Regierungsstart – mit ein paar Fehlzündungen

Am Wochenanfang präsentierte der – alte und neue – Ministerpräsident Giuseppe Conte im Parlament (am Montag in der Abgeordnetenkammer, am Dienstag im Senat) das Regierungsprogramm von 5Sternen, PD und LEU, um dann die Vertrauensfrage zu stellen. In der Abgeordnetenkammer bestand angesichts der Mehrheitsverhältnisse am Ergebnis kein Zweifel: 343 Abgeordnete stimmten dafür, 263 dagegen. Anders im Senat, wo die neuen Regierungsparteien nur über eine knappe Mehrheit verfügen. Da sowohl in der 5SB als auch der PD einige Senatoren angekündigt hatten, mit Nein zu stimmen oder sich zu enthalten (was im Senat als Nein-Stimme gezählt wird), war die Regierungskoalition auf ein paar Stimmen aus anderen Parteien bzw. Gruppen angewiesen. Die kamen aus dem „Gruppo misto“ (zu dem u. a. ehemalige Grillini zählen) und von drei „Senatoren auf Lebenszeit“ (hochrangige Persönlichkeiten, die der Staatspräsident ehrenhalber ernannt hat). Mit 169 Ja (die absolute Mehrheit liegt im Senat bei 161), 133 Nein und 5 Enthaltungen sprach auch der Senat der neuen Regierung „Conte bis“ das Vertrauen aus.

Contes programmatische Rede

Davor hatte Conte in der Abgeordnetenkammer in der längsten Rede, die je ein italienischer Ministerpräsident gehalten hat (eineinhalb Stunden), 29 Programmpunkte präsentiert, auf die sich die grün-rote Koalition in buchstäblich letzter Minute geeinigt hatte. Etwas pathetisch sprach er vom Beginn einer „neuen, entscheidenden Ära von Reformen und einem neuen Humanismus“ (von ihm hatte er bereits während der Regierung von Lega und 5Sternen gesprochen), in dem „der Mensch mit seinen unantastbaren Rechten und unausweichlichen Pflichten“ im Mittelpunkt stehe.

Trotz der Länge seiner Rede blieb vieles in Contes Ausführungen wenig konkret und beschränkte sich oft auf das Verkünden grundsätzlicher Absichten. Dennoch wurden hier und da neue Schwerpunkte erkennbar, zum Beispiel bei den Themen Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung (er sprach von einem „Green New Deal“), bei Digitalisierung und technologischer Innovation (dafür wird ein gesondertes Ministerium eingerichtet, mit einer – Gott steh uns bei – Vertrauten Casaleggios als Ministerin), Überwindung sozialer und regionaler Disparitäten, klares Bekenntnis zu Europa – bei gleichzeitiger Anmahnung notwendiger Änderungen, insbesondere bei zu starren Austeritätsvorgaben und für mehr Flexibilität und Wachstum.

Conte markierte auch einige Kursänderungen zu der Vorgängerregierung von Lega und 5SB, die er ja ebenfalls geführt hatte. In Abkehr von Salvinis „flat tax“, die Besserverdienende belohnt hätte, werde man das Steuersystem im Sinne einer progressive Besteuerung reformieren, die untere und mittlere Einkommen spürbar entlastet. Im Bereich der internationalen Politik unterstrich er die Zugehörigkeit Italiens zum euro-atlantischen Bündnis und die Notwendigkeit internationaler Kooperation („effizienter Multilateralismus“). Denn nur damit – und nicht durch einen „sterilen und rückwärtsgewandten Isolationismus“ – sei der Verteidigung nationaler Interessen gedient.

Prüfstein Migration und Flucht

Zur besonders „sensiblen“ und umstrittenen Migration- und Flüchtlingsfrage hielt sich Conte, der als Regierungschef des Bündnisses von Lega und 5SB die Politik der „geschlossenen Häfen“ und der Illegalisierung von Migranten voll mitgetragen hatte, zunächst an die in der Koalition vereinbarten Aussagen: „struktureller Ansatz anstelle bisheriger Notstandslogik“, Revision des Dublin-Abkommens, Schaffung von humanitären Korridoren im europäischen Rahmen, „Fortsetzung des Kampfes gegen Menschenhandel und illegale Einwanderung“, jedoch gepaart mit Integrationsmaßnahmen für Personen mit rechtlichem Aufenthaltsstatus. Dann setzt er allerdings etwas hinzu, was aufhorchen ließ: „Das bedeutet, in der Substanz zum ursprünglichen Inhalt des ersten Sicherheitsdekrets (von Salvini, Anm. MH) zurückzukehren, bevor die später erfolgten Ergänzungen dessen Gesamtgleichgewicht kompromittiert haben“. Demzufolge würde Salvinis erstes Sicherheitsdekret bleiben und nur das zweite kassiert werden (in dem er als Innenminister sämtliche Entscheidungskompetenzen über die Aussperrung von NGO-Rettungsschiffen aus italienischen Gewässern an sich zog und noch drakonischere Strafen für Reeder und Kapitäne einführte).

