Die kasachische Affäre

In der Nacht vom 28. auf den 29. Mai stürmt ein schwer bewaffnetes Polizei-Sonderkommando eine Villa im römischen Vorort Casal Palocco und nimmt Alma Shalabayeva und ihre sechsjährige Tochter Alua fest. Zwei Tage später werden beide in ihr Herkunftsland Kasachstan abgeschoben. Die Begründung: Frau Shalabayeva halte sich illegal in Italien auf, habe gefälschte Papiere und sei die Ehefrau eines „gefährlichen kasachischen Terroristen“. Einige Wochen später stellt sich heraus, dass Shalabayeva die Frau des ins Ausland geflohenen kasachischen Oppositionellen Mukhtar Ablyazov ist und über gültige Ausweis- und Aufenthaltspapiere verfügt. Italien hat sie und ihre Tochter unrechtmäßig an den kasachischen Diktator Nasarbajev ausgeliefert, der damit über das perfekte Erpressungsinstrument gegenüber Ablyazov verfügt. In Italien wie im Ausland schlagen die Wellen der Empörung hoch, man fragt sich, wie so etwas passieren konnte. Was herauskommt, ist unglaublich.

Es geschah Folgendes: Am 28. Mai bittet der kasachische Botschafter den Innenminister (Angelino Alfano, PdL) um eine „dringende Unterredung“. Der Minister beauftragt seinen Büroleiter Procaccini, das Gespräch mit dem Botschafter zu führen, und zwar mit dem Hinweis, es handele sich um eine „delikate Angelegenheit“. Der Botschafter erzählt dem hohen Beamten, in der Villa in Casal Palocco verstecke sich ein „gefährlicher Terrorist“, der unverzüglich festgenommen und abgeschoben werden müsse. Es sei Eile geboten. „Daraufhin habe ich die Sache sofort an den Chef der Sicherheitspolizei weitergeleitet“, so Procaccini. Dieser setzt den Polizeiapparat in Bewegung und innerhalb weniger Stunden wird die Villa gestürmt. Ablyazov befindet sich zwar nicht dort, dafür aber seine Frau und sein Kind. Sie werden verhaftet und postwendend ins Flugzeug nach Kasachstan gesetzt.

Was wusste der Innenminister?

Ohne also überhaupt geprüft zu haben, ob die Aussagen des Botschafters der Wahrheit entsprechen, gehorchen die italienischen Behörden dem Botschafter eines undemokratischen Staates, von dem der Europäische Rat erklärt hat, dass er „die Menschenrechte nicht garantiert“. Erst am 12.7. – nachdem Frau Shalabayeva schon längst in den Fängen des Diktators ist – erklärt die italienische Regierung die Abschiebeverfügung für ungültig, nach dem Motto „Oh je, das tut uns aber jetzt leid! Wir haben uns geirrt, kommt nicht wieder vor!“

Alma Shalabayeva mit ihrer Familie

Alma Shalabayeva mit ihrer Familie

Dass der Innenminister aufgrund dieses unglaublichen Vorfalls die politische Verantwortung übernehmen und seinen Hut nehmen muss, ist – eigentlich – selbstverständlich. Alfano denkt nicht daran. Er beteuert, von der Aktion nichts gewusst zu haben und zeigt sich empört: „Ein unerhörter Vorgang! Das muss Konsequenzen haben!“. Köpfe rollen, doch nicht seiner. Der Büroleiter erklärt „freiwillig“ seinen Rücktritt, der Chef der Sicherheitspolizei und ein paar weitere hohe Polizeibeamte müssen auch daran glauben.

Dass der Innenminister nichts davon gewusst habe, klingt nicht nur unwahrscheinlich, sondern wird von seinem Büroleiter direkt dementiert. Er habe den Minister nach dem Gespräch mit dem Botschafter selbst informiert. Lügt der Büroleiter, würde dies bedeuten, dass der Apparat seinem Chef auf der Nase herumtanzt und in hochsensiblen internationalen Angelegenheiten selbstherrlich handelt – vorbei an Gesetz und Verfassung. Eine erst recht beunruhigende Vorstellung und nicht unbedingt eine Empfehlung für den Innenminister. Beunruhigend ist auch der Umstand, dass der kasachische Diktator ein guter Freund Berlusconis ist und Italien in Kasachstan wirtschaftliche Interessen hat: im Öl- und Immobiliengeschäft, beim Ausbau des Verkehrsnetzes und im Bankwesen (Unicredit gehört die kasachische Bank zu fast 100 %).

Zwangskoalition muss erhalten werden

Alfano muss also bleiben. Zumal er nicht nur Innenminister ist, sondern zugleich Generalsekretär der PdL, treuer Diener Berlusconis und als Vizepremier dessen ranghöchster Vertreter in der Letta-Regierung. „Fällt Alfano, fällt auch die Regierung“, erpresst die PdL. Und da nicht nur Ministerpräsident Letta, sondern auch Staatspräsident Napolitano partout vermeiden wollen, dass die Regierung fällt, darf Alfano nicht angetastet werden. Napolitano und Letta befürchten, dass eine Regierungskrise Italien international – wirtschaftlich und politisch – wieder in starke Turbulenzen führen könnte. Sie wollen, dass diese so fragile und problematische „große Koalition“ zumindest noch so lange hält, bis ein paar notwendige Wirtschaftsmaßnahmen und institutionelle Reformen (u. a. die Änderung des „Porcellum-Wahlgesetzes“) auf den Weg gebracht sind.

