Putins Gewährsmann in Italien
„Wir können doch gar nicht wissen, was mit Nawalny geschehen ist. Nur die Ärzte und Richter werden Klarheit schaffen können“. So Salvini, Chef der rechtsextremen Lega und (gemeinsam mit dem Leader von Forza Italia, Tajani) Vizepremier der italienischen Regierung. Weit entfernt davon, irgendeine Verantwortung des Kreml auch nur in Erwägung zu ziehen, vertraut Salvini ganz und gar denjenigen, die im Dienst des Autarchen stehen. Oder er behauptet es zumindest, um Putin das Signal der Unterwürfigkeit zu senden, das dieser von ihm erwartet.
Das Signal ist offensichtlich angekommen. Kurz darauf beantwortete Putin bei einer öffentlichen Veranstaltung die Frage einer italienischen Studentin zum Verhältnis zwischen beiden Ländern: „Italien war uns immer nah, ich habe mich dort immer wie zu Hause gefühlt“. Und fügte hinzu: Russland habe im Westen, auch in „feindseligen Ländern“, nach wie vor „viele Verbündete“.
Die Äußerungen Salvinis haben auch innerhalb der Rechtskoalition – Melonis Partei Fratelli d’Italia und Forza Italia – für irritierte Reaktionen gesorgt. Besonders deutlich äußerte sich Außenminister Tajani von FI: Für den Tod des Dissidenten sei „direkt oder indirekt“ eindeutig das russische Regime verantwortlich, das „keinerlei Ausdruck von Demokratie toleriert“ und ihm Haftbedingungen auferlegt habe, die „mit dem Leben nicht kompatibel“ sind. Weniger konkret waren die Worte Melonis, die sich in einer offiziellen Mitteilung darauf beschränkte, Nawalnys Tod als „ein weiteres trauriges Kapitel“ zu bezeichnen, der „für die internationale Gemeinschaft eine Ermahnung“ sei, und den Wunsch nach „vollständiger Aufklärung dieses beunruhigenden Ereignisses“ zu äußern.
Ohne direkt Salvinis Namen zu nennen, kam auch von dem Sprecher des EU-Außenbeauftragten Borrell harte Kritik: Er erinnerte daran, alle 27 Mitgliedstaaten hätten in einer gemeinsamen Stellungnahme Putin als verantwortlich für Nawalnys Tod erklärt. Und empfahl „denjenigen, die davon reden, man müsse erst die Ergebnisse der russischen Justiz abwarten, nachzulesen, was die EU-Regierungen – die eigene eingeschlossen – beschlossen und unterzeichnet haben“.
Die feste Bindung zwischen der Lega mit Putin und seiner Partei „Vereinigtes Russland“ hat eine lange Tradition, die 2017 zur Schließung eines „Freundschaftsvertrags“ zwischen beiden Parteien führte. Heute beteuert Salvini, der Vertrag „ruhe“ und sei mit keiner konkreter Zusammenarbeit verbunden (wäre ja noch schöner gewesen). Fakt ist, dass er nie gekündigt wurde. Und Fakt ist auch, dass Salvini seine Äußerungen enthusiastischer Bewunderung für den russischen Diktator nie zurückgenommen hat. Ein paar Kostproben: „Ich würde gerne zwei Mattarella gegen einen halben Putin tauschen“ (2015 im europäischen Parlament); „Putin ist weltweit einer der besten Regierungschefs“ (2017 bei einem Wahlkampfauftritt); „Männer wie er, die im Interesse ihrer Bürger handeln, bräuchten wir in Italien dutzendweise“ (2018 auf einer Kundgebung).
Jetzt, wo er Mitglied einer Regierung ist, die offiziell den Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt und den ukrainischen Widerstand mit Waffen unterstützt, mäßigt er die verbalen Begeisterungsausbrüche und gibt sich angeblich „sachlich-neutral“. Ohne dass ihm jemals ein Wort der Kritik oder gar der Verurteilung von Putins Verbrechen über die Lippen geht
Inzwischen hat der Leader der Zentrumspartei „Azione“ Calenda im Parlament einen Misstrauensantrag gegen Salvini eingereicht. Er sei der mehrfachen Aufforderung, zu belegen, dass zwischen Lega und der Partei „Vereinigtes Russland“ keinen Kooperationsvertrag mehr gebe, nie nachgekommen. Dem Misstrauensantrag haben sich inzwischen fast alle Oppositionsparteien angeschlossen.
