Bauernaufstand auch in Italien

Bauernaufstände gab es schon immer, aber zu ihrer klassischen Ikonografie gehört die Zusammenrottung von Menschen, deren Gemeinsamkeit die Armut ist. Im Gegensatz dazu sind die Traktorkolonnen, die vor wenigen Tagen ganz Europa heimsuchten, die Straßen und Autobahnen in Beschlag nahmen und die Städte oft einem Belagerungszustand aussetzten, überraschend imposant. Nicht nur wegen ihrer Länge, sondern auch wegen der Statur und Technik ihrer Gefährte und der Ruhe ihrer Fortbewegung, welche eine Kraft zu signalisieren schien, die der hektischen Urbanität fremd und zumindest ebenbürtig ist. Dass Bauern eine menschliche Spezies sind, die der urbane Norditaliener herabschauend „Terroni“ nannte (und zumindest im Scherz immer noch nennt), also Menschen, die mit den Tieren in der Erde wühlen und vor allem dem Süden zuzuordnen sind, erweist sich gerade in diesen Tagen als Ausdruck hinterwäldlerischer Arroganz. Denn auch der Umgang mit Vieh und Erde ist eine Sache von Hightech geworden, ebenso wie seine Rückkopplung mit dem Schicksal der lokalen und globalen Natur.

Gründe des Protests

Auch in Italien wird jedem, der danach fragt, wissenschaftlich bewiesen, dass die Bauern Grund zur Rebellion haben: Das staatliche landwirtschaftliche Forschungsinstitut Ismea schätzt, dass sich allein im Jahr 2022 für die Landwirtschaft der Input an Gütern und Dienstleistungen um 25% und davon allein Düngemittel um 63% und Energie um 50% verteuerten. Dann der Großhandel: Auch Italien hat seine Warenhausketten, die ihre Marktmacht benutzen, um die Erzeugerpreise brutal zu drücken. Nach der Rechnung von Ismea landen von jedem Euro, den der normale Konsument für Nahrungsmittel bezahlt, ganze 15 Cent bei dem, der sie produziert – für den Kleinbauern, der in seinen Gewächshäusern Tomaten anbaut, sie alle paar Tage auf den Großhandelsmarkt bringt und hinterher im nächsten „Alimentari“ vorbeischaut, ist die Diskrepanz augenfällig.

Dass der Protest der italienischen Bauern nicht nur von oben, von den großen Verbänden wie Coldirettí verordnet wird, sondern auch „von unten“ getragen wird, zeigt sich an seiner Vielstimmigkeit und Zersplitterung, zumal er sich teilweise auch gegen die eigenen institutionellen Vertretungen wie Coldiretti richtet, denen allzu große Nähe zu Brüssel und zu den Multis vorgeworfen wird. Was das Umweltbewusstsein der Protestierenden betrifft, reicht das Spektrum von denen, die leugnen, dass es hier überhaupt ein menschengemachtes Problem gibt, bis zu den Ökobauern, die nicht nur für eine umweltfreundlichere Produktion, sondern auch für eine gesündere Ernährungsweise (wie Slow Food) eintreten. Entsprechend vielfarbig ist die politische Orientierung: Sie reicht von der ökologischen Linken über die Mitte bis zur Ultrarechten, wie zum Beispiel zu ehemaligen Führern einer Bewegung, die jetzt wieder aus der Versenkung auftauchen. Die entstand vor 10 Jahren in Sizilien und gab sich damals den provozierenden Namen „Forconi“ (Mistgabeln), womit sie einen Moment lang großes Aufsehen erregte, dann aber sehr schnell wieder von der Bühne verschwand. Von der PD war in den vergangenen Wochen zum Thema Bauernrebellion wenig zu hören, wenn man von Elly Schleins Äußerungen absieht, dass der Kern aller landwirtschaftlichen Probleme in den „richtigen Preisen“ liege.

Die politischen Adressaten: die EU…

Fragt man die italienischen Bauern, wo ihr politischer Hauptgegner sitzt, fällt schnell der Name Brüssel – ihr natürlicher Partner schien lange Zeit die italienische Rechte zu sein, die schon immer ein Problem mit der Frage hatte, ob es überhaupt ein menschengemachtes Umweltproblem gibt. Weshalb man Meloni die „ökologische Transition“ am besten dadurch schmackhaft machen konnte, dass man sie unter den eher in ihr Weltbild passenden „Heimatschutz“ subsumierte (als sie, Italiens Premierministerin, letztes Jahr vom Hubschrauber aus die weiten Überschwemmungen in der Emilia-Romagna besichtigte, soll ihr kein einziges Mal das Wort „Klimakatastrophe“ über die Lippen gekommen sein).

Also machen die Bauern vor allem die EU-Kommission für eine Agrarpolitik verantwortlich, die ihnen im Namen des Green Deals strenge Grenzen z. B. bei der Verwendung von Pestiziden und bei der Renaturierung von Ackerland („vier Prozent!“) auferlegt, aber die Agrarsubventionen nach Hektargröße verteilt, was darauf hinausläuft, dass 20% der landwirtschaftlichen Betriebe – denen es aufgrund ihrer Größe sowieso besser geht – 80% der EU-Subventionen einstreichen. Nun will die EU auch noch Freihandelsabkommen mit Ländergruppen wie dem südamerikanischen Mercosur abschließen, die sich teilweise den europäischen Standards entziehen, aber den Preisdruck, unter dem die europäischen Landwirte stehen, durch preiswertere Importe von Rindfleisch, Geflügel usw. aus Brasilien und Argentinien noch einmal zusätzlich erhöhen würden. Wobei das Mercosur-Abkommen zusätzlich dadurch ins Gerede kam, dass es der europäischen Chemieindustrie den Export von Pestiziden nach Südamerika ermöglichen könnte, die in Europa nicht zugelassen sind, dann aber doch in Gestalt der südamerikanischen Exporte als Billigkonkurrenz wieder nach Europa zurückkehren könnten.