Also spricht sich der Ministerpräsident im Parlament gegen den von der Opposition (5-Sterne-Bewegung und SEL) eingereichten Misstrauensantrag aus und plädiert für Alfanos Verbleiben in der Regierung, da dieser erstens von der Abschiebeaktion nichts gewusst habe und zweitens die Regierung ansonsten gefährdet würde, was er nicht verantworten könne. Also stimmt Lettas PD – abgesehen von 3 Abgeordneten – gegen den Misstrauensantrag.

Diese Entscheidung rettet zwar zunächst die Regierungskoalition, aber birgt Gefahren: Der Protest innerhalb der PD wird stärker – das Gefühl wächst, dass man sich immer mehr von der PdL unter Druck setzen oder gar erpressen lässt. Matteo Renzi, der Bürgermeister von Florenz, der neuer PD-Leader werden will, nutzt die Gelegenheit, um sein Profil (vor allem gegen Letta) zu schärfen.

Alma Shalabayeva und ihre Tochter Alua wird das politische Gerangel, das ihrer Ausweisung aus Italien folgte, wenig interessieren. Sie hatten gedacht, in Italien – ein demokratisches Land, in dem Rechtsstaatlichkeit herrschen sollte – vor der Verfolgung durch den Diktator sicher zu sein. Sie wurden bitter getäuscht und müssen, anders als Alfano, nun die Konsequenzen tragen. Die Entschuldigungen und Solidaritätsbeteuerungen von offizieller Seite nützen ihnen nichts. Und die im Nachhinein verfügte Rücknahme ihrer illegalen Abschiebung ist nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben ist.

2 Kommentare

  • D. Schnittke

    Wie immer erst einmal herzlichen Dank für den Artikel, in anderen deutschen Medien scheint ja an den Zuständen in Italien kaum Interesse zu herrschen (vermutlich hat man sich darauf geeinigt, dass die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone eine Demokratie bzw ein Rechtsstaat sein MUSS und hält sich mit Berichten deshalb zurück).

    Ich verstehe, dass Sie gerne weiter glauben möchten, dass die Linke in Italien immer noch zu den Guten gehört.
    Was mich aber schon immer wieder verwundert, ist, mit welch unverwüstlichem Optimismus Sie trotz der dargestellten Fakten Sätze wie diesen schreiben können:

    „Sie wollen, dass diese so fragile und problematische „große Koalition“ zumindest noch so lange hält, bis ein paar notwendige Wirtschaftsmaßnahmen und institutionelle Reformen (u. a. die Änderung des „Porcellum-Wahlgesetzes“) auf den Weg gebracht sind.“

    Die sog. Große Koalition ist (meiner Meinung nach) im Moment der Garant dafür, dass Italien das Land bleibt, in dem die großen Parteien(konglomerate) zusammen mit der Mafia und deren jeweiligen regionalen Schwestern (falls man Parteien und Mafia tatsächlich noch voneinander trennen will) ihren Interessen nachgehen können (Wirtschaftsreformen oder die Änderung des Wahlgesetzes – beides wäre längst möglich gewesen – gehen den Beteiligten – sorry – am A…. vorbei).

    Sind dazu Schweinereien vonnöten, so tut man es im Dunklen, geht das nicht (z.B. weil Grillo wöchentlich in seinem Blog auf neue oder alte hinweist) schützt man gern Staatsräson vor (bzw verweist darauf, dass gerade jetzt nicht „die Zeit“ sei, falls man gegen eine Sauerei nicht vorgeht).

    Ein Teil des PD (wenn die anderen sowieso in der Überzahl sind, dann auch die ganze Partei vereint) übernimmt immer mal wieder formelhaft den Part des Bestürzten (um die Wähler bei Laune zu halten), doch einige nicht genannte Abweichler (immer so viele wie nötig) sorgen dann dafür, dass der große empörte Aufschrei der Linken ohne messbare politische Auswirkungen bleibt. Zur Not erfolgt ein Bauernopfer (aber keine Angst, die Herrschaften fallen weich, viele tauchen bald wieder auf, die Italiener lieben schließlich ihre alten Stars).

    Und Matteo Renzi muss sein Profil gar nicht schärfen (jedenfalls nicht innerhalb des PD). Er steht doch längst fest als nächster oder übernächster starker Mann – Traum der Hausfrauen – und wird geschont, solange B. sich irgendwie halten und mit der Auflösung der Kalition drohen kann.

    Es ist wie im guten alten Kasperletheater: Der Kasper und der Räuber (und der Seppl und das Krokodil und auch all die anderen) werden hinter der Kulisse von ein und dem selben gehalten und gespielt, und sie liegen nach der Vorstellung (wenn alle laut geschrien haben und keiner mehr hinguckt) einträchtig zusammen in der Kiste.

  • Hartwig Heine

    Lieber Herr Schnittke, wir halten die Linke weder für das Gute noch für das Böse, sondern bemühen uns gerade auch für die Grautöne, die es zwischen Schwarz und Weiß gibt. Weil wir glauben, nur so die italienische Realität erfassen und die Chance ihrer Veränderung abwägen zu können. Hinter der Auffassung, dass alles nur ein einziges „Kasperletheater“ ist, steckt die in Italien sehr beliebte Theorie von der großen Verschwörung. Die Grillo pflegen muss, weil er nur so seine Politik der Totalabgrenzung rechtfertigen kann. Bitte nie vergessen: Er war es, der die PD in die Koalition mit Berlusconi trieb. Auch bei der Beschreibung seiner Politik kommt man ohne Grautöne nicht aus.

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