Die falsche Brücke nach Europa

Die Tragödie der Shoah, die in der Geschichte ihresgleichen sucht, hat zwar das Hitler-Regime verwirklicht, fand aber in Italien die Komplizenschaft des faschistischen Regimes, durch die Abscheulichkeit der Rassengesetze und die Beteiligung an den Razzien und Deportationen... Die Tragödie der Shoah, die in der Geschichte ihresgleichen sucht, hat zwar das Hitler-Regime verwirklicht, fand aber in Italien die Komplizenschaft des faschistischen Regimes, durch die Abscheulichkeit der Rassengesetze und die Beteiligung an den Razzien und Deportationen.“

Giorgia Melonis Aussage über den Faschismus kommt unerwartet, wegen ihres bisherigen hartnäckigen Schweigens, ihrer postfaschistischen Vergangenheit und wegen ihrer neuen Washingtoner Freunde, die sie ja – vor allem der Multimilliardär Musk – geradezu ermuntern, sich dem ultrarechten Lager anzuschließen. Immerhin bedeutet es den Sprung aus einem Schatten, in dem sich Meloni seit Jahren versteckte und der sie immer wieder dem Verdacht aussetzte, weiterhin eine Nostalgikerin des Massenmörders Mussolinis zu sein. Aber am Tag des Holocaust, der in Italien der „Tag Erinnerung“ genannt wird, entschied sie sich diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Über den Grund kann man nur spekulieren – war es die Furcht, sich in Europa allzu sehr zu isolieren und ihre Beziehung zu Ursula von der Leyen zu strapazieren, oder war es die Einflussnahme Mattarellas, der Meloni gerade an diesem Tag besonders ausgesetzt war?

Aber die Klärung ihres Verhältnisses zum Faschismus ist noch die geringste Herausforderung, vor der Meloni gegenwärtig steht. Die viel größere ist ihr Verhältnis zu den USA, an dem sich jetzt auch ihr Verhältnis zu Europa entscheiden wird. Denn eigentlich liebt sie es, für ihr politisches Handeln immer zwei Eisen im Feuer zu haben – und seit dem Wahlsieg Trumps in den USA hat sie plötzlich zwei Optionen, wo es für sie bisher nur eine zu geben schien: sich entweder dem langsam voranschreitenden Einigungsprozess der EU anzuschließen, unter Inkaufnahme des damit einhergehenden nationalen Souveränitätsverlusts, wenn damit für sie noch etwas herausspringt (wie der PNRR-Plan), oder die schnellen Begünstigungen anzunehmen, welche mit der ihr von Trump und Musk angebotenen Sonderrolle gegenüber der EU verbunden sind – auch wenn sie dabei das europäische Projekt zerstören könnte.

Zunächst Trumps Gesinnungstest …

Wahrscheinlich fiel die Entscheidung schon zum Jahreswechsel, also vor Trumps Vereidigung, über den wir in diesem Blog berichteten. Da kam es zu dem Blitzbesuch Melonis in die USA, der vordergründig der Befreiung einer italienischen Journalistin aus iranischer Geiselhaft diente, aber mit zwei Treffen verbunden war, die für das weitere italienisch-amerikanische Verhältnis und damit auch für das Verhältnis zu Resteuropa wichtig werden könnten: zunächst das Treffen mit Trump, der sie sofort nach ihrer Ankunft zu einer Vorführung schleppte, die seine angebliche Verfolgung – und die seiner Anhänger – durch die amerikanische Justiz dokumentieren sollte. Es scheint zu einem völligen Einvernehmen geführt zu haben, auch wenn Trump diesen Kampf schon in seiner ersten Amtszeit geführt und auch weitgehend gewonnen hatte, während Meloni gerade zu Hause einen kaum weniger verbissenen Kampf gegen die eigene Justiz führt. Musk hatte Meloni schon im November geraten, doch einfach die Richter zu entlassen, die ihr in Albanien soviel Ärger bereiteten. Man kann sich vorstellen, wie Trumps Vorstellung verlief – beide sehen sich als Opfer, und Trump ließ hinterher verlauten, dass Meloni eine „phantastische Frau“ sei. Den ideologischen Loyalitätstest, den dieses Treffen darstellte, hatte sie offenbar glänzend bestanden.

Das Angebot, das nicht abgelehnt werden konnte

Dann folgte das zweite Treffen, diesmal mit dem Großmilliardär Elon Musk, dessen Elogen über Giorgias Schönheit die Medien schon im letzten Jahr verbreiteten. Diesmal ging es ums Geschäft, d. h. Musk bot ihr mit seiner Firma SpaceX die Errichtung eines Kommunikationsnetzwerks für das Mittelmeer an, für angeblich geringe 1,5 Mrd. Euro. Hier zeigte Giorgia Meloni gleich ihre Nützlichkeit für die amerikanischen Europapläne, denn sie tat nicht das, was sie als gute Europäerin eigentlich hätte tun müssen: Sich für das Angebot zu bedanken, aber den Anbieter an die zuständigen Ansprechpartner in Brüssel zu verweisen, weil ein solches Projekt mit den zuständigen EU-Instanzen abgesprochen werden müsse, die bekanntlich schon ein ähnliches Projekt (IRIS) für ganz Europa planten. Aber das Verlockende an diesem Angebot war für Meloni, dass es sich nur an Italien und nicht an Europa richtete – die Mauern des europäischen Schutzwalls gegen die amerikanischen Tycoons lösten sich schon beim ersten Antippen in Staub auf. Mit ein wenig Geld und dem Versprechen, in Zukunft zur „Brücke“ zwischen beiden Kontinenten werden zu können, wie Meloni immer wieder betont, wobei sie das Wort „Einfallstor“ vermeidet, das hier wohl passender wäre. Nicht ohne den Hinweis auf sich selbst zu vergessen, die dadurch mit der Trump-Administration in eine „privilegierte Partnerschaft“ eintreten werde. Was für Meloni die Erfüllung eines Traums ist, aber gleichzeitig die Instanzen unterläuft, die sich die EU geschaffen hat, um sich als handlungsfähiger globaler Akteur zu etablieren.