Der Journalist Stefano Folli kommentierte in der „Repubblica“ vom 21. Februar Salvinis Verhalten und dessen Hintergründe. Hier der Text in deutscher Übersetzung:
„Wenn der russophile Freund Meloni in Verlegenheit bringt
Putins Bemerkung ist fast allzu scherzhaft: „In Italien habe ich mich immer wie zu Hause gefühlt“. Aber die Bemerkung klingt vor allem anzüglich. Der Autokrat möchte uns wissen lassen, dass er in unserem Land die besten Freunde hat. Einer war bekanntlich Silvio Berlusconi: sozusagen von gleich zu gleich. Auch von einem anderen ist der Name bekannt, aber in diesem Fall war es (und ist es bis heute) nicht von gleich zu gleich. Lassen wir Conte und seine lange Kampagne gegen die Waffen für die Ukraine beiseite, was sie in Moskau sicherlich begrüßt haben. Wenn wir uns jedoch auf den Mann des Tages, Matteo Salvini, konzentrieren wollen, drängt sich spontan gleich eine Frage auf: Warum hat es der Chef der Lega und Vizepräsident des Ministerrats, der auch Minister für Infrastruktur ist, gestern für nötig gehalten, wieder seine Freundschaft mit Putin zu unterstreichen? Nachdem er sich von Nawalnys Witwe distanziert hatte, erklärte er, dass man beim Tod des Dissidenten das Urteil der Ärzte und Richter abwarten müsse, natürlich der russischen. Rein zufällig ließ Putin gleichzeitig verlauten, dass eine internationale und das heißt unabhängige Untersuchung auszuschließen sei.
Kein europäisches Regierungsmitglied ist so weit gegangen. Niemand hat eine ähnliche Nähe zur Machtgruppe im Kreml zum Ausdruck gebracht. Salvini hat es getan, der Mann, der (nach seinen eigenen Worten) Mattarella gegen Putin eintauschen wollte und von dem berühmte Fotos existieren, die auf dem Platz vor dem Kreml aufgenommen wurden und ihn in einem T-Shirt mit dem lächelnden Konterfei des Diktators zeigen. Es scheint fast, dass sich der Lega-Chef für die Präsenz des Lega-Fraktionsvorsitzenden Romeo beim Fackelzug auf dem Kapitol im Gedenken an Nawalny entschuldigen wollte oder musste. Der Verdacht ist legitim – wenn auch nicht beweisbar -, dass ihn jemand nur deshalb zur Ordnung gerufen hatte, weil er einen Lega-Vertreter unter die Leute schickte, um sich dort auspfeifen zu lassen. Und dass dies zu der überraschenden und selbstbezichtigenden Korrektur am Folgetag führte.
Es gibt etwas, was in dieser Angelegenheit unklar bleibt. Aber mit dem Netz von Kontakten mit der extremen europäischen Rechten zu tun hat, beginnend mit der faschistoiden deutschen AfD. Die politische Erklärung ist die übliche: Salvini möchte alle Stimmen der Rechten einsammeln, die sich nicht gleichschalten lassen wollen und sich als antisystemische Kräfte präsentieren. Das sie einigende Band ist die Gegnerschaft zur Nato, also antiamerikanisch und entschieden prorussisch zu sein. Wobei es sich fast immer um Kreise handelt, die von Moskaus Diensten infiltriert sind und wobei der Begriff „Infiltration“ meist den Fluss von Geld vom „Mutterhaus“ zu den gutwilligen Militanten bedeutet. Wir wissen nicht, wo Salvini in diesem Archipel anzusiedeln ist. Aber wir wissen, dass er zu allem bereit ist, um Stimmen zu sammeln und gleichzeitig seiner verhassten Rivalin Giorgia Meloni zu schaden.
Und hier steckt das Problem. Wenn auf der einen Seite der schlaue Giuseppe Conte darauf achtet, nicht die rote Linie zu überschreiten, das heißt seinen Philo-Putinismus nicht zu übertreiben und sich immer einen Weg zurück offenzulassen, hat auf der anderen Seite der Legachef die Schwelle überschritten. Und er hat es als amtierender Vizepräsident des Ministerrats getan. Es wäre interessant zu wissen, wie die Premierministerin darüber denkt. Die sich doch im Hinblick auf die Ukraine für den amerikanischen Kurs entschieden hat, dem auch die EU folgt.
Salvini jedoch stachelt auf grobe Weise die russophilen Stimmungen an, die sich verdeckt auch in der italienischen Rechten bemerkbar machen und die Giorgia Meloni zu einem guten Teil geopfert hat, um in den Augen der Verbündeten glaubwürdig zu sein.
Und es ist tatsächlich die italienische Glaubwürdigkeit, die ein Vizepremier bedroht, der der Gewährsmann der russophilen Fraktion sein will. Und der auf seiner Haltung auch angesichts eines abscheulichen Ereignisses wie der Tragödie des Dissidenten beharrt. Anscheinend ohne Rücksicht darauf, dass er damit das Gewebe zerreißt, das die Regierung zusammenhält.“