Das Trinkgeld-Gesetz

Die Niedergang eines Landes bemisst sich nicht nur an den großen Missetaten seiner Regierenden. Oft sind es die „kleinen“ Entscheidungen, die im Parlament fallen, ohne von der öffentlichen Meinung und sogar vom größten Teil der Opposition beachtet zu werden, an denen die politische, soziale und moralische Zerrüttung deutlich wird.

Wer Italien liebt, dem fällt dieser Bericht schwer. Wir könnten uns an die Fakten halten, über Details berichten, aus Gesetzen, Sitzungsprotokollen von Parlamentskommissionen und Ausführungsbestimmungen zitieren. Aber damit würden wir unsere Leser nur langweilen, auch wenn sie unsere Besorgnis teilen. Stattdessen versuchen wir, etwas von unserem Abscheu mitzuteilen, indem wir fingieren, die italienischen Verhältnisse ließen sich in den deutschen Kontext übertragen.

Nehmen wir einmal an, dass die Abgeordneten in den gut klimatisierten Räumen einer Bundestagskommission mit dem Segen der Kanzlerin beschließen, Ihren Wahlkreisen (und damit auch sich selbst) ein Geschenk zu machen. Da gibt es natürlich viele Wünsche: Hier möchte einer der kommunalen Badeanstalt ein Trampolin schenken (möglichst mit einer schönen Tafel, in der sein Name als verantwortlicher Abgeordneter verewigt wird), dort ein anderer dem Schützenhaus, das ihn zum Schützenkönig machte, ein neues Dach zukommen lassen. Ein Abgeordneter möchte in seinem Wahlkreis die Fahrradwege erweitern, ein anderer das Oktoberfest finanzieren, ein ehemaliger Gewerkschafter den Verein ehemaliger Gewerkschafter unterstützen, und einer die Kirche seines Sprengels mit einer neuen Glocke bestücken. Wünsche, die offenbar nicht unter einen Hut zu bringen sind und jeder Verwaltungslogik entbehren. Aber kein Problem. Erstaunlicherweise versucht auch niemand, gegen die Wünsche der anderen Einspruch einzulegen. Oder etwa die Presse zu informieren. Das Einvernehmen ist schnell da, ohne Streit und Polemik.

Das Gesetz wird in wenigen Minuten fabriziert und mit einem Etikett versehen, das der Phantasie jeden Raum lässt, vom Typus „Maßnahmen zur Verbesserung der menschlichen Beziehungen“. Mit einem Anhang, der die Regierung verpflichtet, die zugehörigen Projekte zu finanzieren. Umfangreiche Projektanträge sind nicht mehr nötig, es genügt der Name des „Projekts“, die Nennung des Nutznießers (eine Kommune, ein Verein, eine Gemeinde) und natürlich der Betrag. Nicht einmal der Abgeordnete muss genannt werden, von dem der Finanzierungsvorschlag stammt. Es ist ihm selbst überlassen, die frohe Botschaft an Schützen, Gläubige, Radfahrer und andere Kumpel zu überbringen – in der Hoffnung, dass man sich bei der nächsten Wahl daran erinnert, wie sich ihr MdB für sie abgemüht hat.

Solche Gesetze werden in Italien gemacht. Die Idee wurde im Jahr 2004 und geboren und von Abgeordneten der damaligen Berlusconi-Koalition auf den Weg gebracht. Die folgende Prodi-Regierung setzte es außer Kraft, aber nach B.s Wahlsieg im Jahr 2008 wurde es wieder in das jährliche Haushaltsgesetz aufgenommen. Wenn auch in einer kryptischen Bürokratensprache, die den Sinn des Ganzen ein wenig verschleiert („Fonds zum Schutz der Umwelt und zur territorialen Förderung“). Damit auch niemand auf dumme Gedanken kommt.

Vielleicht ist es strafbar, ein parlamentarisches Gesetz eine Sauerei zu nennen. Aber dieses hat sich eine solche Kennzeichnung verdient.

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