Krippenpflicht an Schulen?
Pünktlich zu Weihnachten hat Melonis Partei Fratelli d’Italia dem Senat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem Schulen untersagt wird, “Aktivitäten zu verhindern, die im Zusammenhang mit den traditionellen Feierlichkeiten zu Weihnachten (wie zum Beispiel den Aufbau von Krippen, Weihnachtsaufführungen oder ähnliche Veranstaltungen) oder zu dem christlichen Osterfest stehen“. Urheberin der Gesetzesinitiative ist die Senatorin Lavinia Mennuni von FdI.
Gesetzesvorschlag zum Schutz „religiöser italienischer Traditionen“
Was umständlich ausgedrückt wird, heißt im Klartext: Den Schulen wird verboten, auf Weihnachtkrippen und Krippenspiele sowie Osterfeierlichkeiten zu verzichten. Es gehe darum, so im Gesetzestext, „die religiösen italienischen Traditionen zu schützen“, indem Initiativen von Schulen unterbunden werden, die „laizistische Feierlichkeiten“ einführen, wie zum Beispiel in der Weihnachtszeit sogenannte „Winterfeste, die nur das Ziel haben, Andersgläubige nicht zu verletzen“. Solche alternative Veranstaltungen würden „eine Diskriminierung der Schülerinnen und Schüler und deren Familien darstellen, die der mehrheitlich praktizierten Religion angehören“.
Laut dem Gesetzesentwurf sollen gegen Schulleiter, die diesen Anweisungen nicht folgen, Disziplinarverfahren eingeleitet und andere Sanktionen verhängt werden. Antonello Giannelli, der Vorsitzende des Nationalen Schulleiterverbands (ANP), kann das Ganze nicht so recht glauben: „Es sieht mir aus wie eine Fake-News, anders kann man so was nicht nennen“ meint er. Er unterschätzt damit leider die nationalistische Phantasie mancher Volksvertreterinnen und Volksvertreter. Den Gesetzesentwurf gibt es sehr wohl, er wurde bereits dem zuständigen Senatsausschuss zugeleitet.
Schulen protestieren
Vor allem in Schulen mit vielen Schülerinnen und Schülern aus anderen Herkunftsländern und mit einem anderen Glauben stößt die Initiative von Fratelli d’ Italia auf Unverständnis und Ablehnung. Es sei richtig, Traditionen des Landes zu berücksichtigen, aber sie qua Gesetz zur Pflicht zu machen sei der falsche Weg. „Die öffentlichen Schulen sind laut Verfassung säkular und unterliegen keiner Staatsreligion“, so Schulleiter und Lehrer. Die Schulen müssten vielmehr autonom über ihr didaktisches Konzept und die Ausgestaltung des Schullebens entscheiden können und dabei allen Schülerinnen und Schülern, unabhängig von Ethnie und Religionszugehörigkeit, Ausdrucks- und Entfaltungsmöglichkeiten bieten. „Wenn katholische Kinder sich den Aufbau einer Krippe wünschen, dürfen sie das selbstverständlich tun, und wenn muslimische Schüler eine Möglichkeit zum Beten möchten, bekommen sie das auch“ sagt der Schulleiter einer Schule in Palermo.
