Komiker! Komiker?


Vorbemerkung der Redaktion

Der folgende Beitrag, den uns Michael Schlicht aus Rom schickte, ist eine Kritik an der Oberflächlichkeit deutscher Journalisten, aber auch eine Antwort auf unsere kritischen Kommentare zu Grillo und seiner 5-Sterne-Bewegung. Wir veröffentlichen ihn, obwohl wir in wichtigen Punkten anderer Meinung sind.

Dass auch wir bisher noch nicht genügend „hinter die Oberfläche“ schauten, sei akzeptiert, obwohl wir uns um das Gegenteil bemühen (und uns über jede vertiefende Hilfe freuen). Aber auch Schlichts Beitrag ist einseitig. Er verharmlost Grillos Demagogie, wenn er sie nur auf „four-letter-words“ (er meint wohl den „culo“) und mangelnde Differenzierung reduziert. Grillos Demagogie ist schlimmer: Sie entmenscht ihre Gegner und schafft sich damit Anhänger, die man in Deutschland nur aus der rechtsradikalen Ecke kennt. Schlicht verharmlost die Einmann-Herrschaft, die Grillo in seiner „Bewegung“ errichtet hat, und die Gefahr, dass er um der „Reinheit“ dieser Bewegung willen eine Reformregierung verhindert. Andere Aspekte blendet Schlicht aus, z.B. die sektiererische Esoterik von Grillos Guru Casaleggio.

Schließlich zeigt sich auch Schlicht von der Mentalität erfasst, die Grillo so massenwirksam macht: die Rede von „der herrschenden Politikerkaste“ als solcher, die keinen Unterschied mehr macht zwischen einem D’Alema und einer Rosy Bindi, einem Vendola oder Bersani und einem Berlusconi. Hier wird aus (vielfach berechtigtem) Zorn Blindheit. Zu Schlichts „Ausblick“: Auf einen schnellen Lernprozess der 5-Sterne-Bewegung müssen auch wir hoffen. Uns schaudert nur ein wenig beim Gedanken an die Auswirkungen, die ihre „Fehler“ ab sofort für Italien und Europa haben könnten.

Marcella Heine, Hartwig Heine und Antonio Umberto Riccò


Ein etwaiges Lachen dürfte den meisten am 25. Februar jedoch im Halse stecken geblieben sein, aber trotzdem wiederholen deutsche Kommentatoren immer noch den inzwischen arg abgenutzten Begriff Komiker wie ein Mantra, so, als ob nichts geschehen wäre – oder besser: als ob sie nichts aus den Ereignissen der letzten Zeit gelernt haben. Ein anderer Verdacht, der dem Betrachter kommt, ist der, dass viele Personen in Deutschland, allen voran eine Reihe von Journalisten, weiterhin große Schwierigkeiten haben, die Vorgänge in Italien aus dem richtigen Blickwinkel zu betrachten – oder, was noch schlimmer wäre, es nicht wollen. Wobei „richtig“ bedeutet, sich zu bemühen, Italien und die italienischen Zustände mit einem Blick von innen zu erfassen, wobei zu erwarten wäre, dass man über mehr als nur oberflächliche Kenntnisse verfügt.

Schreihals, Populist …

Was ich bislang fast immer vermisst habe beim Lesen von Kommentaren zu Beppe Grillo ist ein Blick hinter die Oberfläche, hinter den ersten Eindruck. Eine gänzlich neue Bewegung, die sich anschickt, die innenpolitische Szene „aufzumischen“, eine ganze Generation von oft korrupten, vorbestraften, an ihren Sesseln klebenden und ihren Privilegien hängenden Politikern nach Hause zu schicken, kann nicht mit dem Skalpell arbeiten, schon gar nicht im Wahlkampf. Da ist es grotesk, wenn ein sensibler Intellektueller den Gebrauch von „four-letter-words“ oder undifferenziert vorgetragene Aussagen kritisiert, ohne den gesamten Rest zu berücksichtigen. 25 % der Wählerstimmen beim ersten Anlauf erhält man nicht, weil man schreit, sondern weil man den Nerv der Probleme trifft, weil sich die unterschiedlichsten Wählergruppen angesprochen fühlen. Und wenn diese ihrerseits genau erkennen, was hinter dem öffentlichen Gebaren, dem Äußeren steckt.

