Am Scheideweg

Welche Regierung Italien nach dem Interregnum der Professoren nötig hätte, ist schnell gesagt:

  • eine Regierung mit gutem Zusammenhalt und solider Mehrheit in Parlament;
  • eine Regierung, der das gelingt, was der der Regierung Monti nicht gelang: der Ausgleich zwischen weitergeführter Sparpolitik und sozialer Gerechtigkeit, d. h. dem Schutz der sozial schwächeren Schichten:
  • eine Regierung, die in Europa und der Welt an den Orten über Autorität verfügt, an denen auch für Italien wichtige Entscheidungen fallen.

Dieses Identikit ist keine Addition zufälliger Wünsche, sondern Ergebnis einer einfachen Analyse der wirtschaftlichen Lage Italiens, Europas und der Welt. Nur eine Regierung, die diesen Anforderungen entspricht, wird die stürmische See durchschiffen können, in die sie jetzt gerät. Dafür sollte sie im Parlament über eine konsistente Mehrheit verfügen, um nicht bei jedem Gesetzesvorhaben die Vertrauensfrage stellen zu müssen. Und sie sollte fähig sein, in einer Phase, in der es nur noch die Suche nach weiteren Einnahmequellen, aber nichts mehr zu verteilen gibt, sich dem Land – dem ganzen Land – verständlich zu machen. Eine Operation, die sozial gerecht und mit Augenmaß durchzuführen wäre und vor allem die Steuerflüchtlinge aufs Korn nehmen müsste.

Es ist wohl überflüssig, hier im Einzelnen darzulegen, warum eine von B. – oder einem seiner Paladine – geführte Mitterechts-Regierung zu einer solchen schwierigen Aufgabe unfähig wäre. Es genügt der Verweis auf das ökonomische und moralische Desaster, welches die Berlusconi-Regierungen der letzten zwei Jahrzehnte hinterlassen haben.

Über Beppe Grillo und Kompanie haben wir schon verschiedentlich geschrieben. Das Image des sich offen der Macht widersetzenden Volksrebellen , das er sich gibt, gefällt den Italienern, die sich in ihrer Geschichte schon oft in Figuren verliebten, die sie für ihre Retter hielten. Nach den heutigen Meinungsfragen tendiert jeder fünfte Wähler dazu, seine Stimme Grillos 5-Sterne-Bewegung zu geben. Was damit erreicht werden soll, bleibt allerdings unklar, denn Grillos politische Versammlungen ähneln seinen Auftritten als Komiker (und umgekehrt): Sprüche und Beleidigungen gegen die politischen Gegner im Überfluss, aber Mangel an konkreten Vorschlägen. Einer der wenigen Vorschläge, die von Grillo zu hören waren, ist die Rückkehr zur alten Lira, was den Spekulanten sehr gelegen käme, um aus den italienischen und europäischen Adern auch noch den letzten Tropfen Blut zu saugen. Grillo wird im neuen Parlament einen gewichtigen Faktor der Instabilität darstellen, aber es wäre unsinnig, ihn in eine Regierungskoalition der anfangs beschriebenen Art einzubeziehen.

Eine Koalition der Linken, die aus PD, SEL (Vendola), IdV (di Pietro) und den kleineren Splitterparteien Federazione della Sinistra, Grüne und PSI zu bilden wäre, würde vielleicht die parlamentarische Mehrheit bekommen (nach den neuesten Umfragen 44 %), aber schon einen Tag nach der Wahl wieder auseinander fliegen. Täglich ist den Zeitungen zu entnehmen, welche koalitionsinternen Zustände dann zu erwarten wären: Vor allem Antonio di Pietro, der ehemalige Staatsanwalt der „Mani pulite“ und heutige unbestrittene Führer der Italia dei Valori (IdV), scheint sich jeden Tag mehr dem Populismus Grillos zu nähern und vom Pragmatismus Bersanis (PD) zu entfernen.

Casinis Zentrumsunion (UDC), die auf höchstens 8 % Wählerstimmen hoffen kann, hat begriffen, dass damit kein „großes Zentrum“ zu machen ist. Andererseits hat sich die UDC in den letzten Jahren zunehmend von ihren ehemaligen rechten Bündnispartnern (PdL und Lega) entfernt und Gemeinsamkeiten mit der PD entdeckt, insbesondere bei der Unterstützung der Regierung Monti. Für die UDC ist jedoch das Bündnis mit der PD nur in einer Koalition ohne SEL denkbar. Wie auch Vendola und di Pietro nur mit der PD, aber ohne die UDC koalieren wollen.

Die PD, die in den Meinungsumfragen bei 26 bis 27 % der Wählerstimmen liegt und wahrscheinlich die stärkste Fraktion im neuen Parlament stellen wird, befindet sich am Scheideweg. Sie versucht deshalb ihre potenziellen Bündnispartner dahin zu bringen, dass sie ihre wechselseitigen Aversionen überwinden. Bei SEL und UDC wird ihr dies vielleicht gelingen, weniger wahrscheinlich bei der IdV. Die Gefahr ist jedenfalls, dass die daraus entstehende Koalition schwach, zerstritten und von geringer Autorität sein wird. Also das Gegenteil von dem, was das Land braucht.

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