Ziemlich beste Feinde

Der letzte Beitrag in diesem Blog („Auf halbem Weg“) beschäftigte sich mit dem schwierigen und widersprüchlichen Prozess, in dem das Oppositionslager eine gemeinsame Front der progressiven Kräfte aufzubauen versucht, die in der Lage ist, eine Alternative zu Melonis Rechtskoalition zu bilden. Es war in dem Beitrag auch von dem „Spalteritis-Virus“ die Rede, an dem Mittelinks (wenn man diese grobe Definition verwenden darf) chronisch leidet und das fatale Folgen für dessen politische Erfolgsaussichten hat.

Rechte: immun gegen „Spalteritis“ …

Eine Krankheit, gegen die (konservative wie radikale) Rechte immun zu sein scheint, mögen deren internen Differenzen noch so groß sein. Der Impfstoff, auf den sie dabei zurückgreift (und der bei der Linken offensichtlich nicht wirkt), ist der Wille zur Macht – und zum Machterhalt. Das war schon bei der Democrazia Cristiana so, die im Zeitraum von 1945 bis 1993 fast immer die Regierungen anführte, wenn auch in unterschiedlichen und schnell wechselnden Konstellationen. Nach dem Zusammenbruch der „Prima Repubblica“ kam dann eine fast zwanzigjährige Berlusconi-Herrschaft, mit nur ein paar Unterbrechungen durch kurzlebige (und von der „Spalteritis“ befallene) Mittelinks-Regierungen. 2011 musste Berlusconi unter dem Druck einer dramatischen Finanzkrise (und der Europäischen Union) endgültig abtreten und es folgte eine Phase von Instabilität mit Regierungen verschiedener Couleur („technische“, linksgerichtete und rechtspopulistische), die kaum länger als ein Jahr im Amt blieben.

Seit Oktober 2022 regiert eine Rechtskoalition unter der Führung von Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia. Zum Bündnis gehören die rechtsextreme Lega von Salvini und die rechtskonservative Forza Italia, in der nach dem Tod Berlusconis Antonio Tajani die Führung übernommen hat. Das Trio zelebriert bei öffentlichen Anlässen in überschwänglichen Tönen Harmonie – so überschwänglich, dass es inszeniert erscheint – und verkündet immer wieder, die Koalition sei felsenfest und werde „mindestens“ bis zum Ende der Legislaturperiode (2027) weiterregieren.

und dennoch uneinig

Rituelle Beschwörungen, die im Widerspruch zu den reellen Konflikten innerhalb des Bündnisses stehen und inzwischen offen ausgetragen werden. Es geht dabei nicht um Petitessen, sondern um wichtige politische und strategische Fragen der Außen- und Innenpolitik.

In der Außenpolitik betreffen die Differenzen vor allem drei Aspekte: 1) den Krieg Russlands gegen die Ukraine; 2) die Haltung zu Europa und zur EU und 3) den Atlantismus und die Positionierung zu den USA-Präsidentschaftskandidaten Harris und Trump.

Zum ersten Punkt: Während Meloni und Tajani die russische Invasion in die Ukraine klar verurteilen, ihr Recht auf Widerstand anerkennen und diesen – politisch und militärisch – unterstützen, tritt der bekennende Putin-Verehrer Salvini (Zitat: „Ich würde sofort zwei Mattarellas gegen einen halben Putin tauschen“) für eine Beendigung der Waffenhilfen an die Ukraine ein, im Einklang mit seinen Verbündeten in Europa (vor allem Le Pen und Orbán).

Europapolitisch verlaufen die Trennungslinien anders. Hier ist es im Regierungsbündnis nur Forza Italia, die sich für eine Stärkung der EU ausspricht und vor souveränistischen Alleingängen warnt. Im Gegensatz nicht nur zur Lega, sondern auch zu Meloni, die sich zwar auf europäischem Parkett taktisch „pragmatisch“ zeigt, aber in Wahrheit die nationalen Interessen, nicht anders als die Lega, durch ein starkes Europa gefährdet sieht. Wie widersprüchlich – und für Italien politisch schädlich – eine solche Haltung zu Europa ist, hat sich zuletzt am Verhalten von Melonis Partei bei der Wahl der Kommissionspräsidentin im EU-Parlament gezeigt.

