Ligurien-Wahl: Geschenk an die Rechte

„Wir waren Versuchskaninchen. Nicht nur wegen des Vetos von Conte gegen Renzi, das sicherlich auch eine Rolle gespielt hat. Es gab noch die Konkurrenz zwischen Calenda und Renzis Italia Viva. Und schließlich, drei Tage vor der Wahl, die Abrechnung innerhalb der 5Sterne (zwischen Conte und Grillo, MH), die nicht gerade eine kluge Idee gewesen ist. Ich musste den Wahlkampf mit zehn zusätzlichen Kilos auf den Schultern bestreiten“, so kommentierte bitter der knapp unterlegene Kandidat von Mittelinks Andrea Orlando (früher Minister in von der PD und von Draghi geführten Regierungen) das Wahlergebnis der Regionalwahl am 27./28. Oktober in Ligurien.

Es hätte eigentlich ein Selbstläufer werden sollen: Die Wahl musste vorgezogen werden, weil im Mai der rechte Regionspräsident Toti wegen Korruption und illegaler Parteifinanzierung angeklagt war und einer Verurteilung mit Haftstrafe nur durch einen Vergleich („patteggiamento“) entgehen konnte, bei dem die Strafe auf zwei Jahre und einen Monat herabgesetzt wurde, die durch gemeinnützige Arbeit abzubüßen ist. Ein solcher vom Angeklagten beantragter „patteggiamento“ kommt einer Schuldanerkenntnis gleich. Es wurde daher erwartet, dass die Toti-Affäre die Chancen des Kandidaten der Rechtskoalition, Bucci (der bisherige Bürgermeister von Genua), verringern würde.

Der Fluch der Zwietracht

Es kam anders. Mit einem Vorsprung von ca. 8.000 Stimmen gewann Bucci mit 48,8% die Wahl, Orlando kam auf 47,3. Eine – wenn auch knappe – Niederlage, die nicht dem Kandidaten selbst bzw. seiner Partei anzulasten ist, denn die PD wurde mit 28,4% stärkste politische Kraft in Ligurien, mit großem Abstand vor Melonis Partei Fratelli d’Italia, die lediglich 15% erreichte.

Stattdessen war es wieder der Fluch der Zwietracht zwischen den kleineren Parteien der „Orlando-Koalition“, welcher der Rechten den Sieg bescherte. Das fing damit an, dass der Anführer der 5Sterne, Giuseppe Conte, sein Veto gegen die Beteiligung von Renzis Zentrumspartei Italia Viva am Bündnis einlegte. „Wenn Renzi dabei ist, machen wir nicht mit“. Ähnlich verhielt sich Calenda, dessen Kleinpartei Azione mit Italia Viva um das Zentrum konkurriert. Renzi reagierte damit, dass er sich vom Bündnis lossagte und seinen Anhängern offiziell „Wahlfreiheit“ ließ – tatsächlich unterstützten seine Leute im Wahlkampf Bucci, sozusagen als Rache.

Dahinter stehen keine inhaltlichen bzw. politische Fragen, sondern persönliche Fehden und Machtkämpfe, von den allein die extreme Rechte profitiert. Conte will Renzi heimzahlen, dass dieser im Februar 2021 seine Regierung („Conte2“) stürzte (woraufhin Mattarella Draghi den Auftrag erteilte, eine „Regierung der nationalen Einheit“ zu bilden, an der alle Parteien mit Ausnahme von Melonis FdI teilnahmen). Renzi wiederum ist bekannt dafür, dass er das politische Geschäft als Schmieden von Ränken versteht, wenn er sich davon Vorteile für seine Person erhofft. So schaffte er es im Februar 2014, als er noch in der PD war, seinen Parteigenossen Letta als Ministerpräsidenten zu stürzen und selbst Regierungschef zu werden.

Sowohl der Kandidat Orlando als auch die PD-Generalsekretärin Schlein hatten vor der Wahl nachdrücklich gefordert, das Spiel der „veti e controveti“ (wechselseitigen Vetos) sein zu lassen. Denn ein Wahlsieg gegen die Rechte sei allein mit vereinten Kräften und einer gemeinsamen Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler zu erreichen. Umsonst. Der Streit ging weiter und spitzte sich sogar zu, potentielle Wähler wurden verunsichert oder verärgert, viele blieben am Wahltag zu Hause (die Wahlbeteiligung sank auf 46% , bei der Regionalwahl 2020 lag sie noch bei 53,4%)

Absturz der 5Sterne

Am härtesten trafen die Folgen dieser Vetos die 5Sterne selbst. Sie stürzten bei der Wahl auf 4,6% ab (bei der Europawahl im Juni hatte sie in Ligurien noch 10% bekommen), unter den Nichtwählern war die Zahl ehemaliger 5SB-Anhänger besonders hoch.

Dazu beigetragen haben dürfte auch der sich zuspitzende Konflikt zwischen Conte und Grillo: Conte möchte in einem Kongress im November nicht nur über einige Regeländerungen (u. a. die Begrenzung auf zwei Amtsmandate, die er abschaffen will) abstimmen lassen, was Grillo als Blasphemie betrachtet, sondern auch – für Grillo noch viel schlimmer – dem Gründer der 5Sterne die 300.000 Euro jährlich streichen, die er bisher laut Vertrag als Entlohnung für „Anregungen, Vorschläge und Projekte“ von der Partei erhält. Nichts davon habe er geliefert, sagt Conte, im Gegenteil: Grillo habe mit seinen Äußerungen und Beiträgen in seinem Blog die Arbeit der 5Sterne regelrecht „sabotiert“. In Wahrheit stehen auch hinter diesem Konflikt vor allem persönliche Zerwürfnisse und Rivalität um die Führung der 5Sterne.

