„Die Migranten sind Teil der Lösung“
Vorbemerkung der Redaktion: Um mehr Einblick in die Symbiose zu bekommen, zu der es inzwischen in Italien zwischen landwirtschaftlichen Kleinbetrieben und Immigranten gekommen ist, haben wir folgendes Interview mit dem Inhaber eines solchen Kleinbetriebs geführt. Den Namen und den Betrieb haben wir anonymisiert.
Bei euch arbeiten gegenwärtig vor allem Inder und Pakistani. Könntet ihr auch ohne sie euren Betrieb halten?
Ohne sie wären wir in großen Schwierigkeiten. Wir wären pleite. Die Banken haben in den letzten Jahren den Klein- und Mittelunternehmen die Kredite gesperrt. Wir hatten keine Liquidität. Da mussten wir Migranten beschäftigen, die bereit sind, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten. Nur so konnten wir uns über Wasser halten. Es ist ja auch in ihrem Interesse, denn wenn die kleinen Landwirtschaftsbetriebe pleite gehen, verlieren sie Arbeitsplatz und Einkommen. Auch schon bevor die Probleme mit den Banken begannen, waren wir auf Migranten angewiesen, da wir sonst nicht konkurrenzfähig wären, wegen der Preise, die wir auf dem Markt erzielen, und wegen der hohen Steuern.
Könntet ihr überhaupt italienische Arbeitskräfte für diese Arbeit finden?
Nicht für solche Löhne, nicht für solche Arbeit. Wir zahlen ihnen jetzt 4 Euro die Stunde, den Italienern müssten wir nach Tarif über 6 Euro zahlen. Doch viele Italiener wollen nicht diese Arbeit in den Gewächshäusern machen, vor allem im Sommer, bei manchmal 45 Grad Hitze. Und wer sich doch dazu bereit erklärt, meldet sich dann in der Erntezeit krank und man muss trotzdem für ihn weiter zahlen.
Haben alle eine Aufenthaltsgenehmigung?
Dafür haben wir gesorgt. Die Regierung legt ja jährlich fest, wie hoch die Quoten für bestimmte Herkunftsländer und bestimmte Berufe sind, z.B. so und so viel Inder oder Marokkaner für die Landwirtschaft. Innerhalb dieses Kontingents können die Arbeiter eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, müssen aber einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen aus der jeweiligen Branche vorweisen. Da beginnt dann unser Part. Es gibt auch Unternehmen, die Illegale beschäftigen. Aber das ist ein Risiko, auch wenn inzwischen das Bossi-Fini-Gesetz geändert wurde, so dass es keine Straftat mehr ist, Illegale zu beschäftigen, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit. Für die Arbeiter ist die Aufenthaltsgenehmigung lebenswichtig, damit sind sie auch krankenversichert.
Beschäftigt ihr sie das ganze Jahr?
Bei uns sind nur drei Arbeiter fest angestellt. Die anderen kommen zu uns bei Bedarf. Das funktioniert so: Wir kennen die Leute und sie kennen uns, wir sprechen sie direkt an. Oder sie kommen auf uns zu. Sie sind selbst oft kleine Selbstständige, z.B. Maurer. Sie bilden selbstorganisierte Pools von Arbeitskräften, gehen in die Betriebe, erkundigen sich nach dem Bedarf, vermitteln auch andere. Einige von ihnen sind so selbständig, dass sie sich schon ein Stück Land gepachtet haben und es jetzt selbst bewirtschaften. Und dafür schon Leute eingestellt haben. Es ist ein flüssiges System, die Rollen wechseln, auch die Gruppen. Zuerst waren es Albaner, dann Marokkaner, dann Inder, Pakistani und Bangladeshi. Demnächst werden es wieder mehr Afrikaner sein.
Wie sieht es mit der Zahlung von Sozialbeiträgen aus?
Da man bei uns ein Recht auf Arbeitslosengeld hat, wenn man mindestens für 105 Tage im Jahr Sozialbeiträge gezahlt hat, vereinbaren wir mit unseren Arbeitern: Wir bezahlen für dich 105 Tage Sozialbeiträge, dafür arbeitest du bei uns beispielsweise 140 Tage. Die Sozialbeiträge sind hoch, nicht alle Unternehmen zahlen sie: 12 Euro pro Tag, plus die Kosten für den Steuerberater. In anderen Gegenden, die nicht wie wir als benachteiligtes Gebiet gelten, liegen sie noch höher, bis 22 Euro pro Tag. Da sagt mancher Arbeitgeber: Ich helfe Dir, die Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, aber um die Sozialbeiträge musst Du Dich selbst kümmern. Oder die Kosten werden geteilt: die eine Hälfte der Unternehmer, die andere der Arbeiter.
