RAI: ein nicht gehaltenes Versprechen
Als der frisch zum Ministerpräsidenten gekürte Renzi noch den jugendlichen Helden gab, der im Blitzverfahren Italien reformiert, versprach er unter anderem die Reform des öffentlichen Fernsehens. Auch dort werde „die Zukunft ankommen, ohne die Befehle der Parteien“. Er, so verkündete er, werde das Fernsehen „dem Land“ und „den Bürgern zurückgeben“.
Vorletzte Woche fand die Neuwahl des 7-köpfigen Verwaltungsrats statt, der in den nächsten drei Jahren maßgeblichen Einfluss auf die Programmgestaltung und Personalpolitik des staatlichen Fernsehens (RAI) haben wird. Man war Zeuge, wie es wieder die großen Parteien waren, die das Fell des Bären unter sich verteilten und ihre Vertreter nach Proporz in den Rat entsandten: drei die PD, zwei die FI, je einen Zentrum und M5S (plus SEL). Die neue Präsidentin des Gremiums ist zudem das Ergebnis eines „Maxi-Inciucio“ (Super-Mauschelei) zwischen Renzi und Berlusconi, die in diesem Punkt wieder zu alter Kooperation fanden.
Also alles wie gehabt. Als es angesichts seiner ursprünglichen Versprechen ein paar kritische Kommentare gab, entschuldigte sich Renzi damit, dass das Parlament ja immer noch die endgültige Verabschiedung der von der Regierung eingebrachten RAI-Reform blockiere, die Neuwahl des Verwaltungsrats aber jetzt fällig sei. Das hätte zwar nicht ausgeschlossen, auch schon jetzt die Logik des Parteienproporzes zu durchbrechen, indem z. B. die PD ihre Kandidaten nur noch nach Kompetenz und nicht mehr nach Parteizugehörigkeit auswählte. Aber daran dachte sie nicht im Traum. Über diesen Schatten sprangen nur die Grillini: Sie benannten einen Kandidaten namens Carlo Freccero, der auch zu ihnen kritische Distanz hält, aber für unabhängige Professionalität steht. Er wird aber nur einer von sieben sein.
Erbe der Democrazia Cristiana
Die Herrschaft der Parteien über das Fernsehen, eine der großen Rückständigkeiten Italiens, ist ein Erbe jahrzehntelanger Dominanz der Democrazia Cristiana. In den 80er Jahren bestand der Fortschritt darin, dass es zu einer Parzellierung („Lotizzazione“) des direkten politischen Durchgriffs kam: RAI 1 wurde Domäne der DC, RAI 2 der Sozialisten, RAI 3 der Linken (deren Telegiornale noch heute Bianca Berlinguer moderiert, eine seriöse Journalistin, aber auch die Tochter des historischen KPI-Führers Enrico Berlinguer). Mit dem politischen Aufstieg des Medienmoguls Berlusconi und dem Übergang zum politischen Bipolarismus wurde die RAI zur Kriegsbeute der jeweils regierenden Koalition. Obwohl Berlusconi fast alle Privatsender besitzt, dehnte er nun sein Imperium auch verstärkt auf das staatliche Fernsehen aus: seichte Unterhaltung nach dem Muster seiner Privatsender, gefilterte Nachrichten, Versorgung seiner Gespielinnen. Wo ihm Moderatoren wie Bruno Vespa als servile Stichwortgeber dienten.Der Wahlmodus
Die Abhängigkeit des öffentlichen Fernsehens von der Politik beginnt beim Verfahren, mit dem der Verwaltungsrat der RAI gewählt wird. Während in Deutschland die Rundfunkräte, welche die Verwaltungsräte der Fernsehanstalten wählen, ein breites gesellschaftliches Spektrum repräsentieren sollen, in dem die Vertreter der Politik in der Minderheit sind, übernimmt dies in Italien ein rein politisches Organ: die „Commissione di Vigilanza“ (zu Deutsch etwa: Kontrollkommission), die aus ca. 40 Abgeordneten beider Kammern besteht. Auch in Deutschland funktioniert das Dominanzverbot für die Politik nicht immer. Man erinnert sich an den Rauswurf des Journalisten Brender aus dem ZDF, der bei der CSU in Ungnade fiel. Aber in Italien ist der Durchgriff der Politik auf das öffentliche Fernsehen noch viel unmittelbarer.
Wer an die Notwendigkeit einer „Vierten Gewalt“ in Gestalt einer nicht manipulierten öffentlichen Diskussion glaubt, für den ist dieser Zustand unhaltbar. Für viele Italiener ist das Fernsehen immer noch die wichtigste, für einen nicht unbeträchtlichen Teil sogar die einzige Informationsquelle. Seine Unabhängigkeit wird gleich von zwei Seiten her angegriffen: Erstens von einem Medienmogul, der einen Großteil der Meinungsbildung monopolisiert und dies unmittelbar in politische Macht ummünzt (es gibt keine Regeln für den darin enthaltenen Interessenkonflikt). Und zweitens durch den Kurzschluss Politik – Staatsfernsehen.
Keine wirkliche Reform
Renzi erweckte einst die Hoffnung, dies ändern zu wollen. Aber in Wahrheit tasten auch seine Reformpläne die Politikabhängigkeit des Fernsehens nicht an. Im Unterschied zur bisherigen Regelung soll zwar der (vom Verwaltungsrat gewählte) RAI-Generaldirektor zum „Geschäftsführer“ befördert werden, mit etwas mehr Autonomie bei der Programmgestaltung und Personalpolitik gegenüber dem „politischen“ Verwaltungsrat. Abgesehen davon, dass nun auch die Belegschaft einen Vertreter in den Verwaltungsrat entsendet, soll der Rat weiterhin direkt von Parlament und Regierung gewählt werden. Der unmittelbare Durchgriff bleibt.
Der Direktor des noch relativ unabhängig privaten Fernsehsenders „La7“, Enrico Mentana, erklärt dies so: „Für die Politik ist es absolut widernatürlich, sich vom Staatsfernsehen zu trennen… Das kann man von Politikern nicht verlangen, auch von Renzi nicht“. Bei allen Vorbehalten gegenüber der 5-Sterne-Bewegung: Sie ist die einzige politische Kraft, die es verlangt. Dass sie sich trotzdem am Geschacher über den neuen Verwaltungsrat beteiligte, war ein Sprung über den eigenen Schatten. Aber so konnte sie einen Kandidaten präsentieren, der in seiner Person die politische Unabhängigkeit antizipiert, die für die gesamte RAI zu fordern ist.
Während das reformerische Format Renzis wieder um ein gutes Stück geschrumpft ist.