Viele Lehrerinnen und Lehrer schütteln nur den Kopf. „Wir hatten damit nie Probleme: In unserer Schule gibt es Weihnachtsbäume und Kruzifixe, niemand hat das je in Frage gestellt. Unsere Schule ist multiethnisch und inklusiv, wir machen durchaus unsere Symbole sichtbar, berücksichtigen aber auch andere Traditionen, zum Beispiel von muslimischen Schülern“ , so Veronica Mignani, von der Berufsschule „Cesare Presenti“ in Bergamo, in der Jugendliche aus 40 Ethnien lernen. Sie schließt mit den Worten: „Diesen Gesetzesentwurf sehen wir eher als eine Provokation“
Zwischen Weihnachten und „Winterfesten“
Es gibt tatsächlich auch Schulen, die sich aufgrund ihrer kulturell und religiös heterogenen Schülerschaft dafür entscheiden, statt Weihnachtsfeste „Winterfeste“ zu veranstalten. Persönlich halte ich sie für eine seltsame Ersatzkonstruktion. Ich habe viele Jahre in einer Schule unterrichtet, in der der Anteil von Migranten- und Flüchtlingskindern schon damals über 60% lag. Wir haben dort einfach „die Feste gefeiert, wie sie fallen“: zu Weihnachten wurden emsig goldene Weihnachtssterne gebastelt, der Nikolaus besuchte alle Kinder der Klasse und bei der Gelegenheit wurde – zur Freude der türkischstämmigen Schüler – darauf hingewiesen, dass er aus Myra, einer Kleinstadt in der Nähe von Antalya, kam. Wiederum wurde auch das Ramadanfest („Zuckerfest“) gemeinsam gefeiert, es wurden Süßigkeiten verteilt und muslimische Eltern erzählten etwas über die Traditionen des Fastens. Auf die Idee, etwas schwammige „Winterfeste“ zu veranstalten, sind wir nie gekommen. Wir wählten lieber den Weg, uns in unserer Diversität zu begegnen, dabei Gemeinsames zu entdecken und Neues voneinander zu erfahren. Aber erst recht wären wir – und glücklicherweise auch die Schulbehörden und Gesetzgeber – nie auf die Idee gekommen, das Krippenkind „par ordre du mufti“ (wenn das Sprachspiel erlaubt ist) in allen Schulklassen zu installieren und andere, „abweichende“ Veranstaltungen zu verbieten.
Ob der Gesetzesentwurf der eifrigen Senatorin Mennuni je das Licht der Welt – um bei Weihnachten zu bleiben – erblicken wird, weiß man noch nicht. Man kann nur hoffen, dass es nicht dazu kommt.
„Betlemme tricolore“, von Michele Serra
Zum Abschluss eine kluge Glosse des Journalisten Michele Serra in der „Repubblica“ zum Thema mit dem Titel „Betlemme tricolore“:
„Traditionen sind eine wunderschöne Sache: Eine Art natürliche Spur, die uns entlang der Zeit begleitet, die über Moden hinweg geht und den Tod von Menschen überlebt. Traditionen schützen uns vor der Flüchtigkeit des Lebens. Es gibt nur eins, was die Pflege von Traditionen verhasst und unnatürlich werden lässt: sie per Gesetz vorzuschreiben. Durch Gesetz erzwungene Traditionen werden im Nu unausstehlich. Kein Geschenk, sondern eine Last, die man von sich abschütteln möchte – wie ein gepeinigtes Pferd, das demjenigen, der es auspeitscht, nicht gehorchen will.
Der Gesetzesvorschlag von Fratelli d’ Italia, das im Kern beabsichtigt, in öffentlichen Schulen das christliche Weihnachten samt Krippe und Tannenbaum zur Pflicht zu machen und dabei jegliche Alternative für unzulässig erklärt, ist nicht allein ein Vergehen gegen die Freiheit von Religion und Lehre. Er ist vor allem ein Vergehen gegen die Tradition selbst. Er verwandelt sie in Propaganda, setzt einen politischen Hut auf dem Stern von Bethlehem, verunstaltet Weihnachten zu einer Art patriotischer Feier gegen die Pest der Globalisierung. Und verbreitet die – verfassungswidrige – Vorstellung, dass es eine Staatsreligion gibt und dass Aufgabe der Schule ist, diese von Klein auf bei allen Kindern durchzusetzen.
Unsere Schulen sind voll mit Kindern, die aus anderen Kulturen und Religionen kommen (dazu kommt eine unbestimmte Zahl von Kindern, die nicht religiös sind, aber das ist eine Kategorie, die sowieso keinen interessiert und politisch am meisten vernachlässigt wird). Jede einzelne Schule sollte, auch im Namen der Schulautonomie und der Freiheit der Lehre, allen Kindern das Gefühl vermitteln, dass sie dort zu Hause sind, und zwar im gleichen Haus. Das ist nicht leicht, aber es ist notwendig – und es ist schändlich, es nicht zu tun. Auch wenn es leichter ist, jeden Zweifel und jede Dialektik in der Säure des Zwangs aufzulösen“.
In diesem Sinne: Allen unseren Leserinnen und Lesern Frohe Weihnachten/Buon Natale – mit oder ohne Krippe. Das Christkind stört sich ohnehin nicht daran.