Erzkatholisch und weltoffen

Zum Tod von Kardinal Carlo Maria Martini

Die Kunst des geschwollenen Wahrheit wie Unwahrheit mit gefalteten Händen hin und her jonglierenden Wortes beherrschen die vom Herrn gesalbten Monsignori des Vatikans nun mal perfekt. Der Tod des langjährigen Mailänder Erzbischofs und Kardinals Carlo Maria Martini bot wieder einmal Gelegenheit, diese Artistik an Umschreibungen und Interpretationen von Animositäten gegenüber einem oft sehr sperrigen und eigenwilligen Mitbruder staunend zur Kenntnis zu nehmen. Da der Papst selber scheinbar nicht in der Lage war, persönlich eine Erklärung zum Tod eines der „großen Kirchenmänner unserer Zeit“ (so ‚Radio Vatikan’ ) abzugeben, schickte er den Kurienkardinal Angelo Comastri an die Medienfront. Der letztlich immer bayerisch-provinzielle Ratzinger war nie ein großer Freund des urbanen und weltzugewandten Martini. Man dürfe, so warnte Comastri aus Anlaß des Todes von Martini, dessen Stellungnahmen „jetzt nicht gegen die Kirche wenden.“ Der christliche Glaube müsse „immer wieder gereinigt und wie eine Pflanze gegossen werden und zwar innerhalb der Kirche“. Immer habe der verstorbene Arbeiter im Weinberg des Herrn „die Lampe des Gotteswortes hoch gehalten.“

Das ist ‚Vatikan-Speech’, wie sie erlesener und mehrdeutiger nicht sein kann. Dass der 1927 in Turin geborene und seit 1947 den Jesuiten angehörende Martini jemals der Katholischen Kirche oder gar seinem christlichen Glauben untreu geworden sei, wird niemand behaupten können und wollen. Martini war ein Erzkatholik, unerschütterlich in seinem Glauben und von einer stupenden Kenntnis der Bibel, die er wie nur wenige seiner Zeit in- und auswendig kannte. 23 Jahre lang, von 1979 bis 2002, war Martini Erzbischof von Mailand, dem größten europäischen Bistum. Er schaffte es in dieser Zeit, sowohl ein glaubwürdiger Ansprechpartner von Intellektuellen innerhalb wie außerhalb der Katholischen Kirche als auch ein sehr populärer Anwalt der Armen zu sein. Wenn man sich heute über Armut und soziale Deklassierung in der italienischen Gesellschaft informieren will, gehört die ‚CARITAS’ in Mailand zu den wichtigsten und verlässlichsten Informanten. Der Sozialkatholizismus war immer schon stark in Mailand, aber Martini hat ihn in seiner Zeit als Erzbischof weiter gefördert und gefestigt. Er hat auch den langsamen, aber stetigen Aufstieg der in der Lombardei besonders starken ‚Lega Nord’ erlebt. In vielen Predigten und Stellungnahmen hat Martini immer wieder die Unvereinbarkeit von Rassismus und christlicher Caritas betont. Nicht unumstritten war sein Versuch, auch mit inhaftierten Terroristen aus der Zeit der ‚Roten Brigaden’ in einen Dialog zu kommen. Einige der ‚Brigadisti’ erklärten jetzt nach seinem Tod, wie sehr ihnen die Begegnung mit Martini half, sich vom Terrorismus zu lösen.

Berühmt geworden ist Carlo Maria Martini aber auch durch seine dialogische Offenheit gegenüber der in Italien oft sehr klerikalkritischen Intelligenz. Sein Briefwechsel mit Umberto Eco („Woran glaubt, wer nicht glaubt“) fand ein großes Echo in der italienischen Öffentlichkeit der neunziger Jahre. Voller Noblesse, ohne Apologetik oder verletzende Bemerkungen, stritten hier der Katholik Martini und der Agnostiker Eco über wichtige ethische Fundamente unseres Zusammenlebens mit Ernst und großem gegenseitigen Respekt. Als sich bereits der Niedergang der politischen Kultur Italiens unter Berlusconi abzeichnete, demonstrierten Eco und Martini noch einmal, was es heißt, seine Gedanken öffentlich „zwischen freien Menschen auszutauschen“ (so Eco in seinem einleitenden Brief an Martini).

Nach dem Ende seiner Bischofszeit in Mailand zog sich Martini für viele Jahre nach Jerusalem zurück, um dort ungestört vom politischen Tagesgeschehen Italiens seine Bibelstudien fortzusetzen. Aber still wurde es auch in den letzten Jahren nicht um ihn, denn in vielen Stellungnahmen äußerte er immer wieder und immer deutlicher seinen Dissens mit der vatikanischen Hierarchie, besonders in sexualethischen Fragen. Gegenüber Homosexualität und Empfängnisverhütung bezog er wesentlich liberale Positionen als die Fundamentalisten in der vatikanischen Festung.

Tief verwurzelt in seinem christlichen Glauben repräsentierte Martini ein weltoffenes, dialogbereites Christentum, das auch Gehör fand bei den ‚Non-Credenti’, den Nichtgläubigen, wie den Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften, die das Bild des einstmals so katholischen Landes immer mehr prägen. Dass ein so dezidiert kleruskritisches Intellektuellenmagazin wie ‚MicroMega’ ihn aus Anlaß seines Todes als eine große Person des Dialogs und der Solidarität würdigte, zeigt, wie glaubwürdig sein Engagement für ein ‚gerechteres und weltoffenes Italien’ zeitlebens gewesen ist. Hinter den Mauern des Vatikan werden sie auch nach dem Tod von Kardinal Martini weiterhin ihre katholischen Pflanzen begiessen. Außerhalb der vatikanischen Gärten wird sich zeigen müssen, ob der soziale Katholizismus eines Carlo Maria Martini noch eine Bedeutung für die weitere Entwicklung Italiens in der Krise haben wird. Man wird auf ihn nicht verzichten können.

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