Die Schwächen der Großunternehmen in Italien
Vorbemerkung: Der folgende Beitrag ergänzt den vom 20. Juli 2018: „Die Misere der italienischen Wirtschaft“. Ich hatte dort argumentiert, dass vor allem innere Strukturprobleme – und weniger der Euro oder die Austeritätspolitik der EU – die Stagnation der italienischen Wirtschaft, ihre niedrige Produktivität, das unterdurchschnittliche Wachstum und ihr Zurückbleiben gegenüber den meisten EU-Ländern verursachen. Der Süden (das „zweite“ Italien) ist davon besonders betroffen, er fällt – auch im inneritalienischen Vergleich – weiter zurück. Die in den 1970er Jahren auf die mittelständischen Unternehmen im Nordosten und in der Mitte (das „dritte“ Italien) gesetzten hohen Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Der Norden (das „erste“ Italien) steht immer noch ziemlich gut da, seine wirtschaftliche Stärke strahlt aber kaum auf das übrige Land aus. Meine These war, dass der in Italien besonders große Sektor kapitalschwacher und konservativ geführter Klein- und Kleinstunternehmen eine Ursache für die wirtschaftliche Schwäche Italiens ist. Als andere Ursache nannte ich das Versagen des Staates: im Bildungs- und Ausbildungswesen, beim Ausbau der Infrastruktur und der Wirtschafts- und Innovationsförderung; die Ineffektivität der Verwaltung und der Justiz sowie die Korruption.
Nur am Rande erwähnt wurden die Großunternehmen, die im Folgenden fundierter und differenzierter behandelt werden sollen.
Was ein „Großunternehmen“ ist, kann recht unterschiedlich definiert werden: nach der Zahl der Beschäftigten, nach dem Umsatz, nach dem Ertrag; ich orientiere mich an der Zahl der Beschäftigen: mehr als 700 bis 800; mitunter entnehme ich Daten aus italienischen Untersuchungen über die 200 größten italienischen Unternehmen des gewerblichen Sektors.
Zum Stichwort „italienische Großunternehmen“ fallen einem sofort bekannte Namen ein: Fiat, Pirelli, Olivetti, Benetton, Barilla, Parmalat, die Energiekonzerne ENI und ENEL, Assicurazioni Generali, Unicredit. Allerdings finden sich unter den 50 größten und profitabelsten Unternehmen in der EU nur drei italienische: ENI, ENEL und Generali – neben je 12 bzw. 10 deutschen, französischen und britischen. (Fiat/Chrysler zählt inzwischen als britisch-niederländisches Unternehmen, es macht nur noch 28% seines Umsatzes in Italien, ist aber in Italien natürlich ein Großunternehmen).Für eine genauere Betrachtung muss man drei Gruppen von Großunternehmen unterscheiden: die ausländischen (bzw. ausländisch kontrollierten), die italienischen (meist familienkontrollierten) und die staatlichen (bzw. staatlich kontrollierten).
Ausländische Unternehmen in Italien
Die späte, nachholende Industrialisierung Italiens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde wesentlich von ausländischen großen Unternehmen und ihrem Kapital, ihrem modernen Management sowie ihren qualifizierten Fachleuten getragen. Sie dominierten die Textil-, die Eisen- und Stahlindustrie, die Chemie, die Energiewirtschaft, später auch die Massenkonsumgüterproduktion. Ihre Bedeutung für den produzierenden Sektor ist bis in die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger kontinuierlich gestiegen: bis auf 40% der größten 200 Unternehmen im Jahr 2001. Vor allem nach dem 2. Weltkrieg haben sie wesentlich zum italienischen Wirtschaftswunder beigetragen. Seit der Jahrtausendwende lässt allerdings der Zufluss ausländischen Kapitals deutlich nach, teilweise wird es sogar abgezogen.
