„Schreibt einfach nur Giorgia“
Am vergangenen Sonntag hat die sogenannte programmatische Konferenz der Partei Fratelli d’ Italia in Pescara offiziell den Europa-Wahlkampf eröffnet. Mehr als um eine inhaltliche Programmdebatte handelte sich zwar um einen Aufmarsch von FdI-Ministern, führenden Parteivertretern und honorigen Gästen, die Vorträge zu verschiedenen Themen hielten – und sowieso nicht sonderlich beachtet wurden. Denn alles war auf den Auftritt der Parteivorsitzenden und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Abschlusstag ausgerichtet, bei dem auch die Verkündung ihrer Entscheidung über eine eigene Kandidatur erwartete wurde.
„Und nun kommt endlich jene junge Frau, die dabei ist, Italien zu verändern, und sich anschickt, auch Europa zu verändern!“, so die begeisterte Ankündigung ihres Erscheinens, das von lauter Musik, Jubelrufen und schwenkenden Trikolore-Fahnen begleitet wurde. Nachdem „die junge Frau“ (nun ja, sie ist 47 Jahre alt, aber das ist unerheblich) Loblieder auf die Erfolge ihrer Partei und vor allem ihrer Regierung gesungen hatte, wurde – nicht überraschend – das Ersehnte verkündet: Sie werde bei der Europa-Wahl in allen Wahlkreisen als Spitzenkandidatin antreten. Natürlich weiß jeder, dass sie ihren Sitz im EU-Parlament nicht antreten wird, und dass sagt sie auch. Also eine reine „Symbolkandidatur“, die ihrer Partei möglichst viele Stimmen bringen soll? Nicht nur. Es geht um mehr: um ein Referendum für die eigene Person bzw., wie Ezio Mauro in der „Repubblica“ schreibt, um eine Art „sakrale Investitur“, die ihren politischen Führungsanspruch – nicht allein in Italien, sondern auch in Europa – besiegeln soll.
Die Person als Programm
Wie übersteigert personalistisch und selbstreferentiell diese Haltung ist, wird am Ende ihrer Rede besonders deutlich. Gerichtet an „die Bürger“ ruft sie: „Wenn ihr meint, dass ich was Gutes tue, wenn ihr an mich glaubt, dann bitte ich euch: Schreibt auf den Wahlzettel einfach nur ‚Giorgia‘!“. Sie sei stolz darauf, dass die meisten Bürger sie nur mit ihrem Vorname ansprächen, denn: „Ich bin eine Frau des Volkes, ich bin eine von euch – ich war es immer und und werde es immer sein!“. Meloni pflegt intensiv ihr „Underdog-Image“, das aber kaum ihrer realen Biographie entspricht. Es gründet darauf, dass ihre alleinerziehende Mutter, nachdem Melonis Vater – ein Steuerberater aus wohlhabender Familie – sich von ihr getrennt hatte, mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, um für die beiden Töchter zu sorgen. Giorgia Meloni selbst ist, nach einem Bildungsabschluss in Fremdsprachen, bereits in sehr jungen Jahren in die Politik eingestiegen. Mit Erfolg. Mit 19 Jahren leitete sie die Studentenorganisation der Alleanza Nazionale (Nachfolgepartei der neofaschistischen MSI), mit 29 Jahren war sie schon Parlamentsabgeordnete, mit 31 Ministerin (in der Berlusconi-Regierung), dann Vorsitzende der von ihr gegründeten Partei Fratelli d’ Italia und ist jetzt als Ministerpräsidentin die mächtigste Frau Italiens. Ein Underdog?
Nun soll das Volk also bei der Wahl nur ‚Giorgia‘ scheiben. Soll das vielleicht ein Witz zu rhetorischen Zwecken sein? Mitnichten. Inzwischen ist es amtlich bestätigt: Sie wird auf dem Wahlzettel als „Giorgia Meloni – detta Giorgia“ (genannt Giorgia) aufgeführt sein. Ungeachtet der Bedenken etlicher Juristen, ob dies überhaupt rechtens sei, hat das Innenministerium nun offiziell mitgeteilt: Es reicht, „Giorgia“ zu schreiben. Es gibt offensichtlich in ganz Italien nur die eine ‚Giorgia‘. Und diese setzt ihren Vorname ein wie ein Markenzeichen (heute sagt man wohl „brand“ dazu), so wie manche Popstars oder „Influencer“. Das Volk ist nicht aufgerufen, eine Partei und ein Programm zu wählen – sondern einfach nur: Giorgia.
