Partei der Wohlhabenden und Rentner
Dass die PD bei der Wahl in März eine krachende Niederlage erlitten hat, ist bekannt. Mit 18,7% büßte sie gegenüber dem bereits bescheidenen Ergebnis von 2013 (25,5%) etwa 7% ein. Und im Vergleich zu der Europawahl 2014 (40%) ist sie mehr als halbiert.
Interessanter noch als das Gesamtergebnis sind aktuelle Analysen, die Einblicke auf Gewinne und Verluste differenziert nach sozialem Status, Wohnort und Alter bieten. Sie zeigen, dass die PD in einigen Gegenden durchaus (mitunter kräftig) zugelegt hat, und zwar in den bürgerlichen Vierteln großer und mittelgroßer Städte. In städtischen Randbezirken mit hohem Anteil an Lohnabhängigen, Handwerkern und kleinen Angestellten, die früheren zu ihrer Hochburgen zählten, hat die PD an Zustimmung verloren oder das Ergebnis nur mühsam gehalten. Kräftig zurückgegangen oder fast verschwunden ist sie in Kleinstädten und ländlichen Gegenden, vor allem in Süditalien, wo die Anzahl von Arbeitslosen, prekär Beschäftigten und Familien unter der Armutsgrenze sehr hoch ist.
PD punktet in Reichen-Vierteln
Besonders die Ergebnisse in den Stadtbezirken der Großstädte zeigen, wie ausgeprägt der Wandel der PD-Wählerschaft ist. Im historischen Zentrum von Mailand, wo das wohlhabende Bildungsbürgertum dominiert, erreichte die PD über 30% (zusammen mit der Liste „Mehr Europa“ von Emma Bonino sogar 49%); in der Peripherie hingegen bleibt sie durchweg unter 20%. Ähnlich sieht es in Turin (der einst „roten Hochburg“) und in Genua aus. In Rom erreicht die PD ihr bestes Ergebnis im feinen Reichen-Viertel Parioli (28%), während sie in den armen „Problembezirken“ am Stadtrand bei 17,5% bleibt. Stärkste Partei ist dort die 5SB mit über 30%.Weiter südlich sind die Zahlen noch drastischer: In den „quartieri alti“ Neapels (Vomero, Chiaia und Posillipo) wählen 40% PD, aber nur 9% in dem für Armut und hohe Kriminalität berüchtigten Viertel Scampia. Insgesamt kommt die PD in Kampanien auf nur 14.3%, die 5SB auf 54%. Ähnliche Ergebnisse gibt es in Sizilien und den anderen süditalienischen Regionen.
Die Daten über den sozialen Status und Alter der Wähler bestätigen den Trend. Von den Arbeitslosen wählten 41,6% die 5Sterne, nur 10% die PD. Hohe Zustimmungswerte für die Grillini gibt es auch bei Hausfrauen (die einst mehrheitlich Berlusconi wählten) und Jungwählern. Während die PD nur noch bei den Rentnern einigermaßen beliebt ist (26%).
Die Wahl der Hoffnungslosen
Die PD ist also – zumindest vom Wählerverhalten her zu beurteilen – zu einer Partei von Wohlhabenden und Rentnern geworden. Diejenigen, die sich – besonders im Süden – in einer wirtschaftlich und sozial schwierigen Lage befinden, identifizieren sie hingegen mit Machtmissbrauch, Korruption, Ungerechtigkeit und Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Bürger. Dass die Bilanz der von der PD geführten Regierungen, vor allem im Vergleich zur desaströsen Berlusconis-Ära, differenzierter ausfällt, spielt für diese Wähler keine Rolle. Weder der zaghafte wirtschaftliche Aufschwung noch die Einführung eines „Inklusionseinkommens“ für arme Familien oder die Erweiterung der Bürgerrechte haben dieses Bild geändert. Sie vertrauen lieber den Wahlkampfversprechungen von Di Maio und Salvini, seien sie noch so unrealistisch: Einführung eines „Bürgereinkommens“ (das keines ist), Rückführung aller „illegaler Migranten“ (rechtlich und faktisch undurchführbar), „Raus aus dem Euro, Änderung der EU-Regeln“ (oder vielleicht doch nicht).
