Der Showdown läuft
Nach tagelangen Spekulationen, geheimen und offiziellen Konsultationen und Planspielen gewinnen – exakt zwei Stunden vor Beginn des ersten Wahlganges am 29. Januar –
die Kandidaten für das Amt des neuen Staatspräsidenten erste Konturen.
Der PD-Kandidat heißt Mattarella
Matteo Renzi (den einige verdächtigen, den damaligen „Schießbefehl“ gegen Prodis Kandidatur angeordnet zu haben) beschwor diesmal die PD-Vertreter, geschlossen Mattarellas Kandidatur zu unterstützen. Alles andere würde für die PD (und auch für ihn) ein politisches Debakel bedeuten. Bersani, einer der Anführer der Anti-Renzi-Fraktion, hat Renzis Entscheidung gelobt. Und sogar Renzis schärfster PD-interner Kritiker, Pippo Civati, erklärte, er werde zwar in den ersten drei Wahlgängen Prodi wählen, dann aber im entscheidenden vierten Wahlgang Mattarella.
Sergio Mattarella, derzeit Verfassungsrichter, gehörte einst dem linken Flügel der Democrazia Cristiana an. Später war er Mitgründer von Prodis Bündnis „Ulivo“ und auch der neuen PD. Er war fünfmal Minister in rechten sowie linken Regierungen (Andreotti, D‘ Alema). Sein Bruder Piersanti, der einmal Siziliens Regionalpräsident war und gegen die Verstrickungen von Mafia und Politik kämpfte, wurde 1980 von der Mafia ermordet. Mattarella gilt als integer und unabhängig. 1990 trat er aus Protest von seinem Amt als Erziehungsminister in der Andreotti-Regierung zurück, als ein Gesetz verabschiedet wurde, das Berlusconis privaten Fernsehsendern einen Freibrief erteilte und aus Mattarellas Sicht nicht mit dem europäischen Recht vereinbar war .Er ist der „Vater“ eines früher geltenden Wahlgesetzes, das nach ihm „Mattarellum“ genannt wird.
Eigentlich ein respektables Kandidatenprofil. Aber natürlich nicht für Berlusconi. Mattarellas Pluspunkte sind für ihn gerade die Gründe, ihn abzulehnen. Berlusconi würde lieber Giuliano Amato haben, der ebenfalls Verfassungsrichter ist und früher schon einmal Ministerpräsident war, aber aus Craxis Sozialistischer Partei kommt. Amato gilt ebenfalls als profilierter Vertreter der Instutionen, gehört aber zu der Sorte italienischer Politiker, die Machtspielchen und Intrigen nicht abgeneigt sind. Sein politischer Ehrgeiz ist sicherlich ausgeprägter als der von Mattarella, was Renzi nicht gefallen kann, weil er in ihm einen stärkeren Gegenspieler sehen muss, der sich auf seine Kosten profilieren könnte. Dies könnte auch der Grund sein, warum Renzis parteiinterne Kritiker – allen voran D‘ Alema, aber auch Bersani – zunächst die Kandidatur Amatos favorisierten. Für seine persönliche Interessen (Strafverfahren und Unternehmen) erhofft sich Berlusconi vom wendigen und kompromisserfahrenen Amato eher ein offenes Ohr als vom strengen Mattarella.
Das Wahlverfahren und der erste Wahlgang
Laut Verfassung ist für die ersten drei Wahlgänge eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Erst ab dem vierten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit. Die Wahlversammlung besteht aus den Mitgliedern der Abgeordnetenkammer und des Senats sowie aus Regionalvertretern, insgesamt 1009 Wahlfrauen und -männern. Somit wären für die Wahl in den ersten drei Wahlgängen 673 Stimmen, im vierten Wahlgang nur noch 505 Stimmen erforderlich.
Allein die PD verfügt über 450 Stimmen – wenn alle dem Vorschlag ihres Generalsekretärs folgen. Auch Vendolas SEL und die Abgeordneten, die Grillos M5S verlassen haben, erklärten, Mattarellas Kandidatur im vierten Wahlgang zu unterstützen.
Entscheidung m vierten Wahlgang?
Für die ersten drei Wahlgänge, bei denen eine qualifizierte Mehrheit erforderlich wäre, lautet jetzt die Ansage sowohl von Renzi als auch von Berlusconi: Stimmenthaltung. Renzi signalisierte damit sowohl seinen internen Kritikern als auch Berlusconi, dass er seinen Kandidaten im vierten Wahlgang – notfalls – auch mit einfacher Mehrheit durchsetzen will. Berlusconis Leute wollen sich noch nicht festlegen und warten ab, wie sich die Wahl entwickelt und ob es noch Spielräume für Alternativen gibt. Manche PD-Vertreter munkeln, Berlusconi werde im letzten Moment doch auf Mattarella umschwenken, wenn er den Eindruck gewinnt, dass dessen Wahl unvermeidlich ist. Ausgeschlossen ist das nicht, denn er möchte politisch nicht als Verlierer dastehen und es sich auch nicht persönlich mit dem neuen Präsidenten verscherzen. In diese Richtung scheint auch Fedele Confalonieri, der Vorsitzende von Berlusconis Mediaset-Unternehmen, Druck auf seinen Chef auszuüben. Bisher allerdings erklären Berlusconi und die FI-Vertreter, sich auch im vierten Wahlgang der Stimme enthalten und Mattarella nicht mitwählen zu wollen. Denn diesen Vorschlag habe Renzi im Alleingang eingebracht und damit faktisch den sog. „Nazareno-Pakt“ aufgekündigt („Nazareno“ bezeichnet den römischen Sitz der PD, in dem erstmalig Renzi und Berlusconi Absprachen über eine Zusammenarbeit bei den institutionellen Reformen trafen).
Die ersten drei Wahlgänge sind also ein „Vorgeplänkel“, bei denen sich PD und FI zunächst enthalten und andere Gruppierungen für sog. „candidati di bandiera“ („Schaukandidaten“) stimmen. Die Grillini haben sich in einer Netzumfrage, an der sich ca. 50.000 „zertifizierte“ Mitglieder beteiligten, mit 32 % für einen ehemaligen Antimafia-Richter namens Imposimato entschieden. SEL wird die betagte Manifesto-Gründerin Luciana Castellina und die Ultrarechte (Lega und Fratelli d‘ Italia) den erzreaktionären Journalisten Feltri wählen.
Der erste Wahlgang am heutigen Donnerstag bestätigte die Erwartungen: 538 Enthaltungen (PD und FI), 33 ungültige Stimmen, 120 für Imposimato (Grillos Leute), 49 für Feltri (Lega und Fratelli d’Italia), 37 für Castellina (SEL) und noch ein paar weitere Stimmen für andere – Prodi, Rodotà, die frühere EU-Kommissarin Bonino. Mit anderen Worten: Bisher ist nichts entschieden.
Am Wochenende könnte die Entscheidung fallen.