Fiat hat’s schwer
In Europa tobt ein Glaubenskrieg um die Frage, was die Wettbewerbsschwäche der meisten europäischen Länder verursacht und wie sie zu überwinden ist. Nach einer Lesart sind es die Sicherungssysteme des Sozialstaats und die Kosten und Rigiditäten der Arbeitskraft, die den Rückstand bewirken. Nach der anderen sind es zu geringe Investitionen in Forschung und Entwicklung, in die Qualifizierung der Belegschaften, in die Modernisierung der Produkte und Produktionsprozesse. Dass die deutsche Industrie noch vergleichsweise gut dasteht, wird je nach Glaubensrichtung unterschiedlich erklärt: Für die einen liegt die Ursache vor allem in Schröders Agenda 2010, für die anderen im weitsichtigeren Verhalten deutscher Unternehmer.
In diesem Glaubenskrieg ist der Autokonzern Fiat, das einstige Flaggschiff des italienischen Industriekapitals, eindeutig Partei. Zumal er sich in einer Absatzkrise befindet, deren Ursache nicht nur der schrumpfende Markt für Automobile, sondern auch die Rückständigkeit seiner Produkte ist, hinter der eine jahrzehntelange verfehlte Investitionspolitik steht. Aber welches Management gibt dies zu? Es muss seine Ursachen im Fehlverhalten anderer suchen. Früher sah Fiat dieses „Andere“ v. a. in einer Gewerkschaft, der FIOM. Heute hat sich der Kreis der Schuldigen erweitert. Es ist Italien insgesamt.Fiat versus FIOM
Trotz seiner Absatzprobleme ist Fiat ein „global player“. Vor einigen Jahren übernahm die Fiat-Gruppe Chrysler, das auf dem US-Markt wieder schwarze Zahlen schreibt und damit die Bilanz freundlicher aussehen lässt. Gegenüber Italien übt sich Fiat im Spagat: Einerseits betont es sein fortdauerndes Engagement in Italien, andererseits droht es unverhohlen, seine Zelte in Italien und Europa abzubrechen.
Mit dieser Drohung im Rücken führte Fiat in den vergangenen Jahren einen Feldzug gegen die FIOM, die „linke“ Metallgewerkschaft, mit der der Konzern seit 50 Jahren im Dauerclinch liegt. Als sich FIOM 2010 weigerte, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, welche geltende Belegschaftsrechte – Pausen, Streiks – außer Kraft setzt, schloss Fiat diese Vereinbarung nur mit den anderen Gewerkschaften. Und erteilte der FIOM ein Repräsentationsverbot, das 2012, als Fiat aus dem Arbeitgeberverband Confindustria austrat, auf das Gesamtunternehmen ausgeweitet wurde. Juristisch konnte sich Fiat dabei auf Art. 19 des Arbeitnehmerstatuts stützen, der Repräsentationsrechte nur den Gewerkschaften zubilligt, welche die im Unternehmen geltenden Kollektivverträge unterschrieben haben. Gleichzeitig begann Fiat – z. B. im Werk Pomigliano – alle FIOM-Mitglieder aus den Belegschaften herauszusäubern.
Widerstand
Die FIOM wehrte sich und Fiat bekam zu spüren, dass es in Italien noch ein Arbeitsrecht gibt. Die Gerichtsurteile häuften sich, die dem Unternehmen auferlegten, rausgeschmissene FIOM-Mitglieder wieder einzustellen. Dann zog die FIOM auch noch gegen Art. 19 des Arbeitnehmerstatuts vor das Verfassungsgericht. Und bekam Recht: Am 3. Juli erklärte das Verfassungsgericht den Artikel für verfassungswidrig. Der Feldzug von Fiat gegen die FIOM hat seitdem keine Grundlage mehr.
Die Misshelligkeiten für Fiat setzten sich fort. Am 15. Juni hatte die Werksleitung von Fiat-Pomigliano – das Werks, das zuvor von FIOM-Mitgliedern „gesäubert“ worden war – eine Samstagsschicht angesetzt, gegen die die Werksarbeiter, die seit Jahren auf Dauer-Kurzarbeit gesetzt sind, eine demonstrative Mahnwache durchführten. Was die Werksleitung aufs Blut reizte, war das Erscheinen des zuständigen Bischofs, womit die Mahnwache aus Sicht der Öffentlichkeit auch den Segen der Kirche bekam. Der Werksleiter schrieb dem Bischof einen Brief, in dem er ihm vorwarf, sich auf die Seite der „Gewalt“ geschlagen zu haben – mit dem scheinbar versöhnlichen Hinweis, dass ihn wohl die „Mystifikationen“ der Presse zur falschen Parteinahme veranlasst hätten. Worauf dieser in einem Interview antwortete: „Gewalt geht von denen aus, welche die Hoffnung zerstören und keine Arbeit garantieren“.
Boldrinis Absage
Und dann auch das noch: Parlamentspräsidentin Boldrini, vielleicht die klarste Stimme auf der politischen Bühne Italiens, empfing Ende Juni eine Delegation der FIOM und sprach sich für das Recht auf freie Gewerkschaftswahl aus. Als sie daraufhin Fiats Chefmanager Marchionne mit herablassender Kurzfristigkeit zu einer Fiat-Veranstaltung einlud (er habe gelesen, dass sie sich offenbar für „Probleme der Arbeit“ interessiere), ging die Boldrini nicht in die Knie. Sie sagte höflich ab, aber verband dies mit folgender – hinterher veröffentlichter – Bemerkung: „Damit unser Land wieder wettbewerbsfähiger werden kann, ist es notwendig, den Weg der Forschung, der Kultur und der Innovation – der Produkte und der Prozesse – zu beschreiten. Ein Weg, der einem sozialen Dialog und konstruktiven industriellen Beziehungen sicherlich nicht widerspricht. Wir können den Wiederaufschwung nicht dadurch erreichen, dass auch noch ein Wettlauf um den Abbau der Rechte und der Arbeitskosten beginnt“. Jedes Wort ein Wort gegen die bisherige Fiat-Strategie.
Fiat liegt jetzt mit allen im Krieg: mit der FIOM, der Justiz, dem Verfassungsgericht, der Kirche und auch mit der Politik. Der Konzern fühlt sich im Belagerungszustand und reagiert nach bekanntem Muster: „Unter diesen Umständen sind Investitionen in Italien schwierig“. Und fordert von der Politik „mehr Rechtssicherheit“. Von jedem anderen Unternehmen wäre diese Forderung glaubwürdig. Aber nicht von einem Unternehmen, das mehrere Jahre lang versuchte, in seinen italienischen Werken eine Unrechtsordnung zu etablieren.