Private italienische Großunternehmen
Der Anteil der in italienischem Eigentum stehenden großen Unternehmen ist seit den 1930er Jahren kontinuierlich gefallen. Im produzierenden Sektor lag er unter den 200 größten Unternehmen Italiens 1930 noch bei 50%, zu Beginn der 1990er nur noch bei 21%, nach den Privatisierungen der Staatsunternehmen der 1990er Jahren bei ca. 30%. Spezifisch für Italien ist nicht der hohe Anteil von Großunternehmen in Familieneigentum (das gilt für fast alle Länder), sondern die Tatsache, dass die Mehrzahl auch von Familienangehörigen geführt wird. Derartig geführte Unternehmen zeichnen sich (auch in anderen Ländern) aus durch eine Abneigung gegen die Hereinnahme von fremdem Kapital (infolgedessen der Abhängigkeit von Bankkrediten) sowie in Krisensituationen durch vorsichtige, defensive Strategien der Sicherung des Familienvermögens anstelle offensiver Restrukturierungen. In allen Ländern haben so geführte Unternehmen die Krise nach 2008/09 schlechter bewältigt als durch familienfremde Manager geführte. Soweit in Italien private Unternehmen im Zuge der Privatisierungen der 1990er vormals staatliche Unternehmen erworben haben, sind davon bisher wenig innovative Impulse ausgegangen. Selbstverständlich gibt es auch eine Reihe durchaus erfolgreicher großer Familienunternehmen in Italien.
Der Staatssektor
Für die wirtschaftliche Dynamik Italiens waren seit den 1930er Jahren (neben den ausländischen) die staatlichen und staatlich kontrollierten Unternehmen entscheidend. Anfang der 1930er Jahre ging es unter Mussolini zunächst nur um Krisenbewältigung, als der Staat die großen von Insolvenzen bedrohten Banken mit ihren Industriebeteiligungen und Unternehmenskrediten übernahm. Die meisten Unternehmen blieben formal privat und sollten später wieder an Private abgegeben werden. Dafür fehlte es dann jedoch an inländischem Kapital; zudem entwickelten sich die staatlichen Beteiligungen zunehmend zu einem Instrument der Autarkie- und Aufrüstungspolitik. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Staatsbeteiligungen ausgeweitet und zur Basis einer umfassenden Modernisierungsstrategie, die von dem einheimischen privaten Sektor nicht zu erwarten war. Es wurde nicht nur staatliches Kapital eingesetzt (und ein erheblicher Teil der Mittel des Marshall-Planes), sondern auch – unter Rückgriff auf amerikanische Vorbilder und Hilfen – modernes Management gefördert sowie technische und organisatorische Rationalisierung, Ausbildung und Forschung und Entwicklung. Dieser staatliche Sektor trug wesentlich zum italienischen Wirtschaftswunder bei. Mit Beginn der 1970er geriet er allerdings in Schwierigkeiten: hohe Verschuldungen trotz der staatlichen Kapitalzuflüsse (die wesentlich zu der hohen Staatsverschuldung beitrugen), abnehmende Effizienz – u.a. infolge mangelnder Qualifikation des von politischem Klientelismus beherrschten Managements. Dennoch wuchs der öffentliche Sektor bis zum Beginn der 1980er weiter, weil die Regierungen in die Krise geratene Unternehmen durch öffentliche Kapitalbeteiligungen retteten (auch dann, wenn sie eigentlich kaum zu retten waren). Anfang der 1980er erreichte der öffentliche Sektor im produzierenden Gewerbe mit 30% der größten 200 Unternehmen seinen historischen Höchststand. Eine staatliche industriepolitische Strategie stand jedoch – anders als in den 1950er Jahren – nicht dahinter. Schuldenfinanzierte Rettungen durch den Staat waren der bequemste Weg, sie gingen innergesellschaftlichen Konflikten und Protesten aus dem Weg.
Die Wende kam dann Anfang der 1990er Jahre. Die öffentliche Empörung über den Klientelismus und die Korruption im öffentlichen Sektor war ein Hauptgrund für den Zusammenbruch des alten Parteiensystems. Seitdem fuhren die Regierungen der „zweiten Republik“ die staatlichen Kapitalbeteiligungen zurück, der Anteil der öffentlich kontrollierten Unternehmen liegt seit der Jahrtausendwende nur noch bei etwas über 10%. Die von wirtschaftsliberalen Ideologien genährte Hoffnung, die Kräfte des Marktes würden zu einer Wende in der italienischen Wirtschaft führen, hat sich bisher allerdings nicht erfüllt. Das liegt zum einen daran, dass es an einer die Privatisierungen flankierenden staatlichen Industrie- und Infrastrukturpolitik fehlt; zum anderen hält sich das Interesse inländischer und ausländischer Kapitalgeber in Grenzen. Erfolgreich waren die (Teil-)Privatisierungen bei den Großkonzernen der Energiewirtschaft (ENI und ENEL). Ob die Rückführung von privatisierten Unternehmen in Staatseigentum sinnvoll wäre, wie sie von DiMaio nach dem Brückeneinsturz in Genua (noch bevor die Ursachen und Verantwortlichkeiten geklärt sind) gefordert wird, darf nach den Erfahrungen mit dem italienischen Staatssektor bezweifelt werden.
