Saviano auf der Buchmesse – Boomerang für die Regierung

Dass Roberto Saviano, einer der wichtigsten und weltweit bekanntesten Journalisten und Schriftsteller Italiens von der offiziellen Delegation italienischer Autoren auf der Frankfurter Buchmesse ausgeschlossen wurde, hat in Italien, Deutschland und darüber hinaus zu heftigen kritischen Reaktionen geführt. Die vorgeschobene und lächerliche Begründung des Beauftragten der Regierung, Mauro Mazza, man habe „originelleren Autoren“ den Vortritt lassen wollen, konnte keinen über den realen Grund hinwegtäuschen, der natürlich ein politischer ist.

Die politisch motivierte Verbannung Savianos hat das Gegenteil der gewünschten Absicht bewirkt und ist für Meloni und ihre Regierung zu einem regelrechten Boomerang geworden. Saviano ist auf der Buchmesse sehr wohl präsent, auf Einladung des Messedirektors Jürgen Boos (und gleichzeitig seines Verlegers Hansen sowie des ZDF), und seine Präsenz ist erst recht ins Zentrum nicht nur der Buchmesse, sondern der kulturellen, politischen und medialen Öffentlichkeit insgesamt geraten.

In dem folgenden Interview mit der Journalistin Raffella De Santis, das in der „Repubblica“ vom 15. Oktober (Auftakt-Tag der Buchmesse) veröffentlicht wurde, äußert sich der Schriftsteller selbst. Nicht allein zu seinem Ausschluss, sondern überhaupt zu den systematischen Versuchen der rechtsextremen Regierung, im kulturellen und medialen Bereich mit kritischen Stimmen „aufzuräumen“.

Hier das Interview in deutscher Übersetzung, mit einem Vorwort von Raffaella De Santis:

Roberto Saviano: ‚Ich gehe zur Buchmesse, weil ich dem Italien der ‚democratura‘ widerstehen will

Sie hätten ihn ganz ausschließen wollen, doch stattdessen ist Roberto Saviano zum absoluten Protagonisten der Italiener in Frankfurt geworden. Revanche? Er nennt es nicht so. Die 76. Buchmesse, bei der Italien Ehrengast ist, hat den Autor von „Gomorra“ aufgenommen wie ihren eigenen Sohn. Heute (15. Oktober, MH) geht der Tanz los und Italien kommt auf den Prüfstand. Aber bevor das Spiel ernst wird, möchte Saviano der ‚Repubblica‘ erzählen, wie er das Ganze sieht. Denn man hat viel darüber gesagt, aber selten aus erster Hand. Unter seinen vielen Terminen gibt es zwei Treffen, die von dem Berliner Pen-Verband organisiert wurden: eines am 18. Oktober mit Birgit Schönau und Jayrome Robinet, und ein anderes am 19. mit Deniz Yücel.

Am Ende nehmen Sie als Protagonist teil.

„Ich glaube nicht, dass es bei meiner Anwesenheit in Frankfurt um einen Sieg geht, eher um eine Form von Widerstand. Die Buchmesse hat demokratische Reflexe aktiviert. Hier in Deutschland müssen sie sich gefragt haben: Warum eigentlich diese Lügen, dieser obsessive Drang nach Zensur? Doch ich sehe mich nicht als Sieger. Keiner hat bei dieser Geschichte gesiegt. Und außerdem: Wie kann sich jemand für einen Sieger halten, der von drei Regierungsministern vor Gericht gezogen wird? Richtig ist allerdings, dass sie meine Person benutzen, um allen anderen eine Botschaft zu senden. Es geht um den Versuch von Einschüchterung.“

Sehen Sie die Meinungsfreiheit in Italien gefährdet?

„Ja, aber wir sollten uns dabei keine Situation nach dem Modell der Zwanziger oder Dreißiger Jahren vorstellen. Die Dynamik ist eine andere, verfolgt aber das gleiche Ziel: einschüchtern und beeinflussen, wer sich als Dissident widersetzt. Will heißen: Wenn du Kritik übst, musst du mit Konsequenzen rechnen. Giorgia Melonis Vorbild ist Orbán: Es geht gewiss nicht (zumindest bis jetzt) um die Polizei, die nachts in dein Haus kommt, sondern um andere Methoden. Die sich nicht gegen alle wenden, sondern gegen einige öffentliche Personen, die daran gehindert werden, ihre Arbeit zu machen, indem man ihnen Ressourcen entzieht, sie isoliert, attackiert, diffamiert. Schon seit zwanzig Jahren geht die rechtsextreme Presse so vor. Die verwendeten Methoden sollen einschüchtern, auch das neue Sicherheitsdekret geht in eine absolut autoritäre Richtung. Wir gehen auf eine „democratura“ zu und die Journalisten reagieren darauf nicht empört. Leider spielen dabei auch die zurückgehenden Auflagenzahlen eine Rolle, sie bewirken eine Abhängigkeit von staatlichen Ressourcen und von der Politik. Die Freiheit ist jetzt schon kompromittiert.“

Sie werden außerhalb des italienischen Pavillons sprechen, fühlen Sie sich schon im Exil?