Gianroberto Casaleggio

Gianroberto Casaleggio

Es reicht!

Was die 5-Sterne-Bewegung vor allem stark gemacht hat, ist die generelle Unfähigkeit der herrschenden Politikerkaste, dieses Personenkreises, der oft und immer wieder nur an sich selbst denkt (wofür die fast täglichen Skandale ein klarer Beweis sind), der längst überfällige Reformen zwar immer wieder verspricht, aber nie verabschiedet. Korruption und Nepotismus allenthalben, eine organisierte Kriminalität, die der offiziellen Wirtschaft Hunderte von Milliarden Euro entzieht, Politiker ALLER Parteien, die sich hauptsächlich darum kümmern, sich gegenseitig gut bezahlte Pöstchen zuzuschieben oder „Wohltaten“ an bestimmte Wähler zu verteilen (in Sizilien z.B. gibt es fast mehr Forstbeamte als Bäume), ein D’Alema, der den Aufstieg Berlusconis in den 90er Jahren hätte aufhalten können, diesen aber im Gegenteil noch gefördert hat, weil er sich entsprechende Gegenleistungen erwartet hat und und und. Um es kurz zu sagen: Zumindest 25% der Italiener (in Wirklichkeit sind es noch weitaus mehr) haben die Nase voll und jeglichen Glauben an die Versprechungen DIESER Politiker verloren.

Diktator Grillo

Auch dies ein anderes Schlagwort, wobei man bei seinem Gebrauch gleichzeitig erklären sollte, wie es denn möglich sein soll, eine derart schnell wachsende und heterogene Gruppierung in so kurzer Zeit zu einer Partei zu machen, die wie eine seit Jahrzehnten bestehende politische Kraft funktioniert. Dafür braucht es Zeit, eine Struktur, eine Organisation – alles Dinge, die nicht von heute auf morgen zu machen sind. In der Zwischenzeit geht es darum darauf zu achten, dass eine dermaßen neu- und andersartige Gruppierung nicht implodiert, an ihren Kinderkrankheiten den Geist aufgibt. Noch kann die 5-Sterne-Bewegung nicht auf eigenen Beinen stehen (d.h. ohne Grillo), und das wird wohl noch eine Weile andauern, wenn sie nicht enden will wie die Piraten in Deutschland. Irgendwann werden auch sie sich eine Struktur, ein Statut geben – aber noch gibt es andere, wichtigere Probleme, die zuerst gelöst werden müssen.

Verantwortungslos

ist ein anderes Wort, welches man oft hört, wenn von Beppe Grillo gesprochen wird. Macht man sich dann allerdings Mühe, einmal zu schauen, wie sich die Bewegung dort verhält, wo sie – wie in Parma – selbst Verantwortung übernommen hat oder eine Minderheitsregierung wie die in Sizilien stützt (wo sie die Mehrheitspartei stellt), wird man sofort eines Besseren belehrt. Alles andere als Verweigerer oder Zerstörer um jeden Preis. Was sie allerdings von anderen Parteien unterscheidet, ist, dass sie
nicht bereit ist, Koalitionen im herkömmlichen Sinne einzugehen, sondern von Fall zu Fall entscheidet, welche Beschlüsse sie unterstützt;

  • fordert, dass ihren Forderungen nach einschneidenden Reformen Rechnung getragen wird;
  • nicht mehr eine Politik toleriert, die in Nebenzimmern hinter geschlossenen Türen stattfindet;
  • keine leere Versprechungen hören will, sondern darauf pocht, dass endlich entschieden gegen die italienischen Grundübel vorgegangen wird;
  • sämtliche Privilegien der Politiker abgeschafft werden usw. usw.

