Zwei Politikerinnen, zwei Arten von Kommunikation
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. In ihren politischen Ansichten sowieso, das ist klar. Aber auch in der Art und Weise, wie sie in der Öffentlichkeit agieren und kommunizieren. Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin und Leaderin der stärksten Regierungspartei, und Elly Schlein, der Oppositionsführerin und Generalsekretärin der Demokratischen Partei/PD, stehen im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, Vergleiche ihres persönlichen Auftretens und Kommunikationsstils sind nicht nur unvermeidlich, sondern auch politisch aufschlussreich. Es lohnt sich daher – auch wenn man um Simplifizierungen nicht herumkommt -, sich hier auf rutschiges Terrain zu begeben und das Risiko in Kauf zu nehmen, dem Trend zur Personalisierung der Politik ein wenig Vorschub zu leisten.
Die „Frau des Volkes“ – allein zu Hause
Zwischen Melonis Selbstanspruch, eine „Frau des Volkes“ zu sein, und ihrer realen Kommunikation, sei es mit dem „Volk“ oder mit politischen Gegenspielern, gibt es einen Widerspruch. Sie inszeniert sich selbst gerne als „Unterdog“: von bescheidener Herkunft und fern von den „Palazzi“ der Politik. Ein Narrativ, das darauf gründet, dass ihre Mutter nach früher Trennung von Melonis Vater – einem Steuerberater aus wohlhabender Familie – allein für die beiden Töchter zu sorgen hatte. Fern von der politischen Macht war Meloni nicht. Schon in sehr jungen Jahren übernahm sie leitende Positionen in der Nachfolgepartei der neofaschistischen MSI bzw. ihrer Jugendorganisation. Mit 31 Jahren wurde sie Ministerin in der Berlusconi-Regierung und Vorsitzende der Fratelli d’Italia. Und jetzt ist sie Italiens Regierungschefin.
Schon allein deswegen entspricht die Selbsterzählung über ihre „Volksnähe“ nicht ganz der Realität. Erst recht passt nicht dazu, dass sie bei ihren öffentlichen Auftritten den direkten Kontakt und den Dialog mit den Bürgern eher meidet. Ihre Kommunikation besteht beinah ausschließlich aus offiziellen Stellungnahmen (im Parlament, vor der Presse, bei offiziellen Anlässen) und aus persönlichen Internetauftritten – über Facebook und andere Kanäle –, bei denen sie in Monologen (Titel: „Gli appunti di Giorgia“ – „Giorgias Notizbuch“) ihre Sicht der Dinge präsentiert, ohne mit Gesprächspartnern in einen Dialog eintreten oder sich lästigen Fragen von Außenstehenden stellen zu müssen. Daher versucht sie auch – mehr als ihre Vorgänger, egal welcher politischen Couleur – Pressekonferenzen zu meiden, bei denen sie Journalisten Rede und Antwort stehen muss. Und wenn dies doch mal der Fall ist, reagiert sie persönlich beleidigt und verärgert auf kritische Fragen, statt sachlich und professionell ihren Standpunkt bzw. den ihrer Regierung zu vertreten.
Der „Unterdog“ beschwört also ständig Nähe zum Volk („Ich bin eine von euch!“), verbarrikadiert sich aber hinter ihrer institutionellen Rolle oder persönlichen Botschaften im Web. Dort preist sie ausgiebig die Wundertaten ihrer Regierung und lässt der Außenwelt keine Gelegenheit zur Widerrede.
Schlein – mittendrin in der Wirklichkeit
Elena Ethel Schlein, die auf den Rufname Elly hört, ist seit März 2023 Chefin der stärksten Oppositionspartei und damit die Hauptgegenspielerin von Meloni. Sie ist in der Schweiz (Tessin) geboren und stammt aus einer Intellektuellenfamilie. Die (italienische) Mutter und der (amerikanische) Vater waren Universitätsprofessoren, ihr Bruder ist Mathematiker, ihre Schwester Diplomatin. Schlein selbst, die mehrsprachig aufgewachsen ist, hat in Bologna ein Jurastudium abgeschlossen. Von „Unterdog“-Image keine Spur. Und dennoch findet Schlein – trotz ihres „elitären Hintergrunds“, den ihr Meloni sicherlich gern nachsagen würde – leichter Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern. Und zwar ganz besonders zu jenen, die sozial benachteiligt sind, und deren Anliegen ihr offenbar viel näher stehen als der vermeintlichen „Frau des Volkes“, der die liberale Demokratie lästig ist und die mit ihrer Politik lieber die Interessen weniger Lobbys bedient.
Während sich also „Giorgia“ im Netz in solipsistischer Selbstanpreisung darbietet, ist Elly Schlein unermüdlich in der „analogen Welt“ unterwegs. Während des Europa-Wahlkampfes trat sie tagtäglich in größeren und kleineren Städten in ganz Italien auf, insgesamt an mehr als hundert Orten (Meloni hingegen ließ sich auf einer einzigen Großveranstaltung von den eigenen Anhängern bejubeln). Doch auch außerhalb von Wahlkämpfen sucht Schlein den Austausch mit den Bürgern. Sie besucht Betriebe und Krankenhäuser, ist in städtischen Randbezirken unterwegs und beteiligt sich an Veranstaltungen mit Vertretern der Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften. Nicht als belehrende Prima Donna, sondern als Gesprächspartnerin auf Augenhöhe. Auch hier im Unterschied zu Meloni, die trotz der vielen Witze und Grimassen, mit den sie – zweifellos mit schauspielerischem Talent – ihre Reden und Auftreten würzt, lieber das Drehbuch allein diktiert , als sich auf eine offene, geschweige denn kontroverse Begegnung einzulassen.