„Ich werde Gast der Buchmesse sein und da derjenige, der die italienische Auswahl getroffen hat, Mauro Mazza ist, bin ich froh, von ihm ins Exil geschickt worden zu sein. Obwohl das Wort ‚Exil‘ als Definition etwas komisch ist. Übrigens weiß ich, dass die ausgewählten Schriftsteller dabei sind, sich von der Regierung zu distanzieren und ihre kritische Sicht zum Ausdruck zu bringen. Ich meinerseits werde an Veranstaltungen in den Pavillons aller deutscher Medien teilnehmen – ein Interesse, das in Deutschland auch mit den Sorgen wegen der erstarkten Extremrechten zusammenhängt. Schon seit Jahren weise ich die Deutschen daraufhin, dass Italien ihnen als Spiegel dienen könnte. Es hat mich sehr beeindruckt, dass an dem Tag, an dem Mazza stolz erklärt hat, er habe mich nicht in die Auswahl italienischer Schriftsteller für Frankfurt aufgenommen, der Direktor der Buchmesse Jürgen Boos sofort geantwortet hat: Wir werden ihn selbst einladen. Die Italiener hatten mit dieser deutschen Reaktion nicht gerechnet, sie hat sie schachmatt gesetzt.“

Die ausgebliebene Einladung wurde mit einem Versehen Ihres Verlegers begründet. Ist das plausibel?

„Die Geschichte mit dem Verleger ist Unsinn. In der Auswahlliste sind sehr viele Autoren enthalten, die von keinem Verleger vorgeschlagen wurden. Das war schlicht eine Inszenierung. Die AIE (Associazione Italiana Editori – Verband italienischer Verleger, MH) hat sich durch die Politik beeinflussen lassen. In unserem Land ist die Kultur so arm an Ressourcen, dass sie erpressbar geworden ist. Sie wollten nicht, dass ich Italien repräsentiere, aber das sehe ich als eine Ehre an.“

Mazza hat Ihnen vorgeworfen, auf literarischer Ebene fehle es Ihnen an Originalität.

„Es ist Mazza, dem es an Originalität fehlt, er wiederholt Verhaltensweisen, die man schon kennt. Er tut das, was schon immer Funktionäre tun, sie folgen den Befehlen ihrer Chefs – in diesem Fall ihrer Chefin“.

Herrscht ein Zensurklima?

„Denken wir an die Zensuren der RAI gegenüber Antonio Scurati und Nadia Terranova, an dem Krieg, der gegen Fabio Fazio geführt wurde. Mir ist es schon passiert, dass befreundete RAI-Moderatoren mir gesagt haben, sie könnten mich nicht einladen, weil die RAI-Direktion ihnen das verboten hätte. Die Sendung ‚Insider‘ wurde ohne Grund ein Jahr lang ausgesetzt. Trotzdem ist der Erfolg der Sendung, die von der populistischen Presse attackiert wurde, unglaublich gewesen, obwohl sie keinerlei Unterstützung durch Werbung hatte. Sie wurde ausgestrahlt allein dank des Drucks der Familienangehörigen von Mafiaopfern, die einen Protestbrief an Sergio, den Geschäftsführer der RAI, schickten.“

Es gibt einige, die Ihnen vorwerfen, Sie würden im Ausland das Bild Italiens beschädigen.

„Das Bild Italien schädigt nicht, wer es schildert, sondern wer lügt. Von jenem Neapel, das ich erzählt habe, und dem darauf folgenden Medienecho profitieren doch die gleichen Politiker, die mich attackieren. Keiner diffamiert sein Land, indem er darüber erzählt. Dessen Widersprüche aufzuzeigen ist vielmehr ein Akt der Liebe. Die Schmeicheleien, die sich manche wünschen – mit den üblichen Banalitäten über das Italien, wo man wunderbar essen kann und alle fröhlich sind – zieht keinen an. Was man übrigens an deren schrecklichen Kultur-Spots sehen kann.“

Haben Sie von der literarischen Gemeinschaft Solidarität gespürt?

„Viele Autoren sind mir nah gewesen: Paolo Giordano hat um die Wahrheit gekämpft, Francesco Piccolo und Emanuele Trevi haben beschlossen, nicht an der Messe teilzunehmen, andere werden kommen und sich kritisch einbringen. Auch Scurati hat Stellung bezogen. Diesmal gab es eine große Solidarität und Einheit, die meiner Meinung nach im Ausland die Regierung in Verlegenheit bringt.“

Man hat auch behauptet, Sie wollten sich in Szene setzen.

„Früher haben Bücher oder Autoren, die zensiert wurden, Aufmerksamkeit auf sie gezogen, heute ist es nicht mehr so. Ich spreche nicht von mir, aber von Schriftstellern wie Ahmet Altan, einem wunderbaren türkischen Autor, der lebenslänglich ins Gefängnis gelandet ist. Früher hätte diese Verurteilung dazu geführt, dass seine Bücher überall gelesen werden, jetzt ist es nicht so. Die Mächtigen wissen, dass sich die Lage geändert hat, und ziehen daraus Nutzen. Wenn du heute zensierst wirst, bist du zensiert und basta, du hast keine Vorteile davon.“