Diese Fixierung auf die eigene Person ist kein Novum. Schon 2022 – kurz vor den italienischen Parlamentswahlen – hatte sie in ihrer berüchtigten Rede auf der Versammlung der spanischen rechtsradikalen Partei „Vox“ zum Abschluss wie besessen geschrien : „Ich bin Giorgia!! Bin eine Frau! Bin eine Mutter! Bin Italienerin! Bin eine Christin!!“. Und ihre Autobiographie trägt den Titel – na, was wohl? „Io sono Giorgia“. Und jetzt möchte sie auch den Wahlgang, bei der nur ihr Rufnahme eingetragen werden soll, zu einer Art ritueller Identifikation machen.
Eine solche Überhöhung der eigenen Person – die sie, zugegeben, durchaus gekonnt inszeniert – kann mobilisierend wirken, birgt aber auch Risiken. Denn sie weckt unvermeidlich hohe Erwartungen, im Fall der kommenden Europa-Wahl auf großartige Zustimmungswerte. Dass Meloni sie erreichen kann, ist nicht sicher. Zurzeit geht der Trend ihrer Partei in Umfragen leicht nach unten. Und dass die konkreten, drängenden Probleme, die die Wählerinnen und Wähler belasten, kaum von Meloni und den Ihren angegangen werden, kann sich negativ auswirken. Auch gerade auf die Wahlbeteiligung. Giorgia hin oder her.
Ezio Mauro, ehemaliger Chefredakteur und noch Autor von „Repubblica“, hat zu Melonis Auftritt den folgenden Artikel verfasst, den wir (leicht gekürzt) in deutscher Übersetzung veröffentlichen:
„Meloni, die heidnische Weihung – von Ezio Mauro
Die zweite Metamorphose von Giorgia Meloni hat gestern (am 28. April, MH) stattgefunden, mit den Fratelli d’Italia als Publikum, das stehend immer wieder ihren Namen rief, als sie ihre Entscheidung verkündete, bei den Europa-Wahlen in allen Wahlkreisen als Spitzenkandidatin anzutreten. ‚Denn wenn der Augenblick gekommen ist, gehorcht ein Soldat und zieht in den Kampf‘. Die erste Metamorphose – von der Parteichefin zur Regierungschefin – hatten die Wählerinnen und Wähler damals (bei den Parlamentswahlen 2022, MH) herbeigeführt; die jetzige entsteht aus der reaktionären und revolutionären Ideologie, welche die Ministerpräsidentin beseelt: ‚Den Einsatz erhöhen‘, um über die nationalen Grenzen hinauszugehen und sich als das subversive Subjekt zur Änderung europäischer Gleichgewichte anzubieten, mit einem rechtsradikalen Modell, das ‚auf Tradition, Familie und Glauben‘ gründet. Um die Linke zu besiegen und in die Opposition zu verbannen, damit der ‚schlafende Kontinent‘ endlich aus einer langen europäischen Nacht erwacht und seiner wahren Berufung folgt.
Natürlich ist das, wenige Wochen vor der Europa-Wahl, ein Wahlprogramm. Aber die Ambition geht weit über den kommenden Urnengang hinaus. Meloni ist überzeugt, dass das italienische Experiment einer Rechten, die aus dem Post-Neofaschismus kommt und in wenigen Jahren die Regierung eines Gründungsmitglieds der Europäischen Union erobert, auch als kontinentaler Hebel funktionieren kann: um eine neue politische Geographie zu schaffen und vor allem, um eine neue Kultur in Bezug auf Institutionen und Wertesystem zu etablieren, welche in Brüssel und Straßburg die Phase der Kompromisse zwischen Zentrum und Linker beendet. Es ist ein Appell an die Zentristen, konservativ zu werden, und an die Konservativen, reaktionär zu werden. Implizit ist das auch an ihre eigenen Verbündeten gerichtet, sich ihrer Leadership nicht nur in der Regierung, sondern auch in der gesamten Rechten zu unterwerfen. Eine solche politische Übernahme ist im Gang und rekrutiert bereits die Pseudo-Führungseliten des Landes (wie man auf der Versammlung in Pescara an dem Auftritt staatlicher Unternehmensführer sehen konnte, die ohne Scham und ohne Achtung vor ihrer eigenen Rolle T-Shirts mit dem Emblem von Fratelli d’ Italia vorführten), bevor man dazu übergeht, sich auch Vertreter anderer Parteien einzuverleiben.