Was uns betrifft, zahlen wir also 4 Euro die Stunde, plus Kosten für die Aufenthaltspapiere, plus Sozialbeiträge für 105 Arbeitstage im Jahr. Eigentlich arbeiten sie im Winter nicht, aber de facto versuche ich, ihnen auch in dieser Zeit ein paar kleine Arbeiten zu geben, z.B. Einkäufe, kleine Reparaturen. Und wenn ich selbst keine Arbeit habe, frage ich Bekannte, so dass sie ihren Lohn auch im Winter bekommen.
Ist das Ausbeutung? Oder ist es ein Arrangement auf Gegenseitigkeit?
Wie viel Stunden arbeiten sie am Tag?
Wenn es nach ihnen geht: Je mehr, desto besser. Meist bis zu 10 Stunden am Tag, mit 2-3 Stunden Mittagspause. Es sind nicht die Unternehmer, die das verlangen, das sind sie selbst. Auch am Sonntag. Nur wer schon länger hier ist, wer schon integriert ist, der sagt: „Nein, Sonntag nicht, da will ich in die Moschee“.
Wie wohnen sie?
Sie mieten Wohnungen, in denen sie zu viert oder fünft, manchmal auch zu sechst oder mehr wohnen. Ich helfe bei der Wohnungssuche. Sie ziehen auch häufig um, je nach Bedarf und Arbeitsangebot. Der Arbeitsmarkt ist sehr beweglich , also sind die Arbeiter mobil. Aber wir bleiben in Kontakt. Die meisten von ihnen sind alleinstehend. Einige haben inzwischen die Familie nachgeholt, das sind diejenigen, die schon lange hier sind und meist an ein Unternehmen gebunden sind.
Wie kommen sie hierher?
Genau weiß ich das nicht. Ich weiß, dass die Inder für die Reise im Normalfall mindestens 8.000 Euro aufbringen müssen. Die müssen sie sich in ihrer Heimat leihen, und wenn sie hier sind, müssen sie das in Raten zurückzahlen, ansonsten werden ihre Familien in Indien umgebracht. Die Familien sind die Garantie. Soviel ich weiß, müssen die Bootsflüchtlinge alles sofort bezahlen. Wie der Grenzübergang bei den Indern funktioniert, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wie das mit der Bezahlung funktioniert, das haben sie mir erzählt.
Sind für dich die Migranten also eine Ressource für die italienische Wirtschaft?
Ja, sicher. Nur Dank dieser Verzweifelten können sich die Kleinunternehmen retten. Die Banken interessiert das nicht. Die Migranten schon. Das ist keine Ausbeutung. Es ist eine Möglichkeit, den Arbeitsmarkt zu öffnen, ihn für sie zugänglich zu machen. Ohne sie würden hier viele Betriebe nicht mehr existieren, auch als Steuerzahler. Die Migranten sind nicht das Problem, im Gegenteil: Sie sind Teil der Lösung.
Du hast uns erzählt, dass die ausländischen Arbeiter deinem Betrieb sogar Geld geliehen haben. Wie kam es dazu?
Das war in der für uns schwierigsten Situation, als die Banken alle Kredite blockiert hatten. Arbeiter von mir, die hier schon viele Jahre sind, hatten etwas gespart und sagten mir: „Wir legen das für Dich aus und Du lässt uns weiter arbeiten“. Das Geld war für uns notwendig, um ein Minimum an Investitionen tätigen zu können. Auch wenn es nicht viel war, 8.000 Euro. Inzwischen konnte ich ihnen alles zurückzahlen, mit zweieinhalb Prozent Zinsen. Es ist so: Wir sind aufeinander angewiesen, es entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis. Sie spüren das. Sie sind sehr sensibel, viel mehr als studierte Intellektuelle. Einer sagte mir: „Ich vergesse nie, dass du uns Arbeit gegeben und geholfen hast, als die Polizei in den Artischockenfeldern Jagd auf uns machte“.