Schäuble und „La Repubblica“

Vor acht Tagen kam ich voller Zufriedenheit aus Berlin zurück, nachdem ich dort den Tag der offenen Tür genutzt hatte, um – vom Kanzleramt bis zu den Ministerien – ein wenig in den Machtzentren der Bundespolitik herumzuschnuppern. Als ich zum Finanzministerium kam, wollte es der Zufall, dass dort gerade Schäuble zu reden begann. Das Publikum bestand aus einigen Journalisten, vielen Fotografen und Leuten wie mir, die sich voller Interesse, aber auch mit Kritik Sorgen um den Ausgang der Krise machen. Hier begannen aber auch schon die Unterschiede: Es gab jene, die sich vom Minister schwören lassen wollten, nie wieder den Geldbeutel für Griechenland oder andere den deutschen Wohlstand bedrohende Staaten zu öffnen, aber es gab auch jene, die auf Äußerungen des guten Willens hofften, die Idee eines geeinten und solidarischen Europas zu verteidigen und sich der Lösung der gemeinsamen Probleme zu öffnen. Es war sicherlich kein im demoskopischen Sinne repräsentatives Publikum, aber bot doch einen Querschnitt durch das heutige Deutschland, mit einem guten Anteil junger und auch weniger junger Leute „mit Migrationshintergrund“.
 
Schäuble sprach frei, mit Offenheit und ohne sich in technische Einzelheiten zu verlieren. Seine Botschaft war insgesamt beruhigend, für beide Seiten. Die Idee eines vereinten und wirtschaftlich und politisch starken Europas sei zu verteidigen, sagte er, und es gebe viele Gründe, warum Deutschland dafür eine besondere Verantwortung trage, und ein großes Interesse habe, einen gemeinsamen Ausweg aus der aktuellen Krise zu finden. Natürlich, so betonte er, müsse dazu jeder seinen Teil beitragen, sowohl die nord- als auch die südeuropäischen Länder, ohne darauf zu warten, dass andere die Probleme im eigenen Hause lösen.
 
Es mag auch an der besänftigenden Anwesenheit der griechischen Sängerin Nana Mouskouri gelegen haben, dass sich der Minister dabei weder zu Ultimaten noch zur Arroganz verstieg. Stattdessen warnte er vor (deutschen) Populisten, welche die Krise nutzen wollen, um sich ein paar flüchtige Wählerstimmen einzufangen. Er dachte dabei wohl vor allem an Mitglieder der Regierungskoalition wie Markus Söder (CSU), dem wir folgenden „Sinnspruch“ verdanken:

„An Athen muss ein Exempel statuiert werden, dass diese Eurozone auch Zähne zeigen kann. Die Deutschen können nicht länger der Zahlmeister für Griechenland sein.“

 
Stattdessen bat Schäuble an diesem Tag seine Zuhörer, sich der historischen Tragweite der Sparprogramme bewusst zu werden, die Griechenland, Spanien und Portugal in Angriff nahmen, und ihnen dabei Vertrauen entgegen zu bringen.
 
Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese Rede Schäubles hat mich nicht zu seinem neuen Wähler gemacht. Es war die Rede eines gemäßigten CDU-Vertreters, der sich der Komplexität der Probleme bewusst ist, für die es keine einfachen und schnellen Lösungen gibt. Eine intellektuell redliche Rede, ohne die gewohnten dialektischen Spitzfindigkeiten der Berufspolitiker.
 
Kurz nach der Rede des Ministers hörte ich einen in Ton und Inhalt ähnlichen Vortrag von Martin Kotthaus, Schäubles Sprecher, mit dem ich dann auch ein paar Worte wechseln konnte. Er versicherte mir, dass Berlin die Maßnahmen der Regierung Monti sehr zu schätzen wisse: „Es sind Reformen, zu denen es in Italien schon in den letzten 10 Jahren hätte kommen müssen, die aber nicht stattfanden“. Die einzige Sorge betreffe die Zukunft, also die Zeit nach der nächsten Wahl. Was Berlin beunruhigt, hat Namen und Vornamen, nämlich Silvio Berlusconi. Eine Analyse, die „Aus Sorge um Italien“ schon seit Langem teilt.
 
Als ich dann aber die Sonntagsausgabe der „Repubblica“ sah, stieß ich voller Befremden auf Titel wie:

„Alarm für Griechenland, Berlin: Schluss mit der Hilfe“ und „Der deutsche Minister Schäuble ist gegen weitere Geldspritzen: Die europäischen Regierungen wären töricht, wenn sie keine Pläne für den Notfall hätten“.

 
Da fragte ich mich, ob ich in Berlin einen Doppelgänger von Schäuble gehört hatte. Nach der Lektüre des Artikels kam ich dann (schweren Herzens, denn ich bin eigentlich ein treuer Leser der Zeitung) zum Schluss, dass bei der Rede des Ministers wohl kein Journalist der Repubblica zugegen war. Und sich der Schreiber stattdessen von ein paar Zeilen einer Nachrichtenagentur inspirieren ließ.
 
Verstehen wir uns richtig: Die zitierten Äußerungen mag der Minister so gesagt haben, aber in einem ganz anderen Kontext, als ihn das römische Blatt suggeriert. Was schade ist, denn wenn Schäubles Rede in ihrer Gänze wiedergegeben worden wäre, gäbe es Gründe zu einem gewissen Optimismus. Und in Zeiten wie diesen ist Optimismus ein knappes Gut.

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