Der Freispruch
Wie es Berlusconi sieht: Verschwörung und Opferlamm …
Die göttliche Vorsehung hat ihn eigentlich dazu ausersehen, der Retter Italiens zu sein. Zumindest bis 2010. Das Land blühte, das Volk liebte ihn, die größten Staatsmänner dieser Erde buhlten um seine Freundschaft. Aber wo so viel Licht ist, da ist auch Schatten, und in dem versammelten sich die roten Neider, die überlegten, wie sie das edle Wild zur Strecke bringen konnten. 2010 hielten sie den Moment für gekommen, um konzentrisch anzugreifen. Politisch begannen der Verräter Fini und der Kommunist Napolitano, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Wirtschaftlich wollten sie ihn mit ungerechten Schadensersatzleistungen (Mondadori) zugrunde richten und mit dem uferlos steigenden „Spread“ seine Inkompetenz beweisen. Und schließlich sollte er auch noch juristisch erledigt werden. So erfanden die roten Staatsanwälte 1) eine „Steuerhinterziehung“ (Fall Mediaset), derentwegen ihn rachsüchtige Richter nach drei Instanzen zu einem Jahr Sozialdienst verurteilten. Und 2) die angebliche Begünstigung der Prostitution Minderjähriger (Ruby-Prozess) – weil er manchmal abends noch die Jugend und wichtige Persönlichkeiten um sich versammelte, um sie zu unterhalten und sich nach dem harten Tagesgeschäft zum Wohle des Landes ein wenig zu zerstreuen. Da sei es um Sex gegangen, behaupteten die Staatsanwälte, und unter 18 seien einige der dazu geladenen Mädchen auch noch gewesen. Letzteres habe niemand gewusst, so Berlusconi, und außerdem waren es „elegante Soirees“. Dann war da noch die Anklage wegen „erpresserischer Nötigung“, weil Berlusconi selbst nachts in einer Mailänder Polizeiwache anrief, um die sofortige Freilassung der dort sistierten Ruby zu erreichen, angeblich um ihre polizeiliche Vernehmung zu verhindern. In Wahrheit war es ein Akt väterlicher Güte. Und wenn er bei dem Telefonat dem Polizeikommissar erklärte, es handele sich bei Ruby um die „Nichte Mubaraks“, so tat er es im guten Glauben.
… und zieht sich trotzdem raus
So sieht es Berlusconi, so sehen es seine Anhänger. Es ist ein Wahnsystem disparater Ereignisse, deren gemeinsamer Nenner die rote Verschwörung gegen das gutherzige Opferlamm ist. Wie jedes Wahnsystem wird es durch keine Realität widerlegt. Das Kassationsgericht hat am 10. März entschieden, dass Berlusconis Freispruch zu Recht erfolgte? Dann bestätigt es die große Verschwörung. Hätte es den Freispruch Berlusconis aufgehoben, hätte es nur bewiesen, dass es selbst an ihr beteiligt ist.
Und auch das Opferlamm bleibt. Die „Huffington Post“ berichtet, wie nach dem Freispruch Berlusconis Vertraute über das „enorme Ereignis“ jubilierten, „die Ära der Verfolgung ist zu Ende“. Worauf Berlusconi geantwortet habe: „Wer entschädigt mich jetzt für all die verlorenen Jahre? Für das, was ich erlitten habe, für all den Schmutz und politischen Schaden?“ Und für die Auslagen, die er deshalb außer den Rechtsanwaltskosten hatte, möchte man hinzusetzen. Denn inzwischen ist aktenkundig, dass Berlusconi die Mädchen, die er auch als Gerichtszeuginnen für den „eleganten“ Charakter seiner „Soirees“ brauchte, zwischen 2010 und 2014 mit summa summarum über 5 Mio. Euro, im Einzelnen mit Zahlungen zwischen 50.000 und 400.000 Euro beglückte. Natürlich nicht, um sie in dem 2010 begonnenen Ruby-Prozess zum Stillschweigen zu verpflichten, sondern aus Freundschaft und Verantwortungsgefühl. Die missgünstige Staatsanwaltschaft sieht das anders, weshalb sie schon vor einiger Zeit ein weiteres Verfahren wegen Zeugenbestechung („Ruby ter“ = „Ruby 3“) gegen Berlusconi eröffnete. Auch das hofft sich nun Berlusconi mit dem Freispruch vom Halse geschafft zu haben, denn „wie kann es Zeugenbestechung geben, wo es doch gar kein Vergehen gab?“ Darin steckt zwar ein Zirkelschluss, aber vielleicht kommt er damit durch.
Das (fast) ungeschorene Opferlamm
Alles in allem scheint über Berlusconis Justizangelegenheiten neuerdings ein guter Stern zu schweben. Es gab Zeiten, in denen viele glaubten, der größte „Hammer“ sei für ihn noch im Anrollen, in Gestalt des begonnenen Verfahrens wegen Abgeordnetenkaufs. Der geschah zwischen 2006 und 2007, als die damalige Regierung Prodi im Senat nur über eine knappe Mehrheit verfügte und Berlusconi den zur Koalition gehörenden Senator De Gregorio mit 3 Mio. Euro zum Seitenwechsel brachte. Die Beweislage scheint klar, denn der Kronzeuge der Anklage ist der Bestochene selbst, der sich gegenüber der Staatsanwaltschaft offenbarte. Der Pferdefuß ist die unerträgliche Langsamkeit der italienischen Justiz: Da das Verfahren in einem halben Jahr verjähren wird, hat es nach Meinung aller Experten keine Chance, über alle Instanzen hinweg zum Abschluss gebracht zu werden. Könnte die bevorstehende Justizreform nicht die Verjährungsregeln ändern? Die gute Nachricht: Sie könnte. Die schlechte: Es darf keine Auswirkungen auf laufende Verfahren haben, zu denen auch Berlusconis Abgeordnetenkauf gehört. Auch das gehört zum heiligen Rechtsgrundsatz: im Zweifel für den Angeklagten. So hat der reiche Mann mit seinen Gesetzen „ad personam“ doch noch allen ein Schnippchen geschlagen.