Auch zu den Präsidentschaftswahlen in der USA gibt es Differenzen. Hier macht der Lega-Chef keinen Hehl daraus, dass Donald Trump sein klarer Favorit ist. Die Ministerpräsidentin vermeidet zwar (noch) direkte Aussagen zu den Kandidaten, aber wohin der Wind weht wird klar, wenn sie auf Fragen von Journalisten antwortet: Eigentlich ist bekannt, dass sie politisch den Republikanern (auf deren Kongressen sie mehrfach ein gern gesehenen Gast war) näher steht als den Demokraten. Sollte Trump gewinnen, wird es also mit der diplomatischer Vorsicht rasch vorbei sein, was sich nicht zuletzt auf die Haltung der Regierung zur Unterstützung der Ukraine auswirken kann. Betont schwammig bleibt der Leader von FI und Außenminister Tajani: das Bündnis mit den USA sei für Italien schon immer ein „Polarstern“ und werde es auch bleiben, unabhängig vom Wahlausgang. Und im übrigen sei man gut beraten, sich nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.

Innenpolitische Streitpunkte

Auch innenpolitisch ist die ach so harmonische Rechtskoalition uneinig. Bei vielen wichtigen Themen verfolgt jede der drei Regierungsparteien ihre eigene Agenda – und stellt sich quer zu jenen der anderen Bündnispartner.

So hat die Lega ihr politisches Steckenpferd durchgesetzt: die Einführung der erweiterten regionalen Autonomie („autonomia differenziata“), von der vor allem wirtschaftlich starke Regionen im Norden profitieren. Sie hat dafür mit der Regierungschefin eine Art Deal geschlossen, nach dem Motto: „Ihr unterstützt die Autonomie-Reform und wir tragen im Gegenzug die Direktwahl des Ministerpräsidenten (‚Premierato‘ – Lieblingsprojekt von Meloni) mit. Doch nun versucht Forza Italia – deren Wähler hauptsächlich im Süden leben, die von der erweiterten Autonomie Nachteile gegenüber dem Norden befürchten – die Umsetzung des Vorhabens zu blockieren: sie fordert, dass bevor das Gesetz in Kraft tritt, die dort enthaltenen gleichen Mindeststandards für öffentliche Dienstleistungen in allen Regionen erreicht sein müssen. Eine Forderung, deren Erfüllung in den Wolken steht und die umso brisanter ist, weil die Opposition gute Chancen hat, die erweiterte Autonomie durch ein Referendum abzuschaffen. Sie konnte in kurzer Zeit schon genug Unterschriften für die Durchführung des Referendums sammeln – und die Umfragen ergeben eine Mehrheit gegen die Autonomie-Reform.

Ein weiteres Thema, das innerhalb der Koalition strittig ist und bei dem Forza Italia sich deutlich von den Bündnispartnern absetzt, ist die Staatsangehörigkeit für Kinder ausländischer Eltern. Sie hat vor Kurzem in beide Parlamentskammern einen Gesetzesvorschlag zur Einführung eines „Jus Italiae“ eingereicht. Er sieht vor, dass Kinder ausländischer Eltern, die in Italien geboren wurden oder im Alter bis fünf Jahren in Italien eingereist sind, nach einem zehnjährigen Schulbesuch (d. h. in Alter von 16 Jahren) die italienische Staatsangehörigkeit erhalten. Nach der geltenden Regelung dürfen Kinder ausländischer Eltern die italienische Staatsangehörigkeit nur beantragen, wenn sie in Italien geboren und 18 Jahre alt sind.