Ausblick

Selbstverständlich muss und wird sich die 5-Sterne-Bewegung dem Umstand anpassen müssen, dass sie nun zur (stärksten) politischen Kraft im Parlament geworden ist. Lassen wir den meist jungen Leuten (das Durchschnittsalter liegt irgendwo bei etwas über 30 Jahren!) aber bitte ein wenig Zeit und haben wir auch Geduld, wenn sie beim Lernen, wie ein Abgeordnetenhaus funktioniert, zwangsläufig Fehler machen, für die andere Parteien Jahrzehnte Zeit hatten. Insgesamt und auf mittlere Sicht kann sich aber der frische Wind, den sie ins Parlament tragen werden, nur positiv auf Italien auswirken.

5 Kommentare

  • Ich lebe seit 4 Jahren auf Sardinien und teile Herrn Schlichts Meinung die Darstellung Grillos in den deutschen Medien betreffend. Ich meine sogar, dass in deutschen Medien (mir stehen nur online-Medien z.V.) insgesamt eine fürchterliche Unwissenheit hinsichtlich Italien herrscht – auch nach der 5. Berlusconi-Wahl fragen sich in D z.B. die Journalisten: wie können sie nur? statt es den Deutschen zu erklären (das ist gar nicht schwer, man muss nur ein paarmal zuhören oder nachfragen, wenn sich Italiener unterhalten) oder es wenigstens zu versuchen. Und sie wundern sich, dass B. viel mehr Stimmen bekommt als aus den Umfragen zu erwarten. Auf welchem Niveau recherchieren und schreiben die denn?

    Zu Grillo noch zwei Worte. Als Deutscher bin ich entsetzt über seine Wortwahl, und für mich wäre ein deutscher Politiker mit der selben wohl nicht wählbar (G. selbst will ja auch nicht ins Parlament). Aber dies ist Italien. Vergleichen Sie die Wortwahl in Kommentaren! Lauschen Sie, wenn Italiener schimpfen! Lassen Sie (wie die meisten Italiener jahrelang) den Fernseher mal eine Woche lang laufen (mit ital. Programmen). Die Berlusconiarisierung ist viel weiter fortgeschritten, als sich in D überhaupt jemand vorstellt, hier werden von vielen nur noch Überschriften wahrgenommen (wenn ich ital. Freunden Kommentare mit mehr als 2 Sätzen sende, bekomme ich meist gar keine Antwort).
    Zudem: wenn man Vergehen italienischer Politiker mit deutschen Maßstäben (die z.B. an Wolff oder an Brüderle angelegt werden) messen würde – welche Worte kämen einem da tatsächlich in den Sinn? (Sicher nicht „Clown“!) Niemand stört sich deshalb hier daran (aus meiner Erfahrung), wie Grillo seine Gegner attackiert, und ich bezweifle, dass leisere Töne hier überhaupt Erfolg hätten.

    Dass Grillo sich zudem wehrt, eine Minderheitenregierung zu tolerieren (oder gar zu koalieren), könnte mit dem zusammenhängen, was er vor der Wahl gesagt hat (und wofür ihm nicht wenige ihre Stimme gegeben haben). Dasselbe gilt für seinen diktatorischen Stil. Empfinde ich auch so, aber: Der Verhaltenskodex und das Programm waren den Deputierten vor der Wahl bekannt. Wer jetzt – vielleicht auch aus nachvollziehbaren Gründen – an den paar Punkten rüttelt (so viele sind es ja wirklich nicht), der muss sich auch fragen, ob das der richtige Zeitpunkt ist bei einer Bewegung, die sich genau darin von den anderen unterscheiden will, dass sie transparent und verlässlich agiert und auch nach der Wahl einlöst, was sie vorher versprochen hat.