Wenn das richtig interpretiert ist, wäre es eine gravierende Verkürzung des entsprechenden Passus in der Koalitionsvereinbarung, der besagt: „Die Bestimmungen im Bereich der Sicherheit müssen modifiziert werden anhand der Hinweise, die der Staatspräsident kürzlich formuliert hat“. Denn nicht nur das zweite, sondern auch das erste Sicherheitsgesetz enthielt bereits Bestimmungen, die nach Verfassung und internationalem Asylrecht problematisch sind: Abschaffung des humanitären Schutzes für Migranten, die nicht zu den politisch Verfolgten gehören, aber in besonders prekärer Lage sind (z. B. Schwangere oder Kranke); Verlängerung der Aufenthaltsdauer in den „Centri per il rimpatrio“ (Abschiebezentren) von drei auf sechs Monate; Abschaffung der dezentralen Unterbringung und Stopp der Integrationsprojekte in den kleineren Kommunen.

Aus genau diesem Grund hatte Mattarella bereits zu diesem ersten Dekret Hinweise formuliert , die anmahnten, „die verfassungsmäßigen und internationalen Pflichten hinsichtlich des Asylrechts zu beachten, insbesondere mit Bezug auf Art. 10 der Verfassung“ („Die italienische Rechtsordnung richtet sich nach den anerkannten Normen des internationalen Rechts. Die Rechtsstellung des Ausländers wird in Gesetzen geregelt, die den internationalen Bestimmungen und Verträgen entsprechen“, Anm. MH).

Protest der Lega vor dem Parlament - mit faschistischen Grüßen

Protest der Lega vor dem Parlament – mit faschistischen Grüßen

Es wird sich bald zeigen, ob und inwieweit sich diese Linie (von Conte oder auch von den 5Sternen?) durchsetzt. Innerhalb der PD und LEU werden bereits Stimmen laut, die davor warnen, hier einen ängstlichen Kurs zu fahren, der wieder grundsätzliche Prinzipien von Humanität und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellt. Aktuell entzündet sich die Debatte am Fall des Rettungsschiffs „Ocean Wiking“ mit 84 Flüchtlingen an Bord, dem die Regierung, vertreten durch die neue Innenministerin Lamorgese, immer noch den Einlass in einen italienischen Hafen verweigert. Sie hatte zuvor auch den Antrag des Schiffes „Alan Kurdi“, die restlichen fünf Flüchtlinge von Bord gehen zu lassen, mit dem Hinweis auf „bestehende Sicherheitsbestimmungen“ negativ beschieden (die fünf nahm inzwischen Malta auf). Obwohl sie sicher weiß, dass schon verschiedene Gerichte in ähnlichen Fällen die Anlandung der Flüchtlinge „wegen eines akuten Notstands“ erlaubt hatten. Seinerseits hat PD-Generalsekretär Zingaretti inzwischen im Fall des „Ocean Wiking“ gefordert, dem Schiff „sofort, ohne Wenn und Aber“ das Anlanden zu erlauben.

Persönlicher Schlagabtausch zwischen Conte und Salvini

Bei der Debatte im Senat über die Vertrauensfrage wurde die Migrations- und Flüchtlingspolitik allerdings kaum thematisiert. Auch der Urheber der Sicherheitsgesetze, Salvini, äußerte sich dazu nicht. Genauer gesagt äußert er sich überhaupt nicht zu inhaltlichen Fragen, sondern attackierte die neue Regierungskoalition und vor allem Conte ausschließlich wegen eines „Palastmanövers“, mit dem sie ohne Legitimation durch das Volk die Macht übernommen hätten. Seine ziemlich miserable Rede war mit persönlichen Beleidigungen des Ministerpräsidenten gespickt. Er beschimpfte ihn als „Verräter“, der nur an seinem Stuhl interessiert sei, als „Merkels Einflüsterer“ und als Knecht der EU. Leider ließ sich Conte in seiner Erwiderung auf eine ähnliche Ebene ein – wenn auch nicht in so groben Tönen wie Salvini, weil sie nicht seinem Stil entsprechen. Ohne Salvinis Namen direkt zu nennen, warf „einer politischen Kraft“ vor, „im Alleingang versucht zu haben, Neuwahlen zu erzwingen“ und dabei „mit Arroganz die ganze Macht“ für sich zu reklamieren.

Während am Montag in der Abgeordnetenkammer die Vertrauensdebatte lief, hatten Salvini und Meloni von den postfaschistischen „Fratelli d‘ Italia“ zu einer Protestkundgebung auf dem Parlamentsvorplatz aufgerufen. Auch dort gab es laute „Verräter“- und „Neuwahlen“-Rufe, mit Nationalfahnen und dem Spruchband „Ihr stehlt uns unsere Souveränität!“ Und mit etlichen faschistischen Grüßen mit ausgestrecktem Arm.

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