Eine neue politische Spezies
Ezio Mauro hat zum Jahreswechsel in der „Repubblica“ einen Text geschrieben, der nicht ganz leicht lesbar ist, aber ein Verdienst hat. Er versucht die neuen Flötentöne, die uns offenbar von Washington her beigebracht werden sollen, als Ausgeburt einer weiteren Entfesselung des Kapitalismus zu deuten: Befreiung von den Puffern des Wohlfahrtsstaats, der repräsentativen Demokratie, der Komplexität der Gewaltenteilung. Wie sein Kapital kennt auch Musk, der reichste Mann der Welt und Chef-Berater Trumps, keine Grenzen: die italienische Regierung fordert er auf, die Richter davonzujagen, die sie im Namen der Menschenrechte daran hindern, die „Albanien-Lösung“ zu exekutieren; die Deutschen fordert er auf, die AfD zu wählen, weil nur sie Deutschland „retten“ könnte, bei gleichzeitiger Delegitimation ihrer bisherigen politischen Repräsentanten als „Narren“ und „antidemokratische Tyrannen“. Und organisiert schon das Programm zur Wahlunterstützung von Alice Weidel: Einladung nach Wahington am 10. Januar, Interview mit Musk, zehntägiger Aufenthalt in Washington samt Einladung zur Teilnahme an der Inauguration der neuen Trump-Administration. Die nach internationaler Anerkennung dürstende Giorgia Meloni nennt er seine „Freundin“. Es ist eine Freundschaft, die auf der Ungleichheit beruht: hier die italienische Regierungschefin mit einem Jahresbudget von 32 Milliarden, das ihr nur das unpopulärste Handeln aufzwingt, nämlich an jeder Ecke und Kante zu sparen; dort der Multimilliardär, der ihre Hoffnung und ihre Abhängigkeit kennt (ein Gerücht besagt, dass er in Italien ein großes Gelände mieten will, das er mit einem großen Tesla-Werk beglücken und von dem aus er seine Raketen abschießen wolle – bei entsprechendem finanziellem und ökologischem Entgegenkommen). Sie wird seine Angebote kaum abschlagen können.
Es folgt der nur leicht gekürzte und von uns übersetzte Artikel von Ezio Mauro. den er am 29. 12. in der „Repubblica“ veröffentlichte. Zur besseren Lesbarkeit mit Zwischenüberschriften, die von uns stammen:
„Die Techno-Rechte auf dem Vormarsch
Es geschieht nicht alle Tage, dass die Generationen der Entstehung einer neuen politischen Spezies beiwohnen, die fähig ist, das ganze System zu konditionieren und direkt auf seine Natur und Physiognomie und radikal auf seine Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Es geschieht in Phasen der Erschöpfung, wenn neue soziale Subjekte die Bühne betreten, welche die traditionelle Laufbahn mit Lehrzeit, Wahl und Volkskonsens übersprungen haben. Die ihre persönliche Macht in einer Parallelwelt weit weg von der Arbeit für die Res publica und die Institutionen entwickelt haben, aber nun bereit sind, sie automatisch in politische Autorität in den Kommandozentralen des Staats und des Landes zu übersetzen. Es ist das, was heute mit dem Aufpfropfen des technologischen Billionärskapitalismus auf den reaktionären Stamm des Trumpismus geschieht, und dabei ein neues kulturelles und politisches Phänomen erzeugt, das diese Phase kennzeichnen wird: die Techno-Rechte (tech right im Original), wie sie Musk vorgestern in X nannte und dabei einen Post absegnete, der sie ankündigte und taufte: „Das erfasst mehr oder weniger das Ganze und hat mir die Augen geöffnet“. Das heißt, die Techno-Rechte hat schon den Rubikon überschritten, sich als öffentliches Subjekt konstituiert und ist schon in das traditionelle Gebiet der Politik eingedrungen – mit dem Versprechen, diese zu revolutionieren.
Einbruch aus der „Welt des Tuns“
Als Tochter von zwei Extremismen – dem Kapitalismus und dem Trumpismus – kann sie nur radikal sein: Programme werden zu Projekten, Reformen zu Innovationen und Regieren wird zur Mission. Natürlich hatten wir die immensen Reichtümer bemerkt, welche die milliardenschweren Unternehmen des Silicon Valley anhäuften, dank technologischer Talente, die unser Leben veränderten. Aber wir erkannten nicht, dass die unvorstellbare Verbindung von Supertechnologien und Superprofiten – die im Fall von Musk höher sind als das BSP von Ländern wie Portugal – eine Art charismatischen Mehrwert produziert, mit der Versuchung, diesen am Schaltpult unseres Gemeinwesens einzusetzen. Das Schaltpult der politischen Macht, das der entscheidende Hebel des ganzen Systems ist.
Eigentlich haben die Innovationskraft, die Faszination und die Allgegenwärtigkeit neuer technologischer Möglichkeiten längst Lebensgewohnheiten, Wirtschaft, Information, Kultur, Kommunikation und persönliche Beziehungen verändert. Es bedarf nur eines Schritts, eines einzigen Schritts, dass diese Revolution auch den eingezäunten Schutzbereich der Politik kontaminiert. Warum sollte man haltmachen vor dem veralteten Tabu, dass zur Ausübung politischer Macht historische Erfahrung und spezifische Kompetenz notwendig sind? In einer Zeit, in der Popularität an die Stelle von Ruhm tritt, ist der Tycoon, der zum neuen Alien aus der „Welt des Tuns“ wird. Mit seinem persönlichen Vermögen an Modernisierung und Revolutionierung von Märkten, Lebens- und Konsumgewohnheiten kann er allemal die „Welt des Redens“ und die Rituale der Politik erobern. Es fehlte lediglich die Gelegenheit.
