Albanien-Theater, zweiter Akt

Mitte Oktober war bereits der erste Versuch gescheitert, zwölf aus Seenot gerettete Migranten – ausgesucht nach einem „Blitz-Screening“ direkt auf dem Schiff der italienischen Marine – in die albanischen Lager Shengjin und Gjader zu transportieren, um sie dann möglichst schnell in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Das für Migration zuständige Gericht in Rom erklärte jedoch die Überführung nach Albanien für unrechtmäßig, weil eines der dafür vorgegebenen Kriterien nicht erfüllt war: ein sicheres Herkunftsland. Die Betroffenen stammten nämlich aus Ägypten und Bangladesch, die der Europäische Gerichtshof als nicht sichere Herkunftsländer einstuft. Also wurden die zwölf Flüchtlinge gleich nach Italien zurückgebracht.

Die „politisierten“ Richter sind mal wieder schuld

Die Empörung von Meloni und ihrer Regierung war groß. Und die Schuldigen waren schnell ausgemacht: die „kommunistischen“ und „politisierten“ Richter, die „roten Togen“, die kein anderes Ziel hätten, als die Entscheidungen der Regierung zu sabotieren und ihr Schaden zuzufügen. Und sollten jemandem an dieser Stelle die Ohren pfeifen, wäre dies kein Wunder: War es doch Berlusconi, der hemmungslose Angriffe gegen die Richter und die Unabhängigkeit der Justiz zum Leitmotiv seiner verkommenen Regierungsära machte – mit Erfolg.

Durch dieses leuchtende Vorbild ermuntert, erklärten die Ministerpräsidentin und ihre beiden Vizes Tajani und (vor allem) Salvini, man werde sich der richterlichen Willkür, die Politik betreibe statt Gesetze anzuwenden, nicht beugen und auf dem „albanischen Weg“ (Meloni: „Ein Modell, für das man uns in ganz Europa beneidet“) fortschreiten. Das geschah in der Gestalt, dass die Regierung eiligst ein Gesetzesdekret verabschieden ließ, in dem sie die Liste der sicheren Herkunftsländer – abweichend von jener des Europäischen Gerichtshofes – nach eigenem Gusto erweiterte (das heißt Ägypten und Bangladesh eingeschlossen).

Da europäisches Recht bekanntlich über nationalem Recht steht, hätte die Regierung bei diesem „Coup“ allerdings damit rechnen müssen, dass die Sache nicht so einfach läuft. Ein entsprechendes Signal kam kurz nach dem Regierungsbeschluss vom Gericht in Bologna: dieses wendete sich an den Europäischen Gerichtshof (EGH), damit geklärt wird, ob rechtlich zulässig sei, dass eine nationale Regierung per Notgesetz eine Liste sicherer Herkunftsländer festlegt, die von der des EGH abweicht. Die Antwort des EGH steht noch aus und wird voraussichtlich erst in einigen Monaten erfolgen.

Mit dem Kopf gegen die Wand

Statt diese Klärung abzuwarten, preschte Meloni wieder vor und inszenierte das ganze „Albanien-Theater“ ein zweites Mal nach dem gleichen Drehbuch. Wieder wurden nach einer Seenotrettung ein paar Flüchtlinge (diesmal waren es acht von insgesamt 200) direkt auf dem Schiff selektiert und nach Albanien transportiert. Einer von den acht wurde gleich nach Ankunft wieder nach Italien geschickt, da er „offensichtlich schwere psychische Störungen“ aufweise. Was kein gutes Licht auf das Hopplahopp-Selektionsverfahren auf dem Schiff wirft, die von Mitgliedern der Küstenwache bzw. der italienischen Marine durchgeführt werden, die dafür weder fachliche Kompetenz mitbringen noch entsprechend geschult sind.

Auch bei den anderen sieben dauerte es – wie bereits beim ersten Mal – nicht lange, bis auch sie aus Albanien abgeholt und nach Italien gebracht wurden: Das für Migrationsfragen zuständige römische Gericht hatte, wie die Richter in Bologna, den EGH zwecks Klärung angerufen und bis dahin seine Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit der Festsetzung im albanischen Lager ausgesetzt.

Wieder ging daraufhin der Sturm von Empörung über die Justiz seitens der Regierung und der Parteien der Rechtskoalition los. Und der Justizminister von Melonis Gnaden Carlo Nordio gebar mal wieder eine seiner genialen Ideen zur Disziplinierung renitenter Richter: Er kündigte an, die Kompetenz für Fragen der Aufnahme und des Aufenthalts von Asylsuchenden, die bisher bei den für Migration zuständigen Gerichten der ersten Instanz liegt, diesen künftig zu entziehen und den Appellationsgerichten der zweiten Instanz zu übertragen.

Richter und Staatsanwälte protestieren

Die Associazione Nazionale Magistrati/ANM (Nationalverband der Richter und Staatsanwälte) reagierte scharf. In einer Stellungnahme protestierte sie gegen die willkürliche Entmachtung der auf Migrationsfragen spezialisierten örtlichen Instanzen und gegen die Übertragung all solcher Fälle an die übergeordneten Appellationsgerichte, was zu nicht zu bewältigenden Bearbeitungsstaus führen werde.

