Russische Fakes in Italien

Vorbemerkung:

Claudio Tito, der Brüsseler Korrespondent der „Repubblica“, berichtete am 25. März, dass die dortigen Analysten in Putins Versuch, der Ukraine die Schuld für den Terrorangriff in der Moskauer Crocus City Hall in die Schuhe zu schieben, vor allem das propagandistische Vorspiel zu einer noch brutaleren Offensive gegen Kiew sehen. „Die Isis-k-Terroristen werden zu einer gigantischen Rechtfertigung für ein noch härteres Vorgehen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung… Das Zusammenfallen der zum Plebiszit gewordenen Wahl mit der internen Angst erlaubt es ihm, auch gegenüber der öffentlichen Meinung jede Grenze zu überschreiten. Dafür sind ‚fake news‘ das Hauptinstrument“. Mit denen nicht nur das eigene Volk auf Vordermann gebracht, sondern auch die öffentliche Meinung in Europa so weit mit Zweifeln kontaminiert werden soll, dass der Unterstützung der Ukraine der Boden entzogen wird.

Wie die russische Produktion von fake news in einem westeuropäischen Land funktioniert, dafür gibt der folgende Artikel ein Beispiel, den wir im Folgenden fast vollständig übersetzen. Er handelt von einem Pseudo-Portal namens „Il Corrispondente“, das offenbar in russischem Auftrag seine Botschaften über Hunderte von falschen Accounts in Italien weiterleitet. Der Artikel wurde am 25. 3. in der „Repubblica“ veröffentlicht, Autoren sind Giuliano Foschino und Fabio Tonacci.

Der Versuch, für die italienische „Öffentlichkeitsarbeit“ auch den berühmt-berüchtigten Chef der „Ultras von Inter Mailand“ (Nino Ciccarelli), anzuheuern, zeigt die zynische Bedenkenlosigkeit des russischen Vorgehens bei dem Versuch, sich auch solcher Namen zu bedienen. Obwohl ihn die Russen sogar in ein Hotel in Sotschi einluden und ihm dafür auch Geld anboten, lehnte er es ab, mitzuspielen. Es wird viele Werbeträger für russische fakes geben, die sich nicht so verhalten. im März wurde Giorgia Melonis Instagram-Profil gehackt, als sie gerade von einer EU-Mission nach Ägypten zurückkehrte. Mit Indizien, die auf die gleiche Quelle hinweisen, von der auch im folgenden Text die Rede ist.

Nun also der Artikel von Giuliano Foschino und Fabio Tonacci:

Desinformation: Der von der russophilen Webseite verbreitete Fake, der Kiew beschuldigt, dringt in die italienischen sozialen Medien ein

Putins alternative Wahrheit über das Moskauer Massaker hat seinen stärksten Lautsprecher in Italien gefunden. Schon wenige Stunden nach dem Attentat setzte sich ein weitläufiges Netzwerk in Bewegung, um in X (ehemals Twitter) auf Italienisch geschriebenen Posts auf die ‚ukrainische Spur‘ hinzuweisen. Plötzlich materialisierte sich der Versuch des Kreml, die Verantwortung Kiew zuzuweisen, in Tausenden von Kommentaren von bis dahin stummen Accounts. ‚Es gibt eine direkte Verbindung zwischen dem Massaker und dem Regime in Kiew. Wir hoffen auf Gerechtigkeit‘, schreibt dort eine Deziray Villa. ‚Die Regierung in Kiew sollte nicht aus ihrer Verantwortung für das Massaker entlassen werden‘, antwortet Polly Bumbaugh. Und eine Zamara Tilman setzt hinzu: ‚Leider bildet die Ukraine Terroristen aus und schickt sie in die ganze Welt. Es ist alarmierend‘. Und so weiter, womit der virtuelle Platz von X gefüllt wurde.

Worin besteht die Gemeinsamkeit dieser Posts? Drei Dinge. Erstens wurden sie alle Mitte März geschrieben, mit einem hashtag über Krypto-Währungen. Zweitens wurden sie siebentausend mal geteilt und dreißigtausend mal visualisiert, Der dritte Punkt ist am interessantesten: Fast alle enthielten einen Link zu einem Artikel im Corrispondente, dem journalistischen Pseudo-Portal, das aus dem Nichts entstand und die Moskauer Propaganda enthält…