Ob das desaströse Ergebnis in Ligurien Conte zur Einsicht bringt, dass sein gegenwärtiger Zickzack-Kurs bei der Bildung eines „campo largo“ aller Oppositionskräfte nicht nur diese insgesamt schwächt, sondern auch eine existenzbedrohende Sackgasse für seine eigene Partei darstellt, kann bezweifelt werden. Zu stark ist sein selbstsüchtiger Profilierungsdrang. Und leider fehlt den 5Sternen insgesamt sowohl ein politischer Kompass als auch kompetentes Personal, das in der Lage wäre, eine wirkliche Kursänderung herbeizuführen. Die Aussichten dafür, dass aufseiten der Opposition die Bildung jenes stabilen Bündnisses gelingt, dessen Notwendigkeit von Schlein, Orlando und anderen so vehement eingefordert wird, sind also nicht gut.

Meloni: „Es ist allein mein Sieg“

Die Rechte konnte nach der Korruptionsaffäre und dem Rücktritt Totis ihr Glück über den Sieg in Ligurien kaum fassen. Besonders groß war der Jubel bei Meloni, die persönlich den gesundheitlich angeschlagenen Marco Bucci überzeugt hatte, zu kandidieren, um auch Kandidaturen von Personen zu verhindern, die Toti allzu nah standen. „Es ist mein Sieg, ich habe die Verantwortung für die Kandidatenauswahl allein auf mich genommen und gegen alle gewonnen!“ rief sie triumphierend aus.

Worüber sie kein Wort verliert: Von den 26,8%, die ihre Partei bei der Europa-Wahl im Juni erzielte, ist sie auf 15% abgesunken – auf den zweiten Platz nach der PD, die auf fast doppelt soviel Stimmen kam. Zum schlechtem Ergebnis von FdI dürften nicht so sehr die ligurischen Korruptionsfälle beigetragen haben, welche die Gemüter der Wähler laut Umfragen (leider) wenig berührten, sondern eher die Unzufriedenheit mit den im neuen Haushaltsentwurf vorgesehenen Steuererhöhungen (u. a. beim Diesel) sowie Kürzungen bzw. Streichungen von Leistungen insbesondere im öffentlichen Gesundheitswesen.

Was für Meloni und ihre Regierung am Ende zählt, ist – gerade angesichts der ungünstigen Ausgangsbedingungen – der Wahlsieg, und wenn er noch so knapp ausgefallen ist. Er ist umso wichtiger, weil in Kürze zwei weitere Regionalwahlen anstehen, bei denen das Ergebnis ebenfalls offen ist: in Emilia-Romagna und Umbrien, am 17. und 18. November.

Die nächsten Etappen: Emilia-Romagna und Umbrien

Für die Mittelinks-Koalition ist es gerade nach der bitteren Lektion in Ligurien entscheidend, ob es bei den nächsten Regionalwahlen gelingt, auf Grundlage eines gemeinsamen Programms und ohne Zänkereien zwischen Conte und Renzi die Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Und zwar in Umbrien für die parteilose Stefania Proietti und in Emilia-Romagna für Michele De Pascale (PD), dem aktuellen Bürgermeister von Ravenna. Beide sagen, die gemeinsame Front von Partito Democratico, 5-Sternebewegung, Allianz Verdi-Sinistra, +Europa, Azione und Italia Viva (die zwei letzteren treten im Rahmen sogenannter „Bürgerlisten“ an) stehe felsenfest. Sie stütze sich auf gegenseitiges Vertrauen und konkrete Programme für die Regionen mit den Schwerpunkten Gesundheitswesen, ökologische Transition im Einklang mit der Sicherung von Arbeitsplätzen und der Bekämpfung der Folgen des Klimawandels (Emilia-Romagna wurde in diesem Herbst wieder von verheerenden Unwettern und Überschwemmungen heimgesucht).

Während in der Emilia Romagna die Aussichten auf einen Sieg des Mittelinks-Bündnisses durchaus realistisch sind – sowohl dank positiver Erfahrungen mit dem ausscheidenden Regionspräsidenten Stefano Bonaccini (PD), der in das Europaparlament gewechselt ist, als auch der parteiübergreifend anerkannten Kompetenz des Kandidaten De Pascale – ist die Lage in Umbrien schwieriger. Die parteilose Proietti muss sich gegen die amtierende Regionspräsidentin Donatella Tesei (Lega) behaupten. Proietti zeigt sich dennoch zuversichtlich und betont, sie sei von allen Oppositionsparteien einmütig zur Kandidatur aufgefordert worden, das Bündnis – Conti und Renzi mit eingeschlossen – stehe hinter ihr.

Ein weiteres Ereignis könnte die Chancen eines Wahlsieges von Proietti in Umbrien steigen lassen: gegen ihre Konkurrentin Tesei wurden vor einigen Tagen Ermittlungen eingeleitet, weil der Verdacht besteht, sie habe mit Subventionen der Region in Millionenhöhe ein Unternehmen begünstigt, in dem ihr Sohn tätig ist. Zu einem Verfahren wird es trotzdem nicht kommen, weil die Meloni-Regierung vor kurzem den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs „praktischerweise“ abgeschafft hat. Dennoch könnte die Angelegenheit die Chancen von Teseis Neuwahl negativ beeinflussen.

Immer vorausgesetzt, Conti und Renzi fahren nicht auch diesmal, wie in Ligurien, schon vorher den Karren erfolgreich gegen die Wand.