Ungewisse Perspektiven
Größe an sich ist keine Garantie für Effektivität, Großkonzerne tendieren vielfach zu Bürokratisierung und Routine. In vielen Ländern erwerben Großkonzerne inzwischen innovative Ideen von start-ups. Dieser Sektor ist in Italien klein, nicht zuletzt, weil internationales Risikokapital Italien meidet: Nur 2% des davon in der EU angelegten landet hier. Zudem setzt die Übernahme beim Großunternehmen ausreichendes Kapital und vor allem strategisches Denken und Risikobereitschaft voraus.
Italien hat im produzierenden Sektor immer noch gute Grundlagen: im Maschinenbau, der chemischen und pharmazeutischen Industrie, in der Lebensmittelbranche, bei Möbeln, Mode und Bekleidung. Die Wirtschaft leidet unter einem schwachen Binnenmarkt und wegen der Produktivitätsmängel vielfach unter Schwierigkeiten im Export. Das Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er beruhte nicht nur auf der staatlichen Industriepolitik, sondern wesentlich auch auf den damals sehr niedrigen Löhnen. Diese Zeiten sind vorbei, doch die erforderliche Umstellung auf die Bedingungen eines Hochlohnlandes ist nur schleppend vorangekommen. Dazu würde eine alle Bereiche erfassende Modernisierung des Managements gehören, besonders auch in den familiengeführten Unternehmen. Und vor allem der Ausbau der Infrastruktur, eine Reform des Bildungs- und Ausbildungswesens sowie eine zielgerichtete öffentliche Politik der Wirtschaftsförderung – daran mangelt es insbesondere wegen der instabilen politischen Verhältnisse. Die dringend notwendige Stärkung der Kapitalbasis der Unternehmen und Banken kann durchgreifend nur durch Zufluss aus dem Ausland gelingen. Der Anteil ausländischer Direktinvestitionen ist jedoch im Vergleich zu anderen EU-Ländern gering. Seit 2013 erlebt das Land sogar einen Nettokapitalexport – ein Zeichen für den Abzug ausländischen und der Flucht inländischen Kapitals ins Ausland (Beispiel Fiat). Die in Italien verbreitete Abneigung gegen den Einfluss ausländischen Kapitals – und ausländischer politischer Instanzen – ignoriert, dass die Bevölkerung massiv unter den Schwächen und Fehlern des inländischen Managements sowie (vor allem) des italienischen Staates und der italienischen politischen Parteien leidet.
Diese kurze und grobe Bestandsaufnahme mag zum Teil richtig sein, an anderer Stelle strotzt sie fast vor Klischees – erweiterte Kenntnisse über Branchen und Sektoren hinsichtlich Wirtschaftsstruktur und Wettbewerbsfähigkeit sucht man auch in diesem Text leider vergeblich und somit liest dieser sich wie einer üblichen Katastrophenszenarien, wie man sie in etlichen FAZ-Artikel oder einem ähnlichem Blatt auch wenn’s gut gemeint ist…
Ein solcher Kommentar ist wenig hifreich und weiterführend. Welche Teile „mögen zum Teil“ richtig sein? Und welche Stellen „strotzen fast von Klischees“? Welche erweiterten Kenntnisse über Branchen und Sektoren würden denn zu anderen Urteilen führen? Dazu bringt der Kommentar nicht einmal die leisesten Andeutungen.
Einem sorgfältigen Leser sollte nicht entgangen sein, dass ich über „Die Schwächen“ der Großunternehmen in Italien geschrieben habe. Um diese spezifische Perspektive zu betonen habe ich auch darauf hingewiesen, dass es durchaus erfolgreiche große Familienunternehmen gibt, dass es erfolgreiche (teil-)privatisierte Staatsunternehmen gibt und dass der produzierende Sektor Italiens immer noch gute Grundlagen hat (die allerdings in der Gefahr sind, verspielt zu werden).
Meine Ausführungen stützen sich auf eine Reihe neuerer Veröffentlichungen italienischer Wirtschaftswissenschaftler zu Geschichte und Gegenwart italienischer Großunternehmen – die auch Vergleiche zu den Verhältnissen in anderen Ländern enthalten.
Der Verweis auf ähnliche Argumentationen in Artikeln der FAZ und solchen in ähnlichen Blättern ist ein allzu billiges Totschlagargument; ein solcher Verweis reicht offenbar dafür aus, sich um konkrete Argumente garnicht mehr bemühen zu müssen.