Ankündigungen und Versprechungen also, welche Di Maio und Salvini nach der Wahl bereits aufgeweicht bzw. relativiert haben. Für die Wähler dennoch glaubwürdiger als eine PD, die sich mehr damit beschäftigt, sich selbst zu zerfleischen, als mit den Problemen der Bürger. Und die im Kampanien und anderswo aus Machtkalkül Politiker wie den unsäglichen Regionspräsidenten De Luca unterstützt, die ihre Herrschaft mit Korruption und mafiösen Strukturen sichern.
Im Süden kommt zu dem tiefen Frust über die wirtschaftliche Misere, die Perspektivlosigkeit und die Auswüchse von Korruption und organisierten Kriminalität auch ein historisch begründetes und verwurzeltes Misstrauen gegenüber „dem räuberischen Staat“, der den Bürgern das letzte Blut aus den Adern saugt. Dass Regieren überhaupt, ob von rechts oder von links, etwas mit dem Gemeinwohl zu tun hat, gilt dort für die meisten als schlechter Witz. Die hohe Zustimmung zu einer politischen Kraft wie die 5SB, die sich – zumindest vor der Wahl – als „antipolitisch“ und „antisystemisch“ profiliert, hängt auch damit zusammen. Eine Hinwendung, die sich – wie Saviano sagt – weniger aus Hoffnung, sondern eher aus Wut und Hoffnungslosigkeit nährt, was eine Untersuchung des Forschungsinstituts Ixè nach der Wahl bestätigt: Auf die Frage, ob man (für das Land und sich selbst) in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre optimistisch oder pessimistisch sei, antworteten 42% der 5SB-Wähler mit „Pessimistisch“. Nur 22% von ihnen äußerten die Erwartung, dass sich nach der Wahl etwas zum Positiven verändern werde.
Anders im Norden des Landes. Dort hat Salvini vor allem zwei Karten ausgespielt, die ihm den Wahlsieg sicherten: 1) Legitimierung des Rassismus und des Hasses auf „Fremde“, gepaart mit dem Versprechen nationaler Abschottung und 2) Wut auf die EU und den Euro als Ursachen allen Übels, gepaart mit dem trumpschen Versprechen „Prima gli italiani!“.
Auslandsitaliener wählen gegen den Trend
Es gibt einen weiteren Aspekt des Wahlergebnisses, der Beachtung verdient: Die Italiener im Ausland haben ganz anders gewählt als die Wähler in Italien. In den Auslandswahlkreisen (Europa, Südamerika, Nord- und Mittelamerika, Afrika/Asien/Neuseeland) ist bzw. bleibt die PD stärkste Partei, mit einem durchschnittlichen Ergebnis von 27%. Danach kommt das Rechtsbündnis von Lega-FI-FDI mit 22% und erst an dritter Stelle die 5SB mit 17%. Gegen den Trend ist auch das relativ gute Ergebnis von Boninos „Mehr Europa“ mit 8%.
Im europäischen Auslandswahlkreis kommt die PD gar auf 32% (2013: 29,5%). Die 5SB gewinnt ebenfalls an Zustimmung, bleibt aber mit 18% drittstärkste Kraft (2013: 14%). Auch wenn man berücksichtigt, dass nur 1,5 Millionen, d. h. ca. 30% der wahlberechtigten Auslandsitaliener, gewählt haben, stellt sich die Frage nach den Gründen für dieses „gegenläufige“ Verhalten. Eine mögliche Antwort könnte lauten: „Die Auslandsitaliener haben eben keine Ahnung von der Situation in Italien“. Eine nach meiner Meinung zu einfache Erklärung. Einerseits, weil man davon ausgehen kann, dass die 30%, die von ihrem Wahlrecht tatsächlich Gebrauch machen, über das politische Geschehen in Italien nicht weniger informiert sind als viele Wähler in Italien. Und andererseits, weil der „Blick von Außen“ auf die Lage und die Entwicklung in Italien ein anderer – der vielleicht offenere – ist. Weil man Vergleichsmöglichkeiten mit der Situation in den Ländern hat, in denen man lebt, und weil die Migrationserfahrung das Bewusstsein der Bedeutung internationaler und europäischer Zusammenhänge fördert. Während die verengte nationalistische Sicht (Abschottung, weg mit Migranten, Italiener zuerst) schon aufgrund der eigenen Lebenserfahrungen auf größere Skepsis stößt.