… und die eigene Regierung

Die zweite politische Adresse, an die sich die Bauern mit Kritik und Hilfsforderungen wenden, ist die eigene Regierung, die ja immer wieder versichert, auf der Seite der Bauern zu stehen. Hier zeigten die Bauern schon durch die Wahl des Zeitpunkts ihrer Proteste nicht nur praktische Klugheit (im Winter haben sie mehr Zeit), sondern auch politisches Gespür: Im Mai sind Europawahlen, in die Meloni und Salvini als Konkurrenten hineingehen, was sie zusätzlich empfänglich für von der „Basis“ kommende Anforderungen macht. Und hier versucht nun Salvini einen Vorteil zu nutzen, den ihm paradoxerweise sein schlechtes Abschneiden bei den nationalen Wahlen im September 2022 bescherte und mit dem er nun zu punkten hofft: Meloni hatte damals die Europapolitik zu ihrem alleinigen Zuständigkeitsbereich erklärt und dabei Entscheidungen der EU mitgetragen, die heute von den protestierenden Bauern auch ihr angelastet werden können: die Einschränkung des erlaubten Einsatzes von Pestiziden und die vierprozentige Renaturierung von Agrarflächen, was ihrer Beteuerung, immer auf der Seite der Bauern zu stehen, ein Stück Glaubwürdigkeit nimmt. Einen noch größeren Fehler beging sie, als sie in den Haushalt für das Jahr 2024 hineinschrieb, dass die Bauern ab 2024 wieder die Einkommenssteuer zahlen müssten, die sie ihnen ihre Vorgängerregierungen schon seit 2017 und sie selbst für 2023 erlassen hatten.

Zugeständnisse

Meloni reagierte schnell. Als sie sich am 9. Februar mit den Vertretern der Bauernverbände in ihrem römischen Amtssitz traf, verkündete sie einen Teilrückzug beim Thema Einkommenssteuer: Bauern, deren jährliches Einkommen unter 10.000 € liegt, werden weiterhin von der Einkommenssteuer befreit, mit einer Ermäßigung für diejenigen, bei denen es unter 15.000 € liegt. Verbunden mit weiteren Hilfszusagen: verstärkte Kontrolle der Agrarpreise und des Gütezeichens „Made in Italy“ (auf dem Markt tauchen zunehmend Billigprodukte mit diesem Gütezeichen auf, deren Herkunft z. B. in Nordafrika vermutet wird); schärferes Vorgehen gegen Importe, die nicht den geltenden Regeln für Gesundheitsschutz und Bezeichnung der Herkunft genügen; erleichterter Zugang zu Bankkrediten. Und die Einrichtung eines „Tavolo tecnico“, an dem die zuständigen Minister und die Sprecher der Bauernverbände regelmäßig zusammenkommen, um über die nächsten Schritte der italienischen Agrarpolitik zu beraten.

Salvini, der konkrete Zusagen dieser Art seiner Rivalin Meloni überlassen musste, reagierte weniger intelligent: einerseits mit erkennbar substanzlosen Übertrumpfungsversuchen (man könne „noch mehr machen“), andererseits mit Angriffen gegen die EU-Kommission, in der er mit rhetorischer Hemmungslosigkeit seinen ganzen Anti-Europäismus von der Leine lässt: „Die EU-Politik ist verrückt, selbstmörderisch, blind.“ Ob er es so schafft, damit bei der kommenden Europawahl noch ein paar Stimmen zu sich herüberzuziehen, wird sich zeigen.

Eine Stimme blieb stumm

Es gibt allerdings eine Stimme, die im Protestchor der vergangenen Wochen nicht zu vernehmen war, obwohl sie Gehör am allernötigsten gehabt hätte: die Stimme von Hunderttausenden von rechtlosen ausländischen Arbeitskräften, die unter schlimmsten Arbeits- und Lebensbedingungen und zu Hungerlöhnen von ein paar Euro pro Tag während der Erntezeit als Saisonarbeiter eingesetzt werden. Für die italienische Landwirtschaft sind sie von hoher Bedeutung, denn ohne sie könnte sich diese in ihrer heutigen Gestalt, die sie von der deutschen unterscheidet, nicht halten. Die Durchschnittsgröße der landwirtschaftlichen Betriebe ist in Deutschland sechsmal höher als in Italien (2020 lag sie in Deutschland bei 63.1 ha, in Italien bei 10,7 ha); in Deutschland lag der Anteil der Betriebe mit einer Fläche von unter 5 ha bei 7,6%, in Italien bei 72%. Wie es zu diesen Unterschieden kam, ist eine historische Frage, aber auf die Frage, warum sich an ihnen auch heute nichts ändert, ist die Antwort einfach: Bei Arbeitsbedingungen, zu denen sich heute kaum noch einheimische Arbeitskräfte finden, ist die Verfügbarkeit dieser Arbeitskräfte die Voraussetzung dafür, dass sich auch die kleinen Betriebe noch über Wasser halten können.

Man kann dem Überleben der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe in Italien sicherlich auch eine idyllische Seite abgewinnen. Aber es sind nicht nur die imposanten Kolonnen der Traktoren, die zu der moralischen Aufladung der Bauernproteste den Kontrapunkt bilden. Hinzu kommt das Schweigen derer, die nicht einmal protestieren können, aber deren Extra-Ausbeutung dazu beiträgt, dass die Kleinunternehmen überleben und die Traktoren gekauft werden können. Die Zeit, in der es in Italien eine starke linke Landarbeiterbewegung gab, ist ferne Vergangenheit.

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