König Grillo ist nackt

Die Wahlen rücken näher. Sie stehen noch nicht vor der Tür, aber man erwartet sie zu Beginn des kommenden Frühjahrs. Die ersten kleinen Windstöße, die üblicherweise stürmischen Wahlkämpfen vorausgehen, machen sich schon bemerkbar. Casinis UDC entfernt den Namen ihres Gründers aus dem Parteisymbol und ersetzt ihn durch „Italien“, womit sie Berlusconi, der seine PdL ebenfalls umtaufen möchte, eine Idee klaut. Die Demokratische Partei (PD) schickt sich an, Spielregeln für ihre Vorwahlen (Primarie) festzulegen. Die allerdings Gefahr laufen, aus einer Auseinandersetzung zwischen einer eher gemäßigten und einer eher radikalen Linken zu einem brudermörderischen Kampf zwischen dem Florentiner Bürgermeister Renzi, der die gesamte alte Führungsriege der PD „verschrotten“ will, und ihrem gegenwärtigen Generalsekretär Bersani zu werden.

Krach auch in der 5-Sterne-Bewegung

In dieses Klima platzt eine mediale Bombe aus dem Inneren der 5-Sterne-Bewegung (M5S). Die Anti-Partei des Komikers Beppe Grillo aus Genua schien angetreten zu sein, um den Protest einer diffusen von der offiziellen Politik enttäuschten Wählerschaft von rechts und links aufzugreifen. Ohne sich organisatorisch besonders anzustrengen und mit geringen finanziellen Mitteln, aber auf der langen Welle des Internets, tausender freiwilliger Helfer und medienwirksamer Invektiven, die Grillo fast täglich über seinen Blog in die politische Arena schleudert (sein Blog gehört weltweit zu den 100 am häufigsten angeklickten). Bis die Bombe platzte.

Es ging dabei auch nicht um Grillos kürzliche Erklärung, die eigene physische Bedrohung zu fürchten – nachdem er bisher damit Karriere gemacht hatte, vor keiner verbalen Aggression gegen seine politischen Gegner zurückzuschrecken. Sondern es war ein für ihn vielleicht noch schmerzhafterer Angriff, weil er aus Grillos Bewegung selbst kommt. Und der sich auf eine Wahrheit gründet, die bisher nur geahnt, aber nicht bewiesen worden war.

Giovanni Favia, ein Abgeordneter der M5S in der Emilia-Romagna, erzählte vertraulich einem Journalisten, dass es in Grillos Bewegung, die doch das Land demokratisieren und der „schlechten Politik“ den Garaus machen wollte, nichts gibt, was mit Demokratie zu tun hat, sondern dass in ihr alle wichtigen Entscheidungen von zwei Personen getroffen werden: von Beppe Grillo und seinem Medienberater Gianroberto Casaleggio.

Nur ein Ausschnitt aus jener Unterhaltung, die vollständig ins Netz gestellt wurde:

„Casaleggio führt alle an der Nase herum, weil es bei uns keine Demokratie gibt. Grillo agiert aus dem Instinkt heraus, ich kenne ihn gut, und er wäre nie in der Lage gewesen, eine solche Sache zu planen. Politiker wie Bersani verstehen es nicht. Sie verstehen nicht, dass hinter allem ein sehr kühler, überlegter und intelligenter Kopf steckt, der etwas von Organisation, Wirkung auf Menschen, von Politik versteht. (…) Casaleggio ist erbarmungslos und rachsüchtig. Jetzt werden wir sehen, wen er ins Parlament schickt, denn ich glaube nicht an Online-Abstimmungen. Dorthin schickt er, wen er will“.

Favia hatte noch nie etwas Derartiges verlauten lassen – sondern behauptete bei verschiedenen Gelegenheiten das Gegenteil. Diesmal hat jedoch ein verstecktes Mikrofon die Unterhaltung aufgenommen, was ihren Wert erhöht. Und eine Diskussion über eine Reihe von Themen ausgelöst, unter anderem über journalistische Ethik. Favia verteidigte sich zunächst damit, dass er alles herunterspielte. Dann aber setzte er eine Debatte über die Demokratie innerhalb des M5S in Gang. Seine Gegner antworteten mit einem kurzen Kommuniqué, das die Unterschrift von Casaleggio trug und in Stil und Inhalt stark an offizielle Kommuniqués des Politbüros der KPdSU erinnert. Was wiederum im Web eine Delegitimationskampagne auslöste, in der nun alles Mögliche über Favia zu lesen ist. Der Vorwurf des Renegatentums ist noch eine der höflichsten Umschreibungen.

Demokratie muss gelebt werden

Das Grundproblem, das dahinter steht, ist das der Demokratie, der Transparenz und der Legitimation von Entscheidungsprozessen in politischen Bewegungen, seien sie nun traditionell oder dem Anschein nach innovativ. Berlusconi ging auch hier mit schlechtem Beispiel voran, indem er eine Partei nach dem Modell eines Unternehmens schuf. Obwohl ihn Grillo einen Psychozwerg nannte, kopierte er ihn. Beide präsentierten sich als Heilmittel gegen eine falsche Politik in der Vergangenheit, beide fanden Anhänger unter den von den Parteien (und oft auch von der Demokratie) Enttäuschten. Beide manipulierten diejenigen, die gutgläubig auf Partizipation hofften.

Welche Lehre ist aus aus dem medialen Desaster der 5-Sterne-Bewegung zu ziehen, das Favias Erklärungen auslöste? Nach unserer Meinung reicht es nicht, von Demokratie nur zu reden. Vor allem reicht es nicht für eine politische Organisation, die den Anspruch erhebt, das politische Leben des Landes mitgestalten zu wollen. Die Demokratie muss auch selbst gelebt werden. Und zwar Tag für Tag, transparent und im Rahmen klarer Regeln, die dem Wähler, dem Mitglied und dem Sympathisanten die Sicherheit gibt, gehört zu werden und an den Entscheidungen wirklich beteiligt zu sein. Eine Lehre, die allerdings nicht nur für Grillo und seine Anhänger gilt, sondern für das gesamte politische System.

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