Kein Platz mehr für Akrobatik
Was am vergangenen Freitag im Weißen Haus geschah, spottet jede Beschreibung. Trump beleidigt und beschimpft völlig enthemmt den ukrainischen Präsidenten vor laufenden Kameras in brutaler und niederträchtiger Weise. Sein Wachhund Vance sekundiert mit nicht minder aggressivem Gebell. Unterwürfig gegenüber dem russischem Diktator, der den Krieg gegen die Ukraine entfesselt hat, attackiert Trump in der Person ihres Präsidenten die ganze Ukraine – das Opfer der Aggression, das seit drei Jahren bitteren Widerstand leistet und Hunderttausende von Toten zu beklagen hat. Ein widerliches Spektakel.
Was am Freitag und in den ganzen letzten Wochen geschah, bringt die Grundpfeiler der bisher bestehenden geopolitischen Ordnung ins Wanken und bedroht unmittelbar die Fundamente von Demokratie und zivilem Umgang zwischen den Staaten. Der neue Präsident der Vereinigten Staaten und sein Vize stellen die Realität auf den Kopf. Trump macht sich direkt zum Sprachrohr von Putin und behauptet, Selenskyj selbst sei Schuld an dem Krieg gegen die Ukraine und ein Diktator.
Vance tönt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die europäischen Staaten seien undemokratisch, Werte wie Meinungsfreiheit würden unterdrückt – während gleichzeitig sein Chef die Türen des Weißen Hauses für alle Medienvertreter sperrt, die nicht ihn und seine Entscheidungen bejubeln.
Nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa ist in Gefahr. Die Reaktionen vieler europäischer Regierender und Leader auf den Eklat im Weißen Haus zeigen, wie dieses Bewusstsein wächst. Von Scholz und Merz („Niemals Aggressor und Opfer verwechseln“) bis zu Macron, Tusk, Sanchez und Von der Leyen kommen Solidaritätsbekundungen an die Ukraine. Entsetzen und Fassungslosigkeit machen sich breit, für „abwartende Haltung“ (mal sehen, was Trump noch macht) ist keine Zeit mehr.
Und was tut die italienische Ministerpräsidentin?
Zunächst: nichts. Sie schweigt. Erst am Freitag um 22.20, Stunden nach den Reaktionen anderer europäischer Leader, kommt sie nicht mehr umhin, sich zu äußern. Sie veröffentlicht eine schriftliche Erklärung, die keinerlei Solidaritätsbekundung mit Selenskyj und schon gar nicht irgendwelche Kritik an Trump enthält. Nur die allgemeine Aufforderung, der Westen dürfe sich nicht auseinanderdividieren. „Jede Spaltung des Westens schwächt uns und begünstigt jene, die den Niedergang unserer Zivilisation wünschen“ schreibt sie. Und schlägt „einen sofortigen Gipfel zwischen USA, europäischen Staaten und Verbündeten vor, um offen darüber zu reden, wie wir die große Herausforderungen von heute – angefangen mit der Ukraine, die wir in diesen Jahren unterstützt haben (man bemerke die Vergangenheitsform, MH) – und jene, die wir in Zukunft zu bewältigen haben“. Schwammiger geht es kaum.
Meloni ist offensichtlich in der Klemme. Sie ahnt wohl, dass die übliche doppelzüngige Taktik, die sie so liebt – auf der Tastatur gleichzeitig zwei inkompatible Musikstücke zu spielen – diesmal nicht so einfach durchzuhalten ist: einerseits ihre besondere Nähe zu Trump zu demonstrieren und einen (vermeintlich) privilegierten Kommunikationskanal zu ihm zu halten, und andererseits partout einen offenen Bruch mit der EU zu vermeiden, der Italien auf europäischer Ebene isolieren und handlungsunfähig machen würde.
