bei der Wahl zur EU-Präsidentschaft enthält).
Die schon jetzt schwierigen Prognosen für den Ausgang der Europawahl werden zusätzlich durch eine Nachricht kompliziert, die seit einigen Tagen in den Medien kursiert: Demnach sondiert der französische Präsident Macron die Möglichkeit, keinen Geringeren als Mario Draghi zum Kandidaten für die Nachfolge Ursula Von der Leyens zu machen. Mit Bundeskanzler Scholz soll er bereits darüber gesprochen haben. Draghi selbst hüllt sich im Schweigen. Sicher ist, dass eine so „gewichtige“ Kandidatur die Karten gehörig durcheinander wirbeln würde.