„In letzter Zeit“ – so die einstimmig beschlossene Stellungnahme der ANM – „stellen wir seitens der Politik immer häufiger Angriffe gegen Entscheidungen von Richtern in der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Funktionen fest, die nicht aus technisch-rechtlichen Gründen beanstandet werden, sondern weil sie nicht dem politischen Kurs der Regierungsmehrheit genehm sind“.

Es gehe dabei um einen „instrumentellen Angriff, der darauf abzielt, die Justiz zu diskreditieren und den Boden für Reformen vorzubereiten, die beabsichtigen, die Kontrolle der Legalität – die laut Verfassung in der Kompetenz der Justizbehörden liegt – der Politik zu unterwerfen“. Die Richter und Staatsanwälte fordern alle politischen Akteure dazu auf, das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung sowie die Unabhängigkeit der Justiz zu respektieren. Die Stellungnahme wurde auch dem Obersten Richterrat (Consiglio Superiore della Magistratura/CSM) zugeleitet. Diesem obliegt laut Verfassung als autonomem Vertretungsorgan der Judikative die Aufgabe, deren Unabhängigkeit von den anderen Staatsgewalten – der Legislative wie der Exekutive – zu garantieren.

Musk : „Diese Richter müssen weg“

Mitten in dieser Auseinandersetzung zwischen Justiz und Regierung mischte sich dann auch noch Elon Musk ein, der Multimilliardär und von Trump designierte Minister eines neu eingerichteten „Ministeriums für Regierungseffizienz“, der mit Meloni eng freundschaftlich verbunden ist. „Diese Richter müssen gehen“ dekretierte er in seinem Nachrichtendienst X.

Die sonst so auf nationale Souveränität fixierte Rechtskoalition reagierte unterschiedlich. Salvini war natürlich begeistert: „Er hat völlig recht, das hat mit Einflussnahme nichts zu tun!“. Maurizio Lupi der konservativen Kleinpartei „Noi moderati“, die zur Rechtskoalition gehört, bezeichnete Musks Intervention hingegen als „unangemessen“. Die Ministerpräsidentin selbst schwieg zunächst und ließ Vertraute die Sache herunterspielen („Er hat nur seine Meinung als einfacher Bürger geäußert“). Erst nachdem sich Staatspräsident Mattarella persönlich, ohne Musk namentlich zu erwähnen, mit deutlichen Worten zu der Angelegenheit äußerte, kam sie nicht mehr umhin, darauf zu reagieren, wenn auch mit einer allgemeinen Floskel: „Wir hören immer mit großem Respekt auf die Worte des Staatspräsidenten“.

Und diese Worte lauteten wie folgt: „Italien ist ein großes demokratisches Land und ich muss bekräftigen, dass es in der Lage ist, auf sich selbst aufzupassen unter Beachtung seiner Verfassung. Jeder muss seine Souveränität respektieren und darf für sich nicht das Recht beanspruchen, ihm Vorschriften zu machen – insbesondere dann, wenn er wie angekündigt kurz vor der Übernahme einer wichtigen Regierungsfunktion in einem befreundeten Land steht.“ Con tanti saluti an die machtgeilen Milliardäre und Autokraten aller Länder.

Wie geht es weiter (und was ist von dem EGH zu erwarten)?

Ob Meloni nach ihrer zweiten Albanien-Schlappe und der Zuspitzung des Konflikts mit der Justiz weiter darauf beharrt, ein paar aus Seenot gerettete Migranten sinnlos hin und her über die Adria zu kutschieren, ist noch offen. Einerseits könnte sie aus politischen Gründen an ihrem absurden (und nach Meinung der meisten Experten rechtswidrigen) „Albanien-Modell“ festhalten, müsste aber dabei das Risiko in Kauf nehmen, immer wieder vor den Gerichten zu scheitern. Sie könnte aber auch darauf setzen, dass der Europäische Gerichtshof in Zeiten verschärfter Migrationsregelungen und angesichts des zunehmenden Rechtstrends in der EU ein Urteil fällt, das der italienischen Regierung größere Spielräume gibt. Zum Beispiel indem er anerkennt, dass die von ihm selbst aufgestellte Liste sicherer Herkunftsländer keinen bindenden, sondern orientierenden Charakter für die einzelnen Mitgliedstaaten hat.

Damit würde der Europäische Gerichtshof allerdings nicht nur seine eigenen Kompetenzen beschneiden, sondern auch den zentralen Grundsatz, dass europäisches Recht über nationalem Recht steht, aufgeben – was schwere Konsequenzen auch für andere Bereiche hätte.

So oder so wird das absurde – und kostspielige – „Albanien-Theater“ ein rein politisches Propagandainstrument bleiben und keinerlei Wirkung auf eine bessere Steuerung der Migrationsbewegungen haben.

Letzte Meldung: Es gibt aber auch gute Nachrichten. Bei den Regionalwahlen in Emilia Romagna und Umbrien gewannen gestern die Mittelinks-Kandidaten deutlich: Michele De Pascale in der Emilia Romagna mit 56,76% und Stefania Proietti in Umbrien mit 51,18%. In beiden fällen hatten sich alle Oppositionsparteien zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Geht doch.

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