Trumps „Lösung“ des Palästina-Konflikts

Es dauerte wenige Wochen, bis sich zum ersten Mal zeigte, welchen Preis nicht nur Italien, sondern ganz Europa für Melonis „privilegierte Partnerschaft“ mit Trump und Musk zahlen soll. Es waren nicht nur die befürchteten Zölle im ökonomischen Bereich, sondern betrifft einen Kern der europäischen Identität: die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und die universelle Geltung der Menschenrechte. Denn in dem Konflikt zwischen Israel und Palästinensern, der von beiden Seiten mit unverhältnismäßigen/verbrecherischen Mitteln gegen die jeweils andere Bevölkerung geführt wurde (und immer noch wird), stellte sich Trump einseitig auf die israelische Seite, was inzwischen in dem Vorschlag gipfelt, alle Palästinenser aus dem Gaza-Streifen in andere Bereiche des Nahen Ostens umzusiedeln und den Gaza-Streifen in die „Riviera des östlichen Mittelmeers“ zu verwandeln. Das Verfahren wird auch ethnische Vertreibung genannt, ein Verbrechen, das eigentlich der Vergangenheit anzugehören schien.

Weil er in dem israelisch-palästinensischen Konflikt auf beiden Seite massive Verstöße gegen das Völkerrecht sieht, hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag im vergangenen November Haftbefehle gegen den israelischen Regierungschef Netanyahu, seinen damals noch amtierenden Außenminister Gallant und den damals noch lebenden Hamas-Führer Deif erlassen. Aber was Recht und Unrecht ist, darüber entscheidet seit seiner Wiederwahl nur Trump persönlich, der sich nun entschlossen hat, die Haftbefehle nicht nur zu ignorieren, sondern auch mit mit Sanktionen gegen die sie verhängende Institution zu bestrafen: Den Funktionären des IGH wird ab sofort die Einreise in die USA verboten, „da sie illegale und unbegründete Maßnahmen gegen Amerika und seinen engen Verbündeten Israel begangen haben.“

ein Schlag gegen den europäischen Rechtsstaat

Der Fehdehandschuh, den damit Trump in die Arena warf, richtet sich vor allem gegen Europa, wo er auch sofort zu einer Klärung der Fronten führte: International einigten sich insgesamt 79 Länder auf eine gemeinsame Protesterklärung, dass die Washingtoner Entscheidung sämtliche gegenwärtig stattfindenden Ermittlungen behindern werde, und damit auch „das Risiko erhöhen werde, dass die schlimmsten Verbrechen ungesühnt bleiben und der internationale Rechtsstaat untergraben“ werde. Von diesen 79 Briefen kamen 23 aus den 27 Mitgliedsländern der EU, darunter Frankreich, Deutschland, Spanien, Griechenland, Holland und Polen (Scholz: „Damit wird die Institution in Gefahr gebracht, die sich dafür einsetzen sollte, dass die Diktatoren dieser Welt nicht die Menschen verfolgen und Kriege entfachen können“). Ihnen schlossen sich auch alle institutionellen Spitzen der EU an – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb, der IGH bedeute „die Garantie, dass die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen ermittelt werden und die Opfer in der ganzen Welt eine Stimme bekommen“. Auch die UNO fordert eine Rücknahme der Sanktionen.

Vier Mitglieder der EU unterschrieben nicht: Ungarn, Litauen, die Tschechei – und Italien. Diese vier Länder laufen damit Gefahr, genau das zu erfahren, was nun zur Kehrseite der „privilegierten Partnerschaft“ mit den USA geworden ist: Abschied aus der europäischen „Wertegemeinschaft“ und Isolierung. Denn aus europäischer Sicht hat die EU mit dem Angriff Trumps auf den IGH ihre erste Feuertaufe hinter sich: zum schlimmsten Szenario, dem kollektiven Kniefall vor der trumpschen Zerstörungswut ihrer Werte, ist es bisher nicht gekommen. Es scheint den USA zwar gelungen zu sein, mit Italien eines der prestigeträchtigen Gründungsmitglieder der EU auf die andere Seite zu ziehen, aber der gemeinsame Brief der 24 anderen Mitgliedsstaaten spricht dafür, dass sich der Traum von Trump und Musk, im Schlepptau Italiens würden sich in einer Art Domino-Effekt andere Länder anschließen, vorerst nicht erfüllt.

Zwar verfügen die USA noch über einige Erpressungsmittel, um versuchen zu können, die EU zu zertrümmern: den selektiven Einsatz der Zölle, die angedrohte Landnahme Grönlands, einen sowohl für die Ukraine als auch Europa faulen Friedensschluss mit Putin. Aber wenn sich die EU gegenüber diesen Drohungen nicht nur als Wertegemeinschaft, sondern auch als wehrhaft und weitgehend einig erweist (mehr als „weitgehend“ wäre wohl nicht mehr realistisch), könnte sie auch Trump und Putin überleben. Für die USA könnte sich Italien vielleicht nur als ein Einfallstor von begrenzter Reichweite erweisen.