Der italienische Bürger wird ärmer
Politökonomische Betrachtungen (2)
Das letzte Wochenende im August bedeutet traditionell für die meisten Italiener das Ende der Ferien. Bisher stellte es – wie auch der Massenexodus zu Beginn des Urlaubs – immer ein Ereignis dar, das von den Medien groß begleitet wurde. Denn die Blechkarawanen, die sich wie ein unendlicher Lindwurm über die Autobahnen und Schnellstrassen wanden, oder die kilometerlangen Staus vor den Mautstationen, über denen unzählige Hubschrauber der Verkehrspolizei kreisten, stellten ein wahres Spektakulum dar. Aber seit letztem Jahr ist die Rückkehr den Medien nur noch eine kurze Meldung wert. Denn das gewohnte Schauspiel fiel einfach aus, weil immer weniger Italiener in den Urlaub fuhren. Nur knapp die Hälfte hat diesmal die eigenen vier Wände während des Jahresurlaubs verlassen. Und unter denen, die es taten, konnten es sich die meisten nur noch leisten, sich für ein paar Tage bzw. eine Woche woanders einzuquartieren oder ein Ferienhaus zu mieten. Viele fuhren zu Verwandten oder machten Tagesausflüge ans Meer. Da die Einkommen sinken, standen laut italienischem statistischen Bundesamt den Haushalten 2010 für ihre Ferien durchschnittlich nur noch 530 Euro zur Verfügung, 10 Prozent weniger als 2009.
Die Zurückgekommenen erwartete gleich eine neue Überraschung. Das „Osservatorio nazionale“ des Verbraucherverbandes Federconsumatori rechnet damit, dass die Lebenshaltungskosten pro Haushalt in den nächsten zwölf Monaten um 1118.- Euro steigen werden, also gegenüber dem Vorjahr um knapp zehn Prozent. Bei den Reallöhnen, die seit 1995 sinken, ist die Kaufkraft für den Zeitraum zwischen 2007 bis 2010 um 9,6 Prozent zurückgegangen. (Beim Bruttoinlandsprodukt steht Italien in der Welt immer noch an siebter Stelle, aber das Durchschnittseinkommen rangiert in der unteren Hälfte der EU). Jahrelang sinkende Einnahmen und steigende Ausgaben trugen dazu bei, dass immer mehr Leute ihre Ersparnisse angreifen mussten. Inzwischen sind die Italiener, die jahrzehntelang Europameister im Sparen waren – mit einer der höchsten Sparquoten weltweit –, zu Schuldnern geworden. Um ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können, war jeder private Haushalt im letzten Jahr im Schnitt schon mit 16.000 Euro verschuldet. Dieser Betrag wird sich 2010 noch einmal um 900.- Euro erhöhen.
Vor allem das Wohnen reißt riesige Löcher in die private Haushaltsbilanz. Da es kaum Mietwohnungen gibt (nur 17,2 Prozent, und nur mit extrem hohen Quadratmeterpreisen), ist die Mehrheit darauf angewiesen, Wohnraum zu kaufen und mit Bankkrediten zu finanzieren. Der italienische Immobilienmarkt gehorcht jedoch nicht Marktgesetzen – auch wenn das von offizieller Seite immer wieder behauptet wird – sondern politischen Kalkülen. Der Preis für einen umbauten Kubikmeter steht in keinem erkennbaren Verhältnis zum Wert des Wohnraums. Dies führte dazu, dass immer mehr Leute, die es sich noch leisten können (ein Großteil der oberen fünf Prozent gehört zu Berlusconis Klientel), lieber Wohnungen in Berlin, Paris, Barcelona oder Wien kaufen, als das Geld in Ferienwohnungen im eigenen Land anzulegen. Denn inzwischen kostet der Quadratmeter einer Komfortwohnung in der Berliner Innenstadt weniger als in den Vorstädten von Rom, vergleichbare Eigentumswohnungen kosten in Deutschland nur ein Drittel des italienischen Preises. Ein italienisches Ehepaar von Mitte dreißig, zwei kleine Kinder, beide (was in Italien ein Glück ist) fest berufstätig – er als Krankenhausarzt, sie als Bauingenieurin – können von ihren Gehältern gerade die Kosten (Kreditzinsen, Wohngeld etc.) für eine Zweieinhalb-Zimmerwohnung von knapp 60 Quadratmetern am Rand von Mailand oder Rom aufbringen. Aber auch das wäre nur mit einer Anfangsfinanzierung seitens der Eltern bzw. Schwiegereltern möglich.
Hinzu kommt, dass im letzten Jahrzehnt die Arbeitsplätze – selbst im Billiglohnsektor – ständig abgenommen haben. Zwar wird offiziell von Regierungsseite seit über einem Jahrzehnt die Arbeitslosenquote konstant mit etwa 9 Prozent (2009 etwas über 10 Prozent) angegeben. Doch dies ist der Tatsache geschuldet, dass nur kürzlich Entlassene in der Statistik geführt werden. Andere Arbeitssuchende melden sich sowieso nicht bei den Ämtern, da sie in Italien als Arbeitslose keine finanziellen Zuwendungen zu erwarten haben. (2010 hat deshalb die italienische Zentralbank den Regierungsangaben widersprochen, die reale Arbeitslosenquote liege um mindestens drei Prozent höher). Aussagekräftiger ist deshalb die Beschäftigtenquote, weil sie auch die aus dem Arbeitsmarkt Verdrängten berücksichtigt. Im Vergleich zu den anderen Kernländern der EU ist diese Quote mit weitem Abstand die niedrigste, in allen 27 EU-Staaten liegt sie im unteren Viertel. Auch die Schattenwirtschaft und die illegale Wirtschaft können die aus der legalen Wirtschaft Entlassenen nicht mehr absorbieren, da auch sie seit geraumer Zeit schrumpfen, was den Einsatz menschlicher Arbeitskraft betrifft.
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