Ein vielleicht noch wichtigerer Grund mag sein, dass sich die meisten Auslandsitaliener, die an der Wahl teilnehmen, zumindest in Europa in einer relativ stabilen sozialen und wirtschaftlichen Lage befinden. Sie haben eine Arbeit oder können auf soziale Sicherungssysteme zurückgreifen, die in der Regel besser funktionieren als in Italien. Der Drang, aus Protest eine „antisystemische“ Partei zu wählen, was sich auch auf europäische Zusammenarbeit und Euro negativ auswirken könnte, ist geringer. Wenn das zutrifft, würde das Wahlergebnis der PD im Ausland durchaus zu den Wahlergebnissen in den „sozial abgesicherten“ Vierteln italienischer Großstädte passen.
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Die beste Wahlanalyse die ich nach dem 4. März gelesen habe! Sie stimmt auch überein mit den Ergebnissen in Ferrara. Hier kommt allerdings noch ein großer Skandal mit der Stadtsparkasse hinzu. Das Desaster von Fransceschini war allerdings in der Eindeutigkeit nicht vorhersehbar. Aber wer interessiert sich in Zeiten des grassierenden Radikalpopulismus noch für ‚la cultura‘?!
Sicherlich eine treffende Analyse hinsichtlich der schichtspezifischen Wählerstimmenverteilung, aber auch mit Verlaub recht deskriptiv an der Oberfläche kratzend.
Die PD hat mit Renzi und im Grunde genommen schon einige Zeit vorher einen Weg ähnlich „New Labour“ eingeschlagen. Hauptgesichtspunkt dieses „Terza Via“ ist die Betrachtung des Arbeitsmarktes ähnlich einem gewöhnlichen Gütermarkt ohne Angebots- und Nachfrageanomalien und des weiteren ganz grundsätzlich das Zurückdrängen der Staatsquote, koste es, was es wolle. Dieses Zurückdrängen und die euphemistisch als Flexibilisierung des Arbeitsmarktes Zerschlagung von Arbeitsrechten oder das Drücken der Lohnquote wird das Land keinen Deut voran bringen.
Ich schätze Ihre Seite sehr, aber was mir sehr missfällt, ist der manchmal doch naserümpfende „Unterton“, mit denen all die quasi etikettiert werden, die nicht mehr bereit sind, den Glücksversprechen der inzwischen nur noch pseudo-sozialdemokratisch zu nennenden Parteien wie der SPD, PD etc. hinterherzurennen. Das diese Menschen zum Teil Protestparteien wie der M5S oder noch schlimmer, den rechten Rassisten in die Hände fallen, ist eine Katastrophe, aber gerade ihre soziologische Herkunft sollte ihnen ins Gewissen reden, dass es es wichtig ist, zu verstehen, was diese Menschen antreibt, sich diesen einfachen wie falschen Lösungen anzuschließen. (Bourdieu hat dies in „La Misère du monde“ getan, ohne in den Habitus des Akademikers mit Generalstabssicht zu verfallen!)
Korrektur: „Dieses Zurückdrängen und die euphemistisch als Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bezeichnete Zerschlagung von Arbeitsrechten oder das Drücken der Lohnquote wird das Land keinen Deut voran bringen.“