Seit dem Wahlsieg Trumps versucht sie, ihre Beziehung zur neuen US-Administration und ihr Verhalten in der Ukraine-Frage mit akrobatischen Verrenkungen unter einen Hut zu bringen. So trat sie an einem Tag – als einzige Vertreterin einer europäischen Regierung – auf der „Conservative Political Action Conference/CPAC“ der extremen Rechten in den USA mit einer Video-Botschaft auf, in der sie zum wiederholten Mal die Rede von Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz ausdrücklich lobte und gleichzeitig die Ukraine als „Opfer einer Aggression“ (ohne den Namen des Aggressors zu nennen) bezeichnete und vor einem Zollkrieg zwischen USA und Europa warnte. Um dann die ganze Palette von „Gott, Vaterland und Familie“ herunterzubeten, bei stehenden Ovationen der Konferenzteilnehmer.
Wenige Tage davor hatte sie – widerwillig – in Paris an dem von ihrem Intimfeind Macron initiierten informellen Gipfel zum Krieg gegen die Ukraine teilgenommen, mit den Regierungschefs von Deutschland, Großbritannien, Polen, Spanien, Niederlanden und Dänemark sowie dem EU-Ratspräsidenten Costa, Kommissionsvorsitzender Von der Leyen und Nato-Generalsekretär Rutte. Auch dort hatte sie laviert und die Verbalattacken von Trump und Vance gegen Europa herunter gespielt („lediglich Forderungen an Europa, konkreter zu werden“). Mit der stets wiederholten Forderung, dass die EU mit den USA eng zusammenarbeiten und an einem gemeinsamen Strang ziehen müsse. Auch dort kein kritisches Wort zum Vorgehen des US-Präsidenten und seiner Übernahme der Positionen Putins.
Spätestens nach dem Eklat vom vergangenen Freitag dürfte auch Meloni aufgegangen sein, dass dieser Tanz auf dem Drahtseil, mit einem Fuß in Washington und dem anderen in Brüssel, nicht nur wirkungslos, sondern für sie – und erst recht für das Land, das sie repräsentiert – gefährlich ist. Das Problem ist aber, dass sie offensichtlich nicht weiß, wie sie aus der Zwickmühle herauskommt, in die sie sich selbst gebracht hat. Ergo fällt ihr jetzt als großartige Initiative – wohl auch, um mit Macron und Starmer mitzuhalten – nur die Einberufung eines weiteren „sofortigen“ Gipfels ein, diesmal unter Einbeziehung der USA. Diesen Vorschlag wiederholte sie heute (2. März) am Rande des Sondergipfels in London – wieder so ein Gipfel -, zu dem der britische Premier Starmer eingeladen hatte.
Regierungskoalition zerstritten
In der gegenwärtigen Situation, deren Konsequenzen noch nicht ganz abzusehen sind, wären eigentlich bei den Regierenden kühle Köpfe und ein klarer Kurs erforderlich. Bei Meloni ist das Gegenteil der Fall. Sie ist unfähig oder unwillig – wahrscheinlich beides – sich klar zu positionieren. Und ist ohnehin nicht in der Lage einzuschätzen, was von Trump alles noch kommen kann, wie sie selbst eingesteht („Kein Mensch weiß, was Trump noch machen wird“, so ihr verräterischer Kommentar mit Anspielung auf Salvinis Zusicherung, Trump werde einen wunderbaren Friedensabschluss erreichen).
Ihr Außenminister und Vizepremier Tajani (Forza Italia) fabuliert seinerseits über die Notwendigkeit, „Vorsicht walten zu lassen“ (gegenüber wem?). Im Fernsehen erklärt er mit betretener Miene, „Es ist eine Zeit großer Spannungen, wir müssen mit Ruhe schauen, wie sich die Lage entwickelt. Freilich ist das Treffen im Weißen Haus nicht gut gelaufen“, erkennt er messerscharf. Jedenfalls müsse die Ukraine bei Verhandlungen dabei sein und auch Europa, welches mit einer Stimme sprechen sollte. Da war die Erklärung von Merz klarer.