Trump als Türöffner
Diese kam mit dem Kampf um das Weiße Haus. Es ist genau Trumps „Irregularität“ mit ihrem Bruch von Regeln, Sprache und traditionellen Gesten, die den Meistern der Techno-Rechten den Weg ebnet. Sie ist der Dammbruch. Die republikanische Partei Ronald Reagans mutierte zum Instrument des souveränistischen und nationalistischen Populismus, der unter Trumps offiziellen blauen Jacketts die Büffelhörner des Sturm auf das Kapitol versteckt. Mit der permanenten Drohung der Eversion, denn entweder gewinnt die extreme Rechte oder sie sprengt die Bank. Als ob Trump die mythologische Büchse der grenzenlosen Supermacht geöffnet hätte, eilen die Kapitäne der neuen Techno-Giganten an seine Seite, einer nach dem anderen. Der Kapitalismus und das Unternehmertum hatten schon immer in allen Ländern das Ohr der Regierung, aber dieses Verhältnis erkannte implizit noch das Primat der Politik an. Mit von außen agierenden Mächten, die Einfluss nahmen, sich gegenseitig übervorteilten oder auch unterstützten, sich aber gegenüber der staatlichen Autorität noch irgendwie hierarchisierten. Jetzt stehen wir an einer Wende: die Tycoons beschränken sich nicht mehr darauf, Wahlkampagnen zu finanzieren (in Erwartung entsprechender Belohnungen nach dem Sieg), sondern sie übernehmen selbst das Politikgeschäft. Legitimiert durch ihre Geschichte, ihre Erfolge, ihre Biographien, die dem Volk angeboten werden wie eine heidnische Ideologie.
Dennoch wäre es ein Fehler, Trump nur als ein Vehikel zu sehen, das neue Protagonisten in die veränderte politische Welt einführt. Der Präsident ist viel mehr.
Abschied von der liberalen Demokratie
Nachdem die Linke besiegt ist, spielt er seine Partie direkt gegen das System, besser gesagt gegen dessen Kern. Denn für die extreme Rechte ist die Zeit gekommen, die Demokratie zu korrigieren und ihr die Krallen in Gestalt ihres liberal-demokratischen Charakters abzuschneiden. Das heißt ihren Kult des Rechtsstaats, ihre Obsession für Kontrollen, für die Ausbalancierung der Macht, das Bewusstsein für Grenzen. Um endlich die volle Herrschaft des Leaders zu behaupten, der die Wahl gewonnen hat. Um ihm nicht nur die Mittel zur Ausübung der Regierungsmacht zur Verfügung zu stellen, sondern auch das Kommando, damit die „vertikale Macht“ einer „autoritären Demokratie“ behauptet wird. Das ist der Kern der Verbindung zwischen dem Leader der souveränistischen Rechten und den Anführern der neuen Techno-Rechten. Diese werden mit ihrem futuristischen Kodex die Reaktion in Innovation verwandeln, das Zurückfahren der demokratischen Institutionen als Modernisierung des Systems und die neuen autoritären Strukturen als eine Vereinfachung des Regierungshandelns präsentieren.
Wie sie in einer globalisierten Welt an die Disintermediation (Reduktion von Vermittlungen, AdR)), an Ubiquität und Geschwindigkeit gewöhnt sind, so werden sie den antiquarischen, bürokratischen, langsamen und kostspieligen Charakter der demokratischen Prozedur denunzieren, der jede Entscheidung erschwert und verlangsamt und zu einem mühseligen Verfahren macht, als wenn die Demokratie Angst vor sich selbst hat. Sie werden uns erklären, dass es ein natürlicher Reflex auf das Jahrhundert der Diktaturen war, ein Rettungsring gegen eine Wiederholung der Tragödie: Aber in der Welt von heute, welche die Geschichte und die Geografie verkürzt hat (in der das Zentrum überall und gleichzeitig ist), hat es keinen Sinn, einem Verhaltenskodex aus dem vergangenen Jahrhundert zu folgen, der überhaupt nicht zu den neuen Bedürfnissen, Anforderungen und Erwartungen des Bürgers und zu seinem Lebensrhythmus passt. Die Techno-Rechte drückt so der autoritären Wendung einen wissenschaftlichen Stempel auf, indem sie sie als eine Entwicklung der Moderne und als funktionale Verjüngung des Systems interpretiert.
Wenn die Operation gelingt, werden wir einem noch nie aufgeführten Schauspiel beiwohnen: der Trennung von Kapitalismus und liberaler Demokratie, deren Allianz mit der Arbeit und dem Wohlfahrtsstaat den vitalen Kern der westlichen Zivilisation bildete, in der wir in Freiheit gelebt haben. Das ist auch der Grund, warum jene, die Giorgia Meloni immer wieder aufforderten, die Kultur ihrer Rechten an die westliche Demokratie anzupassen, nie eine Antwort erhielten: indem sie sich nicht bewegt, frönt die Ministerpräsidentin in Wirklichkeit dem reaktionären Zeitgeist, welcher die Demokratie dazu drängt, sich dem rechten Wind anzupassen.
Eine Frage bleibt: Aber wir – was haben wir dagegen unternommen?“