Laboratorium Italien: die Regionalwahlen
Die Reaktion der Rechten
Nimmt man die italienische Rechte so, wie sie sich gerne gibt, nämlich als geschlossenes Ganzes, so ist das Ergebnis der beiden Regionalwahlen durchwachsen: eine (unerwartete) Niederlage in Sardinien, ein (erwarteter) Sieg in den Abruzzen. Seit dem Erdrutschsieg im Herbst 2022 umgab die Rechte der Nimbus der Unbesiegbarkeit, an die sie auch selbst zu glauben begann. Dass sie das sardische Ergebnis wirklich getroffen hat, zeigte sich vor allem an dem Schweigen, mit dem sie auf die dortige Niederlage reagierte, und an dem umso lauteren demonstrativen Jubel, mit dem sie den Sieg in den Abruzzen feierte.
Aber beides überdeckt eine Entwicklung, welche sich bei diesen Wahlen zeigte und die in der Rechten ganz unterschiedliche Empfindungen – hier Freude, dort Enttäuschung, und dazwischen auch Sorge – auslöste. Denn ein Ergebnis ist beiden Wahlen gemeinsam: Die Talfahrt von Salvinis Lega setzte sich ungebremst weiter fort, und wo sie sich bisher als die „zweite Kraft“ hinter Melonis FdI präsentieren konnte und Salvini so tat, als ob er vor lauter Kraft nicht laufen kann, ist sie jetzt dabei, die Rolle des belächelten „Juniorpartners“ zu übernehmen. Sie fiel bisher der FI zu, der nach dem Tod ihres Gründers Berlusconi ebenfalls das baldige Ableben vorausgesagt worden war. Es kam anders: In den Abruzzen erreichte die FI 13,4% und Salvinis Lega 7,6%, in Sardinien kam die FI auf 6,3% und die Lega auf demütigende 3.7%. Noch in den vergangenen Monaten hatte Salvini suggeriert, dass es bei den bevorstehenden Europawahlen zum großen Showdown zwischen Meloni und ihm kommen müsse, der sich dabei als Architekt einer vereinigten Rechten profilieren würde, die auch die extremsten Parteien mit ins Boot holen würde. Nun scheint er Angst bekommen zu haben, dass die Europawahl für ihn zur Stunde der Wahrheit wird. Während seine Bekundungen immer schriller werden, mehren sich die Nachrichten, dass man in der Lega darüber nachzudenken beginnt, ob für das Überleben der Partei ein Führungswechsel nicht besser wäre.
Lernprozesse der Opposition
Nachdem es bei der Regionalwahl in Sardinien zu einem überraschenden, aber knappen Sieg des Bündnisses der beiden größten Oppositionsparteien PD und M5S gekommen war, hatten sie einen Moment lang – genauer zwei Wochen lang – die Hoffnung, nun vielleicht auch eine Festung der Rechten knacken zu können, die man noch vor wenigen Wochen für uneinnehmbar hielt: die Abruzzen, in denen am vergangenen Sonntag, dem 10. März, eine Regionalwahl stattfand. Zumal es hier gelungen war, für die Wahl eines „neuen Gesichts“ (dem Wirtschaftswissenschaftler D’Amico aus der Universitätsstadt Teramo) ein noch breiteres Bündnis als in Sardinien zusammenzubringen, in das nun auch die beiden Zentrumsparteien von Calenda und Renzi eingestiegen waren. So dass viele Kommentatoren schon von einer „Trendwende“ für ganz Italien sprachen, wenn es auch hier gelänge, die Rechte zu schlagen. Elly Schlein verkündete, dass dann den ultimative Beweis erbracht wäre, „dass es wirklich eine Alternative gibt“, die in dem Rezept bestehe, das sie seit Monaten bei jeder Gelegenheit verkündet: die Bildung eines „Campo largo“, das heißt eines ganz breiten Bündnisses gegen die Rechte. Wofür die Voraussetzungen, wie es schien, in den Abruzzen noch eher als in Sardinien gegeben zu sein schienen.