Wer hingegen seiner Begeisterung freien Lauf lässt, ist natürlich der Legachef und Melonis zweiter Vize Matteo Salvini. Putin und Trump sind ja sein Traumpaar. „Er (Trump, MH) wird Selenskyj zum Frieden zwingen. Die europäischen Leader sind schwach, sie sind am Ende. Weiter so, Donald Trump!“. Und scherzt vergnügt auf einer nächtlichen Party mit seiner Ministerkollegin Elisabetta Casellati: „Elisabetta, was trinkst du da, Vodka?? Du bist unartig! Dann müssen wir alle nach Moskau!“. Herzliches Lachen der Anstoßenden.
Soviel zur der Führungsriege der Meloni-Regierung.
Opposition fordert von Meloni: Nein zu Trump, ja zu Europa
„Trump hat sich dafür entschieden, auf Putins Seite zu sein. Er hat mit unvorstellbarer Brutalität ein Volk gedemütigt, das von einem Diktator angegriffen wurde, und er hat Präsident Selenskyj mit institutionellem Machtmissbrauch in einen Hinterhalt gelockt. Die italienische Regierung muss dem ukrainischen Volk und seinem Präsidenten Solidarität und Unterstützung zusichern und die Ministerpräsidentin darf nicht mehr die Entscheidung aufschieben: entweder mit Trump, seinen Milliarden und wirtschaftlichen Interessen – oder mit der Demokratie und mit Europa“, so die Generalsekretärin der PD Elly Schlein. Die Ambiguität Melonis, die es nicht fertig brächte, sich zwischen der europäischen Fahne und Trumps Mütze zu entscheiden, füge dem Land schweren Schaden zu. Es marginalisiere Italien, wo es doch in der ersten Reihe sein müsste, um Europa zu stärken und den Frieden zu erreichen.
Auch die meisten anderen Oppositionsparteien verlangen von der Regierung einen klaren europäischen Kurs und eine Distanzierung von Trump. Ein Sonderfall bildet allerdings die 5-Sterne-Bewegung, die schon seit langem die militärische Hilfen für die Ukraine ablehnt und für einen möglichst raschen Friedensabschluss eintritt, unabhängig davon, ob deren konkreten Bedingungen für die Ukraine (und Europa) überhaupt akzeptabel sind. Conte ging so weit, Trumps Vorgehen zu loben: „Er hat die bellizistische Propaganda des Westens entlarvt“. Nach dem Eklat im Oval Office versucht er, die Vorwürfe über seiner Hinwendung zu Trump zurückzuweisen. Er habe sich von der Herabwürdigung Selenskyjs im Oval Office distanziert und Trump wegen seiner Pläne zur Deportation der Palästinenser aus Gaza scharf kritisiert, empört er sich. Was stimmt, aber seine Sympathie für das Liebäugeln Trumps mit Putin – an der Ukraine vorbei – nicht aus der Welt schafft.
Für den 15. März ist in Rom eine große Kundgebung unter dem Motto „Ja zu Europa“ geplant. Ohne Parteisymbole, nur mit europäischen Fahnen. Aufgerufen dazu hat der Repubblica-Journalist Michele Serra in einem Appell „Ein Platz für Europa – Ich werde da sein“. Eine Flut von Zusagen ist dem Aufruf gefolgt. Von „einfachen Bürgerinnen und Bürgern“, Parteien, Gewerkschaften, Bürgermeistern verschiedener politischer Couleur, katholischen Verbänden, Künstlern. Für ein Europa der Freiheit, der Einigkeit, der Menschenwürde, des gerechten Friedens.
Selenskyj muss sich im Awful Office gefühlt haben wie umringt von skrupellosen Gangster-Bossen. Wer ihm und dem gepeinigten ukrainischen Volk da nicht klar zur Seite steht, macht sich mit seinen Verleumdern gemein.
Mit ihrer Aussage „Jede Spaltung schwächt uns“ kann Meloni eigentlich nur Trump-Bewunderer wie Salvini und Orban gemeint haben.