Umstrittenes Urteil zu Dell’Utri

Anfang März hob das italienische Kassationsgericht die Urteile gegen B.s Vertrauten Marcello Dell‘ Utri auf. Dell’Utri war in den ersten beiden Instanzen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, wegen „Concorso esterno in associazione mafiosa“ (auf deutsch: „externe Mitwirkung bei einer mafiösen Vereinigung“).

Diese Urteile hat das Kassationsgericht jetzt aufgehoben. Die schriftliche Begründung liegt noch nicht vor, doch der Generalstaatsanwalt des Kassationsgerichts, Jacoviello, nahm bereits Stellung: die „Externe Mitwirkung“ sei „für sich allein keine Straftat, daran glaubt kein Mensch mehr“. Es müsse vielmehr nachgewiesen werden, welche konkreten Handlungen des Angeklagten die Mafia begünstigt hätten. Das sei im Fall Dell’Utri nicht geschehen. Beziehungen zu Mafiabossen reichten allein als Nachweis nicht aus.

Die richterliche Entscheidung hat sowohl auf politischer Ebene als auch unter Juristen eine heftige Kontroverse entfacht. Während B., die PdL und der Angeklagte jubeln, zeigten sich zahlreiche Richter entsetzt. Sie wiesen darauf hin, dass der „Concorso esterno“ einer der Grundpfeiler im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und gegen die Verstrickung von Politik und Mafia sei. Die von der Cosa Nostra ermordeten Richter Falcone und Borsellino hätten diesem Straftatbestand eine strategische Bedeutung beigemessen, viele ihrer Prozesserfolge gegen die Mafia seien nur dadurch möglich gewesen.

Die Sache ist juristisch kompliziert. Denn einen eigenen Straftatbestand „Externe Mitwirkung bei einer mafiösen Vereinigung“ kennt das italienische Strafgesetzbuch eigentlich nicht. Er ergibt sich aus der Kombination von zwei Straftatbeständen: Zugehörigkeit zu einer mafiösen Organisation, in Italien „per se“ eine Straftat (Art. 416), und Mitwirkung bei einer Straftat (Art. 110). Die Kombination beider Normen bildet die Grundlage für die Strafverfolgung von Personen, die nicht Mitglieder der Mafia sind, aber mit ihr „von außen zusammenarbeiten“. Etwa bei Tauschgeschäften zwischen Politikern und Mafiosi zum gegenseitigen Vorteil, z. B. Wählerstimmen gegen staatliche Aufträge.

Der ehemalige Vorsitzender des Verfassungsgerichts Grosso weist daraufhin, dass die Existenz eines Straftatbestandes „externe Mitwirkung“ nicht angezweifelt werden kann. Das Problem liege bei dessen Konkretisierung: Ab wann und in welchen Fällen stellen Beziehungen und Bekanntschaften mit Mafiosi eine reale Begünstigung der organisierten Kriminalität dar? Und wie ist diese konkret nachzuweisen?

Auch unter Juristen im „linken“ Spektrum gehen die Meinungen auseinander. Der bekannte Staatsanwalt von Palermo, Ingroia, kritisiert das Urteil des Kassationsgerichts. Er sieht darin die endgültige Verabschiedung von der sog. „Falcone-Methode“: „Dieses Urteil … ist Teil einer seit Jahren betriebenen Demontierung jener juristischen Strategie, die Falcone und sein Richterpool ins Zentrum ihres Handelns gestellt hatten“. Dell’Utri wurde durch das Urteil nicht freigesprochen, denn seine engen Beziehungen zu Mitgliedern der Cosa Nostra seien vom Gericht nicht angezweifelt.worden. Aber es gehe um deren juristischen Bewertung.

Der zu Mittelinks zählende Jurist Violante, ehemals Vorsitzender der parlamentarischen Antimafia-Kommission, äußert sich vorsichtiger. Er sieht bei der „Externen Mitwirkung“ durchaus Klärungsbedarf. „Der Straftatbestand existiert zwar und zielt auf die Unterstützung der Mafia. Aber man muss klar definieren, welche Handlungen von Personen, die nicht direkt zur Mafia gehören, einen konkreten Beitrag zur Förderung der organisierten Kriminalität darstellen“.

Allerdings ist das Zusammenspiel von Politik und Mafia, das in Italien eine lange Tradition hat, viel schwerer nachzuweisen als Straftatbestände wie Mord, Betrug oder Diebstahl. Der Politiker, der mit von der Mafia beschafften Wählerstimmen Karriere macht, wird sich ihr gegenüber „irgendwann und irgendwie“ erkenntlich zeigen. Wie umgekehrt auch der Mafioso, dem der Politiker Aufträge zu schustert. Richter wie Falcone und Borsellino versuchten, solche kriminellen Zusammenspiele aufzudecken, und heute versuchen es auch Ingroia und andere. Das Kassationsgericht hat mit seinem Urteil auf juristische Lücken hingewiesen. Sie müssen beseitigt werden.

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