Es hat nicht sollen sein. Schon die Hoffnung, durch das „breite Bündnis“ eine Erhöhung der Wahlbeteiligung zu erreichen, die bei der letzten Regionalwahl vor fünf Jahren bei deprimierenden 53,1% lag, erwies sich als Flop: Nun lag sie mit 52,2% also sogar noch einen knappen Punkt darunter, in den Abruzzen ein historisches Tief. Das Ziel der Opposition, in das Lager der „Unentschiedenen“ einzubrechen, die sie auf 600.000 schätzte, wurde verfehlt. Bei denen, die zur Wahl gingen, lag der rechte Kandidat deutlich vorn: Für die Wiederwahl des bisherigen Regionalpräsidenten Marsilio stimmten 53,5%, für den von der vereinigten Opposition unterstützten „Prof“ D’Amico nur 46,5%.
Woran lag es? Im Wahlkampf hatte die Opposition nicht nur auf den mitgebrachten Schwung aus der Sardinien-Wahl, sondern auch auf reale Mängel der Regionalpolitik gesetzt, die in den Abruzzen besonders fühlbar sind: ein vernachlässigtes öffentliches Gesundheitswesen und schlechte Verkehrsverhältnisse. Das rechts dominierte Regionalparlament fasste noch kurz vor der Wahl ein paar Beschlüsse, die – wie es die Opposition nannte – ein wenig „Trinkgeld“ unter die Leute brachten, und ansonsten konzentrierte sich die Rechte auf die Warnung, die Region nicht „den Kommunisten“ zu überlassen (was sich vor allem gegen Elly Schlein richtete), da dies – so Meloni – „für die Region zerstörerisch“ wäre. An diesem Wahlkampf kann die Niederlage kaum gelegen haben.
Das „breite Bündnis“ kann zur Falle werden
Die genauere Analyse des Wählerverhaltens, die inzwischen (seitens des Wahlforschungsinstituts Cattaneo) vorliegt, führt auf eine andere Spur: Die Politik des „breiten Bündnisses“, die in den Abruzzen gegen die Rechte verfolgt wurde, stößt an eine Grenze, wo sie relevante Wählerschichten davon abhält, überhaupt zur Wahl zu gehen. Genau dies scheint in den Abruzzen geschehen zu sein. Beispiel 5-Sterne-Bewegung: Dass sie in den Abruzzen seit der Regionalwahl von 2019 von 22,4% auf heute 7% schrumpfte, muss nicht einem Wechsel der politischen Gesinnung – zum Beispiel Richtung PD – geschuldet sein, sondern kann auch ein stiller Protest gegen ein Bündnis sein, das mit politischen Kräften geschlossen wurde, welche die eigene Führung bisher als politischen Gegner betrachtete, wie zum Beispiel die beiden Zentrumsparteien Azione (Calenda) und Italia Viva (Renzi). So dass die 46,5%, die bei der Wahl am vergangenen Sonntag für den Kandidaten der Linken zusammenkamen, das Ergebnis zweier gegenläufiger Bewegungen sind: Die PD mobilisierte zwar mit ihrer jungen neuen Generalsekretärin ein paar Menschen mehr, zur Wahl zu gehen, aber nicht genug, um die Verluste auszugleichen, die dadurch entstanden, dass ein größerer Teil der Wählerschaft der 5SB schlicht zu Hause blieb. Auch zwischen der PD und der 5SB gibt es Aversionen, die nicht nur von ihren Führern, sondern auch von ihrer jeweiligen Wählerschaft getragen werden. Dass sie bei der Sardinien-Wahl nicht zur Niederlage führten, wie jetzt in den Abruzzen, lag daran, dass dort die PD bei der Frage der Kandidatenwahl die Rolle des Klügeren übernommen hatte, der nachgibt, indem sie sich der der von der 5SB vorgeschlagenen Kandidatin anschloss. Aber obwohl sich zeigte, dass dies der PD bei ihren Wählerinnen und Wählern nicht schadete – sie bekam dort fast doppelt so viele Stimmen wie die 5SB -, wird dies kaum zum „Modell“ für weitere Bündnisverhandlungen werden können.