Aktuell ist die PD-Generalsekretärin der treibende Motor der Unterschriftensammlung für das Referendum gegen die erweiterte regionale Autonomie (Lieblingsprojekt der Lega). Mit Erfolg: innerhalb von zwei Wochen wurde das Quorum von mindestens 500.000 Unterschriften überschritten, die für die Durchführung des Referendums erforderlich ist. Die Kampagne geht weiter und hat sich als Ziel eine Million Unterschriften gesetzt. Die Front, die sich daran beteiligt, ist breit: neben der PD gehören u. a. dazu die 5Sterne, die Allianz Grüne/Linke, +Europa, Italia Viva und die Gewerkschaftsverbände CGIL und UIL.
Schlein scheint in der Rolle angekommen zu sein, die ihr entspricht. Das war nicht von Anfang an so. Nach ihrem überraschenden Sieg bei den Vorwahlen zur PD-Spitze im Februar 2023 musste sie sich zunächst in der ihr fremden Welt des Parteiapparats (nicht der Politik, da verfügt die frühere Europaabgeordnete und stellvertretende Regionspräsidentin der Emila Romagna schon lange über reichliche Erfahrung) zurechtfinden. Parteiintern kam von einigen der Vorwurf, sie würde sich nur mit wenigen Vertrauten abstimmen und sich zu wenig bemühen, die unterschiedlichen „Seelen“ der PD einzubinden. Das gute Ergebnis bei der Europa-Wahl und mehrere gemeinsame Initiativen der Opposition zu zentralen Themen – gegen die „autonomia differenziata“, für den Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und gegen die von Meloni geplanten Verfassungsänderung zur Direktwahl des Regierungschefs – haben ihre Position gestärkt, in und außerhalb der Partei, und sie auch sicherer in ihrem öffentlichen Auftreten werden lassen.
Ausblick: Ein Herbst mit vielen Fragezeichen
Dennoch bleibt der Weg für die Oppositionsführerin lang und hürdenreich. Auf drei Ebenen: 1) Parteiintern ist ihre Leadership zwar gefestigt, doch besonders die sogenannten „Reformer“, die politisch dem Zentrum zuneigen, stehen ihrem Linkskurs nach wie vor kritisch gegenüber; der linke Flügel der PD hadert wiederum mit Schleins Bestreben, eine breite gemeinsame Front der Oppositionskräfte aufzubauen (er nennt es „sturen Willen nach Einheit“), die von den 5Sternen und der linksgrünen Allianz bis zu den Zentrumsparteien geht. 2) Eben jene potentielle Bündnispartner, allen voran die 5Sterne, haben oft eher die eigene Profilierung als ein gemeinsames Vorgehen im Auge, zumal es auch gravierende politische Differenzen gibt, zum Beispiel im Hinblick auf die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression. 3) Last but not least sind, trotz wachsender Spannungen innerhalb der Regierungskoalition, die zustimmenden Werte für die Ministerpräsidentin und ihre rechtsextreme Partei immer noch hoch.
Andererseits stellt sich auch für Meloni die Lage schwieriger dar als vor einem Jahr. Innenpolitisch hat die Opposition an Wirkungskraft gewonnen, während die Konflikte innerhalb ihrer Regierungskoalition wachsen, sowohl bei zentralen Fragen der internationale Politik (Ukraine, Nahostkonflikt, USA-Wahlen) als auch bei den anstehenden Reformen im Inneren. Europapolitisch ist sie, nach ihrem konfusen und erfolglosen Taktieren bei der Wahl Von der Leyens zur Kommissionsvorsitzenden, isolierter als je zuvor. Auf internationaler Ebene ist noch nicht erkennbar, was aus Melonis „atlantischer Treue“ und „unverbrüchlicher Unterstützung der Ukraine“ wird. Trump hat durch die Kandidatur von Harris einen Dämpfer erfahren, der Ausgang der US-Wahlen, der für die Demokraten bereits verloren schien, ist plötzlich wieder offen. Für Meloni eine unangenehme Lage, bei der sie zu vermeiden versucht, sich für bzw. gegen die eine oder andere Seite allzu explizit zu positionieren (eine Sorge, die ihr Vizepremier Salvini als begeisterter Trumpist und Putinist nicht hat).
Der nahende Herbst verspricht also turbulent zu werden, nicht zuletzt auch wegen der Wirtschaftslage. Die Spielräume für den kommenden Haushalt sind extrem eng, nach Angaben der Banca d’Italia hat der Gesamtumfang der Staatsschulden, nach einer Steigerung um 30 Milliarden allein im letzten Monat, die Rekordhöhe von 2949 Milliarden erreicht.
Doch auch die Oppositionsparteien haben Sorgen. Sie müssen ihrerseits versuchen, ihre Reihen trotz vorhandener Differenzen zu schließen, um innen- wie außenpolitisch beim Aufbau einer glaubhaften progressiven Alternative voranzukommen. Ein Test werden im Herbst die Regionalwahlen in Emilia Romagna, Ligurien und Umbrien sein, wo sich zeigen wird, ob das Mittelinks-Bündnis seinen positiven Trend bei den jüngsten Wahlen auf kommunaler Ebene bestätigen kann.
Der Ministerpräsidentin und der Oppositionsführerin fallen für die Herausforderungen im Herbst zentrale Rollen zu. Doch viel hängt auch von den anderen Akteuren ab. Um nur zwei zu nennen: Wie weit wird sich Salvinis Lega vom Regierungskurs entfernen und ihr eigenes Spiel (an der Seite von Le Pen und Trump) spielen? Und was wird aus dem offen ausgebrochenem Konflikt zwischen Conte, dem Vorsitzenden der 5Sterne, und ihrem Gründer Grillo über Allianzfragen und Parteireformen?