Der Corrispondente wurde von dem 23-jährigen Turiner Amadeo Avondet ins Leben gerufen, der früher einmal zu den Fratelli d’Italia gehörte. Der Artikel, der mit dem Bot-Netz verlinkt ist (automatische Fake-Profile werden durch den Input eines Algorithmus aktiviert), heißt ‚Der Terror kehrt nach Moskau zurück‘. Autoren werden nicht genannt, wie alles, was im Portal erscheint, er wimmelt von orthographischen Fehlern, und schon durch die Zusammenfassung versteht man die Richtung des Textes. ‚Das Regime von Kiew ist direkt für das Crocus-Massaker verantwortlich. Die Ukraine ist das globale Zentrum der Rekrutierung und Ausbildung terroristischer Zellen durch die Vereinigten Staaten und Großbritannien geworden‘. Diese Gewissheit wird durch das folgende Argument bekräftigt: ‚Dann ist noch festzustellen, dass die Terroristen mit extremer Brutalität, Entschlossenheit und Professionalität vorgingen, was beweist, dass sie nicht nur eine sehr gute Ausbildung erhielten, sondern auch über eine beträchtliche Erfahrung auf dem Schlachtfeld verfügen, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit genau in der Ukraine erworben haben‘.

Die zeitliche Koinzidenz muss auffallen: Die Bot-Profile wurden an den gleichen Tagen produziert, an denen auch das Instagram-Profil von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gehackt wurde. Es wird keine Verbindung sichtbar, aber es ist Tatsache, dass das Fake-Netz offiziell entstanden ist, um Bitcoin zu sponsorn und den Namen von Elon Musk zu benutzen. Genau das, was auf dem gehackten Profil der Ministerpräsidentin erschien, wenn auch nur für wenige Minuten. Kann die gleiche Hand dahinter stecken? Außerdem hat es in in der letzten Zeit Bestätigungen für einen alten Verdacht gegeben: Mit Sicherheit boten die Russen Geld, um italienischsprachige Einflussgruppen zu bilden. wobei sie unbekannte Profile, aber auch bekannte Persönlichkeiten benutzen, denen sie reich vergütete Verträge anbieten (man lese den Bericht des Chefs der Ultras von Inter, Nino Ciccarelli).

Italien ist nicht das einzige Land, auf das die Kreml-Propaganda in den sozialen Medien zielt. Der Insider, ein Portal der auf Russland fokalisierten unabhängigen Ermittlungen, nennt den Corrispondente als einen in einer ganzen Serie von Online-Pseudo-Portalen wie spiegel ltd (das den gleichen Namen trägt wie die reale Wochenzeitung Der Spiegel, aber mit anderer Adresse), grenzenzank.com, hauynescherben.net, onnam.life und viele andere, die als Zentralen für die Verbreitung eines Inhalts dienen, der stets alle Elemente von Putins alternativer Wahrheit enthält und sich überall als Spam einnistet…“

Nachbemerkung

Wo hier die russische Propagandamaschine noch einiges an Arbeit vor sich hat, zeigt eine repräsentative Umfrage, die das italienische Meinungsforschungsinstitut Noto Sondaggi wenige Tage nach dem Moskauer Massaker in Italien durchführte. Bisher glauben nur 5% der Befragten, dass hinter ihm die Ukraine steckt, und nur 10%, dass Russland eigentlich ein demokratisches Land sei, das dem Westen nur wegen seiner militärischen Stärke zuwider ist.

Im Widerspruch dazu scheinen Umfragen zu stehen, die seit Jahresbeginn die Bereitschaft der Italiener erkunden, den Abwehrkampf der Ukraine auch weiterhin durch Waffenlieferungen zu unterstützen, die aber inzwischen auf weniger als 20% gesunken ist. Was allerdings nicht an der gewachsenen Sympathie für Russland liegt (dies dokumentiert die Noto-Umfrage), sondern an einem ganz anderen Gefühl: der Angst, sich hier mit einem Gegner einzulassen, der auf Dauer doch gewinnen wird. Wo nach dem Motto gehandelt wird, wenn sie mich schon nicht lieben, sollen sie mich wenigstens fürchten, hat die russische Propagandamaschine beachtliche Erfolge vorzuweisen: 38% der Italiener meinen, dass sich Putin am Ende doch Teile der Ukraine einverleiben wird, und 23%, dass er dies sogar in Gänze tun wird, und 50% halten es inzwischen für möglich, dass er auch andere europäische Länder angreift. Eine Furcht, die sich wiederum mit einer illusionären Hoffnung der Mehrheit der Italiener verbindet: dass es hier doch noch die Alternative gebe, stattdessen zu einer „diplomatischen Lösung“ zu kommen (woran insbesondere 80% der Lega- und M5S-Anhänger glauben). Leider muss der dazu nötige Wille beiderseitig sein.