Bisher hält das Bündnis, dank der Bindungskraft, welche Regierungsbeteiligung, Macht und Medienkontrollen entfalten. Dabei muss eines klar bleiben: Es gibt nur einen Chef oder vielmehr eine Chefin. Das Dominospiel der Macht schreitet fort: von der Partei zur Koalition, dann zur Regierung, zum Staat und nun zu Europa. Mit der sofortigen und freiwilligen Unterwerfung seitens halbstaatlicher Stellen, des öffentlichen Rundfunks und dienstbereiter Medien. Alles konvergiert in und identifiziert sich mit Melonis politischem Abenteuer. Auch weil es für Forza Italia – nach dem ganz persönlichen Extremismus Berlusconis – zwar leicht ist, sich als moderat zu bezeichnen, doch schwer, dies auch durch Taten zu beweisen. Gestern fand die Absegnung von Melonis Leadership in Form einer heidnischen Weihung statt. Sie hat dort ihren Taufnamen zelebriert, als Beleg für ihre Zugehörigkeit zum Volk, für Vertrautheit und Vertrauen, und sie will alle an ihm teilhaben lassen: ‚Nennt mich ‚Giorgia‘, schreibt nur ‚Giorgia‘ auf den Wahlzettel!‘. Die Leadership verschmilzt mit der Person, Zustimmung wird zur Identifikation, der (Vor)Name kennzeichnet die Rechte – und umgekehrt. Er sagt alles und benötigt nichts anderes: ‚Giorgia‘ reicht.
Das ist die wahre Kandidatur, die gestern verkündet wurde, und nicht die Entscheidung, sich den Wählern als Spitzenkandidatin zu präsentieren. Wie in allen metapolitischen Prozessen, wurde offiziell ein Wahlkampftermin absolviert, in Wirklichkeit aber eine rituelle Handlung zelebriert: die Weihung der Investitur. Dementsprechend gerieten Programm und Projekt unvermeidlich in den Hintergrund, mit Hinweisen auf die Notwendigkeit eines Europas ‚aus starken und souveränen Nationen‘ … und einer langen Aufzählung voller Selbstlob für die Regierungserfolge … Der Kern der politischen Aussage ist die Identität der radikalen Rechte, die eins ist mit der Person und der Geschichte der Chefin. Sie übt Kritik an ‚den europäischen Bürokraten, die in ihrem Glaspalast eingeschlossen sind‘, und an ‚den grünen Talibanenen der Green-Ideologie‘, und setzt gegen die Brüsseler Gleichschaltungspolitik die Verteidigung der von italienischen Produzenten geschaffenen ‚Exzellenzen‘. Und vor allem ruft sie Europa auf, sich der ‚demographischen Herausforderung‘ zu stellen, mit einer Gesellschaft, die ‚endlich kinder- und familienfreundlich ist und die in einer Zeit, in der negiert wird, dass für die Zeugung eines Kindes ein Mann und eine Frau nötig sind, immer noch von Mama und Papa spricht‘.
Die Rechte tritt wieder in den Horizont ein, der sich von Wojtyla bis Ratzinger erstreckt, indem sie sich wieder die jüdisch-christlichen Wurzeln Europas gegen einen Laizismus aneignet, ‚der erst die Kruzifixe aus den Schulen verbannt, um sie dann wegen Ramadan zu schließen‘. Und ‚Giorgia‘ verkörpert diese Rechte, die der Modernität misstraut, die Vergangenheit patriotisch überhöht, skeptisch gegenüber der liberalen Demokratie ist und nur aus Zufall westlich. Die also noch auf Erfüllung wartet.‘ Oder vielleicht nur darauf, dass Trump zurückkehrt, der mit seiner subversiven Anti-Demokratie alles wieder in Ordnung bringen will – diesseits und jenseits des Atlantiks.“