  • sabine friedrich

    Einerseits teile ich die Skeptik von “Aus Sorgen um Italien” (nun hatten z.B. die Mitlieder des M5S sogar ein Statut ohne es zu wissen) – aber wenn man Italien heute “erlebt”, kann man trotzdem nur wie Michael Schlicht oder Detlef Schnittke für mehr Grillo-Verständnis plädieren und müsste darüber hinaus sogar für Solidaritat mit den “parlamentari 5stelle” im übrigen Europa werben, denn die “grillini” stellen endlich(!) eine echte Chance zur Bekämpfung der italienischen Übel wie Korruption, “cementificazione” und Geldverschwendung dar. – Interessant in diesem Zusammenhang und zum Thema Grillo übrigens Zeitungsartikel und Blog von Petra Reski.

  • Hartwig Heine

    Das deutsche Unwissen über Italien ist groß, das ist wahr, es schwankt zwischen Verniedlichung und überheblicher Ignoranz, siehe Steinbrück (der beides schafft). Aus meiner Sicht ist es aber auch eine Verniedlichung der 5-Sterne-Bewegung, in ihr nur ein Problem der „Wortwahl“ und des „diktatorischen Stils“ zu sehen (siehe meinen Blog-Beitrag „Wege zu Grillo“). Ich meine, gerade wir Deutschen sollten dagegen allergisch sein, dass man Leute, die man für Gegner hält, auch gleich entmenscht. Das kann mehr als „Rhetorik“ werden. Und wie es nicht „die“ Deutschen gibt, lieber Detlef Schmittke, gibt es auch nicht „die“ Italiener. Es gibt sogar sehr zivilisierte Exemplare der menschlichen Gattung unter ihnen. Auch ich hoffe immer noch, wie Sabine Friedrich, dass die „Chance zur Bekämpfung der italienischen Übel“ jetzt tatsächlich ergriffen wird. Eigentlich wäre sie da. Aber es ist genauso möglich, dass sie jetzt verspielt wird. Denn bisher ist es Grillo selbst, der sich als die größte Reformblockade erweist (von Berlusconi ganz zu schweigen). Was Grillo seinen Wählern versprochen hat, dafür beansprucht er selbst das Interpretationsmonopol. Sogar eine Mehrheit seiner Anhänger scheint das anders zu sehen: Sie wollen, dass sich schlicht „etwas verändert“. Aber die macht er mundtot.

  • Detlef Schnittke

    Schade, Sie wiederholen lediglich Ihre beiden Argumente, auf die sich ein Teil meines Beitrags („zwei Worte“) schon bezog. Offensichtlich haben Sie weder meinen Namen (aber na gut, ich habe im Eifer des Gefechts auch den Wulff zum Wolff gemacht) noch meinen Beitrag genau gelesen, oder es macht Ihnen Spaß, sich – unter Verabreichung väterlicher Ratschläge in Sachen political correctness, danke sehr, lieber Herr Heine (obwohl ich selbst eigentlich nirgendwo die Bezeichnung „die“ Italiener oder „die“ Deutschen gebraucht habe) – im Kreis zu drehen. Mir weniger, deshalb verabschiede ich mich aus der Diskussion.

  • Hartwig Heine

    Herr Schnittke, ich möchte mich bei Ihnen in aller Form dafür entschuldigen, dass ich Ihren Namen falsch geschrieben habe. Nein, es macht mir keinen Spaß, mich im Kreise zu drehen, sondern würde gerne weiterkommen, sowohl bei Grillo und seiner Anhängerschaft als auch bei Berlusconis Anhängerschaft (bei letzterem, muss ich zugeben, interessiert mich die Person nur noch begrenzt). Es tut mir ebenfalls leid, dass meine Bemerkung, dass es auch sehr zivilisierte Italiener gibt, bei Ihnen offenbar als „väterlicher Ratschlag in Sachen politicial correctness“ angekommen ist. Ich meinte es als eine Erinnerung an etwas, was wir alle leicht vergessen: dass es auch das „ganz andere Italien“ gibt. Wenn überhaupt, habe ich nur einen Ratschlag, und der ist nicht „väterlich“, sondern eigennützig: Diskutieren Sie weiter!

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