Auch das Zentrum hat verloren
Einen ähnlichen Effekt hat – im Kleinen – Calendas Zentrumspartei „Azione“ zu verzeichnen, der man in den Abruzzen bisher ein Wählerpotenzial von etwa 7% zurechnen konnte, die aber bei dieser Wahl nur auf einen Anteil von 4% kam. Die verloren gegangenen 3%, so die Wahlforscher, waren ebenfalls zu Hause geblieben oder hatten diesmal sogar eine Partei des Rechtsblocks gewählt. Und die Begründung war oft die symmetrisch gleiche wie bei der 5SB: Mit denen kann man doch nicht gemeinsame Sache machen. Wenn man Hund und Katze in ein Bündnis hineinnimmt, so die Lehre aus der Abruzzen-Wahl, kann man nicht mehr davon ausgehen, dass ihre jeweiligen Wählerschaften bündnistreu bleiben.
Das ist also das Dilemma, auf das jetzt vor allem die von Elly Schlein verfolgte Politik des „breiten Bündnisses“ hinausläuft und das die Autoren der Cattaneo-Untersuchung so zusammenfassen: „Auf der einen Seite ist es unbedingt erforderlich, dass sich die (oppositionelle, HH) Koalition erweitert; auf der anderen Seite gibt es im ‚breiten Bündnis‘ eine wechselseitige Feindseligkeit, die bewusst von den Leadern gegen die anderen Leader und die Symbole der Parteien kultiviert wurden, die heute Bündnispartner sind“. So dass auch Conte heute ein Getriebener ist, wenn er nach der Wahl in den Abruzzen eingesteht, dass die dortige Niederlage auch an der Wahlenthaltung seiner eigenen Wählerschaft lag, und hinzufügt: „Wenn wir (durch das „breite Bündnis“, HH) auf einen Boden geraten, auf dem unsere Ziele verwässert werden, müssen wir dafür einen Preis bezahlen. Wir können es uns nicht erlauben, unsere Identität verbleichen zu lassen“.
So sind die Regionalwahlen für die Linke unversehens zu einer Art Laboratorium für die Frage geworden, wie man die Rechte schlagen kann. Die nationale Wahl vor anderthalb Jahren hat gezeigt, wie es auf jeden Fall nicht geht: wenn die Opposition gespalten antritt. Die Sardinien-Wahl bewies, dass es geht, wenn sich zumindest die beiden größeren Oppositionsparteien PD und 5SB auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Der Ausgang der Abruzzen-Wahl zeigt jedoch, dass die Breite des Bündnisses – nach dem Motto: je mehr, desto besser – nicht beliebig erweiterbar ist. Es scheint, dass diese Lektion schon bei der Planung der nächsten Regionalwahl in der Basilicata gelernt wurde: Der Spitzenkandidat, auf den sich dort soeben die PD mit die 5SB geeinigt hat, wird wieder ein „unabhängiger Linker“ sein, wie in den Abruzzen. Aber Calenda wurde diesmal nicht gefragt.
Der Lernprozess, der hier stattfindet, hat eine Achillesferse: Er wird sich nicht bis zur nächsten nationalen Wahl fortsetzen lassen. Dafür sind auf außenpolitischer Ebene – zumindest bisher – die Differenzen zwischen PD und 5SB zu groß, wie sich vor allem in der Ukraine-Frage und im Verhältnis zu Trump zeigt. Von ihnen kann man auf lokaler und regionaler Ebene noch absehen. Auf der nationalen Ebene aber nicht.