Besonders die Lega geht gegen den Vorschlag von FI auf die Barrikaden. Auf ihrem jährlichen Treffen in Pontida hielten Lega-Mitglieder Plakate hoch mit der Aufschrift: „Tajani Schleuser“ und „Tajani vaffa’ …“. Lega-Chef Salvini entschuldigte sich, beteuerte aber zugleich, das bestehende Gesetz sei richtig und dürfe keinesfalls aufgeweicht werden. Melonis Partei Fratelli d’Italia reagierte weniger aggressiv, erklärte aber, jede Partei dürfe zwar eigene Vorschläge machen, aber eine Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes stehe nicht auf der Agenda der Regierung.

Zankapfel Haushalt

Für weitere Dissonanzen sorgen auch die Planungen für den nächsten Haushalt, der Ende Oktober in die parlamentarischen Beratungen kommt, dann der EU-Kommission vorgelegt wird und bis Ende Dezember verabschiedet werden muss. Finanzminister Giorgetti (Lega, der aber nicht gerade ein Fan von Salvini ist) hat bereits angekündigt, dass die finanzielle Deckung erhebliche Löcher aufweist und man nicht umhin kommen wird, „von allen Opfer zu verlangen“, sei es durch Steuer oder Leistungskürzungen. Er stellte dabei u. a. in Aussicht, die Dieselsteuer zu erhöhen und Banken zur Kasse zu bitten. Vor allem Forza Italia, die ihrem Gründer Berlusconi treu bleibt und bei der allein das Wort Steuern (auch noch von Banken!) Entsetzen auslöst, wendet sich heftig dagegen. Aber auch Meloni ist über die Ankündigungen ihres Finanzministers zerknirscht („Damit gehen uns Wähler verloren“) und korrigiert ihn: Es werde keine Steuererhöhungen geben, lediglich nur Streichungen „von ein paar Zuwendungen“. Auch an dieser Front werden die Spannungen innerhalb der Regierungsmehrheit wachsen.

Wie lange wird der Impfstoff wirken?

Bekanntlich sind Impfstoffe nicht ewig wirksam, und es stellt sich die Frage, wie lange der Impfstoff „Machterhalt“ reicht, um den Zusammenhalt der Regierungskoalition zu garantieren. Darüber lässt sich nur spekulieren. Was man sicher sagen kann, ist, dass die Krise nicht so akut zu werden droht wie in der deutschen Ampel-Koalition. Dies vor allem, weil die Partei der Ministerpräsidentin – anders als die Kanzlerpartei in Deutschland – nach wie vor stabil über die höchsten Zustimmungswerte verfügt und die Autorität der Regierungschefin zwar angekratzt, aber nicht wirklich angeschlagen ist.

Es gibt dennoch eine Reihe vor allem internationaler Faktoren, die sich auf den Zusammenhalt der Regierung erheblich auswirken und zu einer Verschärfung ihrer internen Konflikte führen können. Es sind das Ergebnis der US-Wahlen, die Entwicklung des russischen Kriegs gegen die Ukraine und die Frage, wie stark das Gewicht rechtsradikaler Kräfte in Europa (Deutschland, Frankreich, Ungarn) noch weiter wächst.

Und schließlich hängt viel davon ab, ob es den Oppositionsparteien gelingt, das „Spalteritis-Virus“ zu überwinden und eine stabile und überzeugende Alternative zum rechten Machtbündnis aufzubauen. Aber der Weg dahin ist noch weit. Obwohl sie einem Machtbündnis gegenübersteht, das in zentralen Fragen – ökologische Transformation, Plan zur industriellen Innovation, soziale Gerechtigkeit, Migration, Bildung – über keinerlei Strategie für das Land verfügt und sich stattdessen damit beschäftigt, den Rechtsstaat in Richtung einer „illiberalen Demokratie“ à la Orbán umzubauen und ansonsten die Partikularinteressen einzelner Gruppen zu bedienen.

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